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Einen „klaren Gesetzesbruch“<br />
und „ein menschliches Armutszeugnis“<br />
attestiert der Grüne Sozialsprecher<br />
Ahmet Demir jenen AntragstellerInnen,<br />
die das Betteln auf<br />
öffentlichen Plätzen per Gemeinderatsbeschluss<br />
verbieten wollen.<br />
„Der Verfassungsgerichtshof hat in<br />
einem ähnlichen Zusammenhang<br />
das Bettelverbot in Salzburg aufgehoben,<br />
weil das Verbot gegen<br />
die Europäische Menschenrechtskonvention<br />
verstößt“, klärt Demir<br />
auf. Nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofs,<br />
so Demir, sei es unzulässig,<br />
„die Bettelei schlechthin<br />
ohne jegliche Differenzierung zu<br />
verbieten“. Die Verbannung von<br />
Notreisenden aus dem öffentlichen<br />
Raum verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz.<br />
„Wenn die Gemeinde<br />
ein Bettelverbot erlassen will,<br />
muss sie die konkreten Verhältnisse,<br />
die einen Missstand darstellen sollen,<br />
durch entsprechende amtswegige<br />
Erhebungen nachweisen (§10<br />
Abs.2)“, so Demir. Da diese Materie<br />
in das Landespolizeigesetz falle,<br />
müsse die Polizeiinspektion Landeck<br />
eingebunden werden. Aktuell<br />
gebe es keine derartige Erhebung,<br />
um die notwendigen Informationen<br />
qualitativ festzustellen. „Das<br />
Verbot wird nach Gutdünken erlassen.<br />
Ich will wissen: Wie viele Übertretungen<br />
nach dem Landespolizeigesetz<br />
(LPG) gab es bis dato? Und<br />
wie viele Anzeigen wegen Verstoßes<br />
gegen das LPG sind bei der Polizei<br />
eingegangen?“, so Demir.<br />
WEITERE ERMITTLUNGEN.<br />
Bgm. Dr. Wolfgang Jörg kündigt<br />
die Ausdehnung der Ermittlungen<br />
an (dem Stadtrat sei bereits ein Bericht<br />
der Stadtpolizei vorgelegen).<br />
Es werde über eine räumliche und<br />
zeitliche (nur am Freitag während<br />
des Frischemarktes?) Einschränkung<br />
diskutiert. Bgm. Jörg geht es<br />
vor allem um die organisierte Bettelei:<br />
„Da sind, glaube ich, auch<br />
Leute dabei, die ausgenützt werden“<br />
– und da fragt er sich, was das<br />
mit sozialer Wärme zu tun habe.<br />
Es würden nun jedenfalls weitere<br />
Ermittlungen durchgeführt, ehe das<br />
Thema im Gemeinderat behandelt<br />
wird.<br />
Armut, nicht die Armen bekämpfen<br />
Bettelverbot in Landeck bleibt heiß diskutiertes Thema<br />
(dgh) <strong>LA</strong> Ahmet Demir glaubt, dass ein für Landeck diskutiertes<br />
Bettelverbot keine gesetzliche Grundlage hat. Auch die<br />
„Bettellobby Tirol“ macht sich stark gegen das Vorhaben, das im<br />
Stadtrat bereits eine Mehrheit erhalten hat.<br />
RUNDER TISCH. Der Grüne<br />
Landtagsabgeordnete schlägt einen<br />
anderen Weg vor. Er plädiert<br />
für einen Runden Tisch, bei dem<br />
die Gesamtsituation erörtert und<br />
gemeinsam mit Exekutive und ExpertInnen<br />
Lösungen ausgearbeitet<br />
werden sollen. „Wer etwas plump<br />
verbietet, will sich einem Problem<br />
nicht wirklich stellen. Wir sind aber<br />
als PolitikerInnen gewählt, um Lösungen<br />
zu erarbeiten. Ich appelliere<br />
daher an alle GemeinderätInnen<br />
nicht den Weg des Gesetzesbruchs<br />
zu gehen, sondern den Weg der Lösungsfindung.<br />
Es gilt die Armut zu<br />
bekämpfen und nicht die Ärmsten.“<br />
GEGEN VERBOT. Seine Stimme<br />
gegen ein Bettelverbot in Landeck<br />
erhebt auch die Bettellobby<br />
Tirol – sie spricht sich für eine<br />
zukunftsorientierte, an den Grundrechten<br />
orientierte Praxis aus, welche<br />
sich gegen Verbote und soziale<br />
Ausgrenzung richtet. In einem offenen<br />
Brief fordert die Bettellobby<br />
Tirol die Mitglieder des Landecker<br />
Gemeinderats auf, das geplante Bettelverbot,<br />
für das sich der Stadtrat<br />
mehrheitlich ausgesprochen hat, zu<br />
überdenken und keine voreiligen<br />
kurzsichtigen Entscheidungen zu<br />
treffen. Die Erfahrungen der Bettellobby<br />
zeigten, dass Gespräche, Austausch<br />
und Informationen Ängste<br />
abbauen, Unsicherheiten lindern<br />
und dadurch zu einem unaufgeregteren<br />
Umgang mit dem Thema in<br />
der Mehrheitsbevölkerung beitragen<br />
können. Sie plädiert daher für<br />
bewusstseinsbildende Maßnahmen<br />
und Sensibilisierung statt Verbote<br />
– denn Betteln sei für viele Menschen<br />
die einzige Möglichkeit zur<br />
Veränderung unzumutbarer Verhältnisse<br />
auf der oft vergeblichen<br />
Suche nach alternativen Verdienstmöglichkeiten.<br />
Von den Landecker<br />
PolitikerInnen erwartet sich die<br />
Bettellobby Tirol einen verantwortungsvollen<br />
und solidarischen Umgang<br />
mit bettelnden Menschen und<br />
eine offene und sachlich geführte<br />
Diskussion zum Thema Betteln:<br />
„Wir fordern einen öffentlichen<br />
Raum, der für alle nutzbar und<br />
zugänglich ist, ein Ende der Kriminalisierung<br />
von bettelnden Menschen<br />
und eine zukunftsorientierte,<br />
an den Grundrechten orientierte<br />
Praxis, welche sich gegen Verbote<br />
und soziale Ausgrenzung richtet.“<br />
Die Bettellobby Tirol appelliert an<br />
Bgm. Wolfgang Jörg: Auch Menschen,<br />
die ausgenützt werden. RS-Fotos: Archiv<br />
den Landecker Bürgermeister und<br />
alle anderen ÖVP-PolitikerInnen<br />
des Gemeinderates, sich auf ihre<br />
christlich-sozialen Grundwerte zu<br />
besinnen. Schließlich stehe es jedem<br />
Menschen offen, Menschen,<br />
die auf Unterstützung anderer angewiesen<br />
sind, zu helfen. Bettelverbote<br />
würden jedoch die Situation<br />
armutsbetroffener Menschen noch<br />
weiter verschlimmern: „Sie drängen<br />
B RIEFKASTEN<br />
Ausgabe 4/2017<br />
„Es gibt keinen Grund“<br />
Mehrheit im Landecker<br />
Stadtrat für ein Bettelverbot<br />
Endlich findet sich in der Verordnung<br />
eines Bettelverbots eine<br />
Möglichkeit, sich politisch zu profilieren,<br />
nachdem in der Stadt viele<br />
Chancen etwas voranzubringen ungenutzt<br />
bleiben. Denken wir an das<br />
alte Kino, wo wegen provinziellem<br />
Polithickhack jahrelang nichts weitergeht.<br />
Die Blauen sind die Vordenker<br />
und die Bürgermeisterfraktion lässt<br />
sich vor den menschlich verwerflichen<br />
Karren spannen. Aus meiner<br />
Sicht ist das eine Schande für eine<br />
christlich-soziale Partei. Ich frage<br />
Die hier veröffentlichten Zuschriften geben die Meinung des Verfassers wieder.<br />
GR Ahmet Demir: als PolitikerInnen gewählt,<br />
um Lösungen zu erarbeiten.<br />
armutsbetroffene Menschen zunehmend<br />
von öffentlichen Plätzen, in<br />
die Kriminalität und weiter an den<br />
Rand der Gesellschaft. Armut und<br />
damit der Grund des Bettelns bleibt<br />
hingegen bestehen. Bettelverbote<br />
sind jedoch keine Lösung für eine<br />
Problematik, die strukturelle Ursachen<br />
hat. Es gilt die Armut zu beseitigen<br />
und nicht die von Armut<br />
betroffenen Menschen.“<br />
mich, wie das zu vereinen ist, eifrige<br />
Kirchgänge, Teilnahme an Prozessionen,<br />
wenn möglich auch gleich<br />
hinterm Himmel! Auf der anderen<br />
Seite schlimmste Aktionen gegen<br />
die Menschlichkeit. Das soll ihnen<br />
in Landeck kein Glück bringen, sich<br />
von den Populisten so dirigieren zu<br />
lassen. Ich für mich werde meine<br />
Sympathien künftig anderweitig dosieren.<br />
Dem Ahmet (Anm. d. Red.: Grün-<br />
<strong>LA</strong> GR Ahmet Demir) alle Achtung,<br />
er ist der Einzige in unserem Stadtparlament,<br />
der die richtigen Worte<br />
zu diesem menschlichen Skandal<br />
fand und den Sozis, deren Aufschrei<br />
man vermisst, denen ruf ich zu:<br />
„Seid ihr zu feig, zu sein dieselben<br />
in Wort und Tat wie in euren Träumen?“<br />
Mag. Karl Graber, Landeck<br />
E-Mail: leserbrief@rundschau.at<br />
RUNDSCHAU Seite 20 8./9. Februar 2017