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32 Holz|Oktober 2016<br />

Kovanda Nicole<br />

Waldrauschen<br />

Ich gehe zur Arbeit, hatte er gesagt. Immer wieder gehe er<br />

zur Arbeit.<br />

Die Forstwirtschaft sei ein altes, ehrenwertes Gewerbe,<br />

hatte er gesagt, und er sei stolz darauf, die vom Sturm geknickten<br />

Bäume wegzuschaffen und das Dickicht zu lichten,<br />

damit die Jungbäume gesund wachsen konnten.<br />

Stolz und Pflichtbewusstsein, hatte er gesagt, das wären<br />

seine Begleiter auf den Weg in den Wald, wenn er seine<br />

harte Arbeit verrichtete. Erfüllung und Befriedigung würde<br />

er verspüren.<br />

Denn in der heutigen Zeit von Umweltverschmutzung und<br />

Computer gesteuerten Menschen, so hatte er gesagt, gehöre<br />

er zu der aussterbenden Art der Naturfreunde, deren<br />

Lebensinhalt die Erhaltung und Nachhaltigkeit war.<br />

Kräftige Arme, kräftige Beine und eine wind- und sonnengegerbte<br />

Haut. Große, starke Hände, die zupacken konnten.<br />

Und sie liebte ihn genau dafür. Für seine Kraft und seinen<br />

Stolz jeden Tag in den Wald gehen zu müssen, um das zu<br />

bewahren, was langsam verschwand.<br />

Sie liebte den Duft nach Moos und Holz in seinem Haar.<br />

Sein zufriedenes Gesicht, wenn er nach getaner Arbeit<br />

nach Hause kam. Seine Geschichten über Borkenkäferund<br />

Pilzbefälle, während sie seine harzverkrusteten Hosen<br />

wusch und seine moschusgetränkten Hemden bügelte.<br />

Deshalb liebte sie ihn, deshalb hatte sie ihn geheiratet und<br />

deshalb war sie glücklich.<br />

Ich gehe zur Arbeit, hatte er gesagt. An jenem Tag, als er<br />

seine Thermoskanne, die sie ihm immer richtete, vergessen<br />

hatte. Sie war ihm nachgeeilt, durch den Wald, das<br />

Unterholz, bis hin zu der alten Blockhütte, die er als Geräteschuppen<br />

nutzte.<br />

Und dort konnte sie es sehen, seine Erfüllung und Befriedigung,<br />

durch das kleine Fenster. Zierlich und blond gelockt;<br />

weiße Haut, die sich an seiner gegerbten rieb. Er durchforstete<br />

sie, lichtete sie, fällte sie bis sie sturmgebeutelt<br />

umknickte.<br />

Seine Frau wurde ebenso vom Sturm gebeutelt. Sie hatte<br />

er nie so nachhaltig gefällt.<br />

Ich gehe zur Arbeit, hatte er gesagt. Immer wieder gehe er<br />

zur Arbeit.<br />

Eine Arbeit, die er liebte und die ihn erfüllte. Und sie hatte<br />

ihn dafür geliebt.<br />

Im Rauschen des Waldes ging sie nach Hause und wartete.<br />

Er kam wie immer pünktlich, in seinem moschusgetränkten<br />

Hemd und den harzverkrusteten Hosen.<br />

Auch in dieser Nacht lagen sie nebeneinander. Er schlief<br />

und roch nach Moos und Fichten. Sie hörte das Rauschen<br />

des Waldes, das Tosen des Sturms, noch immer in ihr hallen.<br />

Ich gehe zur Arbeit, sagte er am Morgen und verließ das<br />

Haus. Sie folgte ihm mit der Axt<br />

Nicole Kovanda<br />

Geb. 1981 in Wien, Büroangestellte. Veröffentlichung von Kurzgeschichten<br />

und Gedichten in Anthologien und Literaturzeitschriften.<br />

Absolventin der Leondinger Akademie für Literatur<br />

2010/2011 und Teilnahme an der Master Class 2012 des Vereins<br />

für neue Literatur in Krems. Leitung von Workshops für Kreatives<br />

Schreiben, Kurzprosa und Gedichte. nicole-lovanda.jimdo.com<br />

Prosa<br />

Klangbaum mit eingewachsenem Eisenhaken/2014©Gotthard Obholzer

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