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Gsungen & G\'spielt 4/2016

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RÜCKSICHT<br />

WARUM WILL SICH<br />

VOLKSMUSIK MESSEN<br />

LASSEN?<br />

Gedanken und Überlegungen als Nachlese zum<br />

Alpenländischen Volksmusikwettbewerb<br />

Text: Mathias Steiner<br />

In der letzten Ausgabe von „G’sungen<br />

& G’spielt“ befasste man sich<br />

schon eingehend und auf sehr interessante<br />

und unterhaltsame Weise mit<br />

dem heuer erneut ausgetragenen alpenländischen<br />

Volksmusikwettbewerb in<br />

Innsbruck. Dabei wurde den Fragen,<br />

warum Wettbewerbe überhaupt stattfinden<br />

und wie diese entstanden sind,<br />

sehr viel Aufmerksamkeit geschenkt.<br />

In meinem schon länger andauernden<br />

Nachdenk- und Rechercheprozess<br />

zum Thema bin ich auf einen mehr als<br />

spannenden – wenn auch sehr wissenschaftlichen<br />

– Artikel von Prof. Dietrich<br />

Helms gestoßen. Er denkt den<br />

Entstehungsprozess und den Grund für<br />

musikalische Wettbewerbe anders und<br />

sieht sie als einen gesamtgesellschaftlichen<br />

Faktor. Ich denke, seine Theorien<br />

lassen sich dabei sehr gut auf die<br />

volksmusikalische Situation der letzten<br />

– sagen wir mal – 100 Jahre anwenden.<br />

Im Idealfall kann so vielleicht sogar<br />

nachvollzogen werden, warum gerade<br />

die alpenländische Volksmusik den<br />

Wettbewerb brauchte und heute noch<br />

braucht – allen Kritikern zum Trotz.<br />

Von Hydraulik und Musik<br />

Helms setzt bei der systemtheoretischen<br />

Kommunikationstheorie von<br />

Niklas Luhmann an. Dieser nimmt an,<br />

dass das Zustandekommen von Kommunikation<br />

äußerst unwahrscheinlich<br />

sei. Im Laufe der Evolution habe der<br />

Mensch jedoch Mittel gefunden, um<br />

Kommunikation zu ermöglichen. Ein<br />

Modell des hydraulischen Geschehens der Repression und Verteilung von Problemdruck in<br />

der Kommunikation<br />

solches Mittel wäre z.B. die Sprache.<br />

Als zentrale Probleme bei Kommunikation<br />

macht Luhmann nun die drei<br />

Faktoren Verbreitung, Verstehen und<br />

Erfolg aus. Das Problem der Verbreitung<br />

besteht in der Unwahrscheinlichkeit,<br />

dass Mitgeteiltes den Kommunikationspartner<br />

über Ort und Zeit<br />

hinweg überhaupt erreicht. Dass zwei<br />

Kommunikationspartner dasselbe<br />

meinen, wenn sie interagieren, stellt<br />

das Problem der Verständlichkeit dar.<br />

Und die Problematik des Erfolgs liegt<br />

schlicht in der niedrigen Wahrscheinlichkeit,<br />

dass mein Kommunikationspartner<br />

so auf das Mitgeteilte reagiert,<br />

wie ich es erwarte und wünsche. (vgl.<br />

HELMS: 2005, S. 14-17)<br />

Hiervon ausgehend, nimmt Luhmann<br />

weiter an, dass die genannten drei Problemfaktoren,<br />

gleich einem System<br />

kommunizierender Röhren, die mit<br />

Flüssigkeit befüllt sind, zusammenhängen.<br />

Er beschreibt das als: „hydraulisches<br />

Geschehen der Repression<br />

und Verteilung von Problemdruck“ und<br />

meint dementsprechend weiter: „Wenn<br />

eines der Probleme gelöst ist, wird die<br />

Lösung der anderen um so unwahrscheinlicher.“<br />

(LUHMANN: 1984, S.<br />

219). Sinkt also beispielsweise durch<br />

den Notendruck das Problem der Verbreitung<br />

von Musik, steigt die Wahrscheinlichkeit<br />

des Problems im Verstehen<br />

und Erfolg verhältnismäßig. Zur<br />

besseren Veranschaulichung soll die<br />

von HELMS (2005, S. 16) übernommene<br />

Abbildung dienen.<br />

Musikwettbewerbe als Indikatoren<br />

gesellschaftlichen Umbruchs<br />

Soweit zur trockenen Theorie. Um<br />

das Ganze zu veranschaulichen, kramt<br />

Helms in der Geschichtsschublade und<br />

versucht an verschiedenen Punkten<br />

der Kulturhistorie und Tradition des<br />

Wettbewerbs seinen Ansatz zu veranschaulichen.<br />

Helms hebt hier z.B. das<br />

antike Griechenland hervor. Die stetige<br />

Ausdehnung der hellenistischen Welt<br />

erschwerte zunehmend das Verstehen<br />

griechischer Kultur in den ‚Kolonien‘<br />

und gefährdete so den inneren gesellschaftlichen<br />

Zusammenhalt. Doch<br />

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G‘SUNGEN & G‘SPIELT | 41. JAHRGANG | HEFT 04 | DEZEMBER <strong>2016</strong>

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