Spezialslalom Herren, Olympiasieger Edy Reinalter, Schweiz (Bilder. Dokumentationsbibliothek St. Moritz) ST. MORITZ <strong>–</strong> SCHAUFENSTER DER SKIGLADIATOREN Selbst eine mondäne Destination wie St. Moritz, die sich gerne über Glanz und Glamour definiert, braucht zuweilen ihr Spektakel. Vor allem, wenn dieses zur ureigenen Kernkompetenz gehört <strong>–</strong> zum Skisport. VON RICHARD HEGGLIN 20
Edy Reinalter war 1948 der letzte Schweizer, der in St. Moritz eine Goldmedaille gewann. D ie alpinen Weltmeisterschaften vom 6. bis 19. Februar <strong>2017</strong> sind bereits die fünften im Engadin <strong>–</strong> nach 1934, 1948, 1974 und 2003. Kein Ort hat mehr Titelkämpfe organisiert. «Top of the World» ist auch die erste Adresse im alpinen Skisport, die temporär etwas in Vergessenheit geraten war. Hugo Wetzel, seinerzeit Präsident des Sport- und Kulturveranstaltungsfonds, und sein Adjudant Martin Berthod, Ex- Rennfahrer und Sportdirektor im Kurverein, weckten St. Moritz aus dem sportlichen Dornröschenschlaf. Während eines Vierteljahrhunderts, zwischen 1974 bis 1999, fand gerade mal ein einziges bedeutendes Skirennen statt, eine Weltcup-Abfahrt, die der Kanadier Steve Podborski vor dem Österreicher Peter Wirnsberger und dem Schweizer Peter Müller gewann. «Alles war etwas eingeschlafen, der Leistungssport vernachlässigt worden», sagt Hugo Wetzel. «Man hat dessen Bedeutung unterschätzt.» Wetzel, Berthod und Co. brachten St. Moritz wieder auf den skisportlichen Radar. Sie waren, unterstützt vom Gemeindepräsidenten Corrado Giovanoli, dem Vater des heutigen WM-Sportdirektors, die treibenden Kräfte bei der WM 2003 <strong>–</strong> und auch bei der aktuellen. Ihr Motto, identisch mit jenem der WM, lautet. «Live the Future». Nach der WM übergeben sie das Zepter der nächsten Generation. St. Moritz ist international ausgerichtet. Zu den Zielmärkten gehören auch China, Indien und Brasilien, wie Tourismus- CEO Ariane Ehrat ausführt. Sie errang einst im benachbarten Bormio hinter Michela Figini WM-Silber. Beinahe könnte der Eindruck entstehen, die Schweizer Skirennfahrer hätten sich bei den bisherigen Titelkämpfen in St. Moritz aus Respekt gegenüber den ausländischen Gästen vornehm zurückgehalten. Der letzte Schweizer, der eine Goldmedaille gewann, stammt aus dem Jahr 1948! Edy Reinalter gewann damals den Olympia-Slalom, der auch als WM- Rennen galt, vor den überlegenen Favoriten aus Frankreich. Der «Sport», die damalige Fachzeitung, mit der Reporter- Legende Karl Erb, feierte das Ereignis mit einer Extra-Ausgabe. Bei der vorletzten WM 1974 schrammte Swiss-Ski, der damals noch SSV (Schweiz. Skiverband) hiess, haarscharf an einem Debakel vorbei. Kurz vor Schluss erlöste Lise-Marie Morerod, ein 17-jähriges Mädchen aus Les Diablerets, die stolze Skination, die zwei Jahre zuvor an den Olympischen Spielen in Sapporo Medaillen am Fliessband gehamstert hatte. Mit der Startnummer 39 errang sie sensationell Bronze <strong>–</strong> Skirennfahrer Ruedi (Rudolf) Rominger mit Slalom-Olympiasieger Edy Reinalter (r.) die einzige Auszeichnung der WM. Zuvor war sie in jedem Slalom ausgeschieden. Roland Collombin, der haushohe Favorit, der die letzten vier Abfahrten vor der WM für sich entschieden hatte, landete nach 40 Sekunden im Schnee. Die einzige Fotografin, die den Sturz auf Zelluloid gebannt hatte, kassierte Honorare im fünfstelligen Bereich. Der «Sport» schrieb von einer Kerze, die an beiden Seiten brannte. Collombin war wiederholt aus dem Hotel auf Salastrains am Pistenrand ausgebüxt, wo die Schweizer in totaler Abgeschiedenheit logierten. Ein paar Monate später verunglückte er schwer und musste seine Karriere beenden. 2003 hatten einige Medien schon die Messer gewetzt, als am letzten WM-Tag <strong>–</strong> Parallelen zu Morerod <strong>–</strong> Silvan Zurbriggen mit einer Silbermedaille im Slalom hinter Ivica Kostelic für einen versöhnlichen Abschluss sorgte. Drei Wochen vorher hatte der «Eiserne Karl» Frehsner noch dessen Disziplinentrainer zum Teufel gejagt. So durfte sich die Bilanz mit vier Medaillen (Zurbriggen plus Bruno Kernen, Marlies Oester und Corinne Rey-Bellet) gleichwohl sehen lassen. Nur auf einen Nachfolger von Edy Reinalter wartet Swiss-Ski immer noch <strong>–</strong> bis heute. DER AUTOR Richard Hegglin war als Agenturjournalist während vier Jahrzehnten für den Skisport unterwegs und sass 20 Jahre im FIS-Weltcup-Komitee. Heute schreibt er für «Snowactive» und verschiedene Tageszeitungen. 21