Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
„Viele tragische Ereignisse“<br />
Paul Tschol, der langjährige Ortsstellenleiter<br />
der Bergrettung St. Anton, erinnert sich<br />
(lisi) Der St. Antoner Paul Tschol steht seit gut vier Jahrzehnten<br />
im Dienst der Bergrettung und war 24 Jahre lang deren Ortsstellenleiter.<br />
Seine Erfahrungen reichen von dramatischen Einsätzen,<br />
die selbst hartgesottene Bergretter zu Tränen rühren, über<br />
eine verlässliche Kameradschaft im Verein bis hin zu Glücksmomenten<br />
nach gelungenen Einsätzen. In den Wintermonaten werden<br />
die Bergretter auch mal zu Après-Ski-Einsätzen gerufen.<br />
Bis 1961 gab es keine Aufzeichnungen<br />
über eine organisierte Bergrettung<br />
in der Arlberggemeinde. Der<br />
Aufbau einer funktionierenden Ortsstelle<br />
begann mit dem zunehmenden<br />
Ausbau von Liftanlagen – treibende<br />
Kräfte waren damals Erich Genewein<br />
und Ossi Klingler. Mittlerweile zählt<br />
die Bergrettung St. Anton ca. 70 Mitglieder,<br />
ca. 40 davon aktive, Peter<br />
Schuler und Reinhard Veider sind als<br />
Hundeführer im Einsatz. Paul Tschol<br />
ist seit mehr als 40 Jahren dabei: „Begonnen<br />
hat es eigentlich durch Bergtouren<br />
mit Freunden, die alle bei der<br />
Bergrettung waren – somit war das für<br />
mich naheliegend auch beizutreten“,<br />
erinnert er sich an die frühen 70er-<br />
Jahre.<br />
Paul Tschol: „Wenn man jemanden gekannt hat, geht es einem sehr nahe, sonst<br />
entwickelt man mit der Zeit eine gewisse Distanz.“ RS-Foto: Zangerl<br />
FEHLEINSCHÄTZUNGEN.<br />
„Es gab relativ viele tragische Ereignisse“,<br />
so Tschol. Das wohl schlimmste,<br />
das nach wie vor in den Köpfen<br />
der St. Antoner ist, war die Lawinenkatastrophe<br />
1988, die sieben Todesopfer<br />
forderte. Insgesamt waren es wohl<br />
über 30 Lawinentote in Tschols Zeit<br />
bei der Bergrettung St. Anton. „In<br />
St. Anton wird viel abseits der Pisten<br />
Ski gefahren, da passieren die meisten<br />
Lawinenunglücke. Bei Neuschnee<br />
werden die Hänge meist am ersten<br />
Tag schon befahren. Das Lawinengeschehen<br />
ist sehr komplex – Fehleinschätzungen<br />
passieren immer wieder“,<br />
weiß Tschol, wie es zu Lawinenunglücken<br />
teils mit Experten kommen<br />
kann. Aber auch zu Einsätzen in anderen<br />
Bereichen wird die Hilfsorganisation<br />
gerufen, etwa beim Après-Ski:<br />
„Nach Feierabend der Pistenrettung<br />
übernimmt die Bergrettung diese Einsätze“,<br />
so Tschol – rund zehn seien<br />
es im Vorjahr gewesen. „Man muss<br />
jedoch sagen, dass es im Handyzeitalter<br />
nicht mehr so viele Vermisstenanzeigen<br />
wie früher gibt. Oft ist es auch<br />
vorgekommen, dass der Vermisste aufgetaucht<br />
ist, als wir zum Einsatz aufbrechen<br />
wollten.“ Einmal gab es eine<br />
Suche nach einem abgängigen Gast<br />
mit 20 bis 30 Helfern am Galzig – um<br />
7 Uhr ist er dann aufgetaucht: „Er hat<br />
schlichtweg woanders übernachtet“,<br />
erzählt Tschol.<br />
„PRESSEMEUTE IN SCHACH<br />
HALTEN“. Doch so glimpflich gehen<br />
die Einsätze leider nicht immer<br />
aus: „Ich erinnere mich an zwei Suchaktionen<br />
– diese beiden Vermisstenfälle<br />
konnten bis heute nicht aufgeklärt<br />
werden“, erzählt Paul Tschol über Fälle<br />
in den Jahren 1995 und 2010. „Am<br />
Rendl wurde auch einmal eine Leiche<br />
erst zwei Jahre nach dem Unglück gefunden“,<br />
erinnert er sich. Aber nicht<br />
immer ist es den Bergrettern gestattet,<br />
sich mit ihren Kernaufgaben zu befassen:<br />
„Bei einem dramatischen Lawinenabgang<br />
am Kapall wurden 1995<br />
drei Personen verschüttet. Die ersten<br />
beiden Tage entschieden wir, dass eine<br />
Bergung zu gefährlich ist, dann ist der<br />
Wirbel losgegangen – internationale<br />
Journalisten wollten sogar Hubschrauber<br />
chartern, um zur Unglücksstelle<br />
zu gelangen. Wir mussten ein Flugverbot<br />
erteilen – ich war damals damit<br />
beschäftigt, die Pressemeute in Schach<br />
zu halten“, erinnert sich Tschol an<br />
den Einsatz mit mehreren Todesopfern.<br />
Der Selbstschutz hat jedoch<br />
oberste Priorität: „Die Sicherheit der<br />
Bergretter steht im Vordergrund – es<br />
wäre unverantwortlich, das Leben von<br />
zehn oder fünfzehn freiwilligen Helfern<br />
zu gefährden“, so Tschol.<br />
ZWEI LEBENDBERGUNGEN<br />
AN EINEM TAG. „Durch eine<br />
bessere Ausrüstung kommt es vermehrt<br />
zu sogenannten Kameradenrettungen“,<br />
resümiert Tschol die mittlerweile<br />
verbesserte Ausrüstung, und:<br />
„Die Alarmierung geht im Handyzeitalter<br />
zudem viel schneller als früher.“<br />
Ganz besondere Tage sind aber selten:<br />
„Einmal konnten an einem Tag zwei<br />
Menschen durch Hunde lebend aus<br />
einer Lawine geborgen werden – die<br />
Chancen für eine organisierte Rettung,<br />
Menschen lebend aus einer<br />
Lawine zu bergen, sind eher gering“,<br />
so Tschol. Wenn man jemanden gekannt<br />
habe, gehe es einem sehr nahe,<br />
sonst entwickle man mit der Zeit eine<br />
gewisse Distanz: „Ein tragisches Ereignis<br />
war der Lawinentod von Gertrud<br />
Gabl, die mir sehr gut bekannt war“,<br />
erinnert sich der St. Antoner. Manchmal<br />
kann man aber auch als Bergretter<br />
schmunzeln: „Einmal wurden wir<br />
zu einer Nachtaktion auf den Galzig<br />
gerufen – eine Person war vermisst.<br />
Gefunden haben wir dann noch<br />
eine zweite.“ Einsätze gibt es selbstverständlich<br />
auch im Sommer viele:<br />
„Wanderunfälle kommen recht häufig<br />
vor – oft verschätzen sich die Wanderer<br />
bzw. Bergsteiger mit der Zeit.<br />
Mehrmals wurden wir zu Einsätzen<br />
am Patteriol gerufen“, so Tschol.<br />
Obmann nun Kurt Hüttl<br />
Die Bergrettung St. Anton ist<br />
nicht nur bei Ernstfällen im Einsatz,<br />
sie unterstützt auch im Dorf. „Es finden<br />
fast jede Woche Veranstaltungen<br />
statt, bei denen wir unterstützend<br />
zur Seite stehen“, informiert Tschol.<br />
Es gibt 30 bis 40 Zusammenkünfte<br />
pro Jahr. Groß geschrieben wird die<br />
Kameradschaft: „Das muss so sein<br />
in einem Verein“, erzählt Tschol.<br />
Seine Motivation ist klar definiert:<br />
„Ich sehe die Aufgabe darin, da zu<br />
sein und anderen zu helfen.“ Nach<br />
24-jähriger Tätigkeit als Ortsstellenleiter<br />
sah Paul Tschol jedoch den<br />
Zeitpunkt gekommen, das Zepter aus<br />
der Hand zu geben: „Nach einer gewissen<br />
Zeit spürt man einfach, dass<br />
der Elan nicht mehr so da ist – es<br />
braucht dann einfach wieder junge<br />
Leute mit jungem Schwung.“ Dieser<br />
„junge Mann mit neuem Schwung“<br />
wurde in St. Anton gefunden: Kurt<br />
Hüttl ist seit Herbst 2015 Leiter der<br />
Ortsstelle der Bergrettung St. Anton.<br />
RUNDSCHAU Seite 18 8./9. Februar 2017