Lern- und Bildungsprozesse im Europäischen Freiwilligendienst
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3 Die TeilnehmerInnen des <strong>Europäischen</strong> <strong>Freiwilligendienst</strong>es<br />
12<br />
Die berufliche Stellung der Eltern der Freiwilligen<br />
deutet darauf hin, dass die Freiwilligen nach<br />
dem Schichtdifferenzierungsmodell von Geißler<br />
(1996) hauptsächlich aus den Dienstleistungs(mittel)schichten<br />
(Angestellte <strong>und</strong> Beamte<br />
– neuer Mittelstand) <strong>und</strong> zu einem relativ großen<br />
Teil auch aus der Schicht der Selbstständigen<br />
(alter Mittelstand) kommen. Angehörige aus der<br />
Arbeiterschicht sind stark unterrepräsentiert.<br />
Die grobe soziale Positionierung erlaubt keine<br />
individuell zutreffenden Beschreibungen der<br />
Lebenschancen <strong>und</strong> wirtschaftlichen Situation<br />
der Herkunftsfamilien der Freiwilligen. Unter<br />
der Kategorie der Selbstständigen können sich<br />
kleine Selbstständige wie beispielsweise Kioskbetreiber<br />
befinden, aber auch Eigentümer großer<br />
Unternehmen. Genauso gibt es große Unterschiede<br />
unter den Arbeitern, Beamten <strong>und</strong><br />
Angestellten.<br />
Blickt man allerdings auf Lebenschancen zum<br />
Beispiel nach den Kriterien Bildungsabschluss<br />
<strong>und</strong> Durchschnittseinkommen, so sind nach wie<br />
vor alte Schichtzuschreibungen gültig. Nach<br />
Geißler erzielt ein Selbstständigenhaushalt <strong>im</strong><br />
Durchschnitt das 2,6fache Einkommen des<br />
Durchschnittshaushaltes. Die Hälfte der Selbstständigen<br />
zählt vom Individualeinkommen her<br />
zu den Wohlhabenden oder zu den Reichen. 19<br />
Demgegenüber lag das Pro-Kopf-Netto-Haushaltseinkommen<br />
aller Arbeitergruppen 1994<br />
deutlich niedriger als das der einfachen Angestellten<br />
<strong>und</strong> Beamten. Gleichermaßen bleiben<br />
die Bildungschancen von Arbeiterkindern deutlich<br />
hinter denen der einfachen <strong>und</strong> mittleren<br />
Angestellten <strong>und</strong> Beamten zurück. 20<br />
Nach der beruflichen Stellung der Eltern der<br />
EFDlerInnen zu urteilen, dürften EFDlerInnen<br />
überdurchschnittlich häufig aus höheren sozialen<br />
Schichten mit durchschnittlich gutem materiellem<br />
Lebensstandard <strong>und</strong> guten Lebenschancen<br />
kommen <strong>und</strong> Angehörige unterer Schichten,<br />
die hier schlechter gestellt sind, nur gering<br />
vertreten sein.<br />
19 Geißler, R.: Die Sozialstruktur Deutschlands. 2. neubearbeitete<br />
<strong>und</strong> erweiterte Auflage, Opladen 1996, S. 113<br />
20 Geißler, a.a.O., S. 145<br />
3.9 Typische TeilnehmerInnen<br />
Im deutschen EFD-Programm überwiegt ein<br />
Typus von TeilnehmerInnen: Mehr als zwei<br />
Drittel der Befragten (68,5%) sind weiblich, haben<br />
Abitur <strong>und</strong> sind 19 bis 20 Jahre alt. Überwiegend<br />
stammen diese Freiwilligen aus Familien,<br />
die den Dienstleistungsmittelschichten zuzurechnen<br />
sind. Überdurchschnittlich häufig<br />
sind sie evangelisch. Zumeist leisten die Freiwilligen<br />
ihren Dienst direkt <strong>im</strong> Anschluss an die<br />
Schulzeit ab.<br />
Dieser TeilnehmerInnentypus findet sich auch<br />
in allen anderen deutschen <strong>Freiwilligendienst</strong>en.<br />
Die Dienste sind für Abiturientinnen als<br />
Zwischenphase nach Abschluss der Schulausbildung<br />
<strong>und</strong> der Aufnahme weiterer Ausbildungen,<br />
häufig Studiengängen, besonders attraktiv.<br />
Auf Gr<strong>und</strong> des Mindestalters, das <strong>im</strong> EFD vorgeschrieben<br />
ist (18 Jahre), können TeilnehmerInnen<br />
mit Hauptschul- oder Realschulabschluss<br />
allein auf Gr<strong>und</strong> des Alters kaum <strong>im</strong> Anschluss<br />
an die Schulzeit einen EFD machen.<br />
Sind sie erst einmal in einer Berufsausbildung,<br />
passt der <strong>Freiwilligendienst</strong> möglicherweise weniger<br />
gut in die Lebensplanung, da es dann<br />
wichtig scheint, den Übergang in die Berufstätigkeit<br />
zu schaffen.<br />
Der Überhang an weiblichen Teilnehmern ist<br />
vermutlich damit zu erklären, dass der <strong>Freiwilligendienst</strong><br />
vieles bietet, was bei den Männern<br />
der Wehrdienst oder der Zivildienst abdeckt:<br />
Zum Beispiel stellt er eine attraktive Möglichkeit<br />
dar, sich Zeit für berufliche Orientierung<br />
<strong>und</strong> persönliche Lebensplanung zu nehmen,<br />
sich von zu Hause zu lösen, eigene Grenzen<br />
auszutesten, sich einer Aufgabe zu stellen <strong>und</strong><br />
anderes mehr. Während die Männer die Zeit des<br />
Wehr- oder Zivildienstes dafür nutzen können,<br />
müssen die Frauen sich eine solche Möglichkeit<br />
aktiv suchen.