Gsungen & G\'spielt 4/2016
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RÜCKSICHT<br />
VOLKSLIEDER UND<br />
ZEITGENÖSSISCHE MUSIK<br />
Von der Uraufführung vier neuer Volksliedbearbeitungen<br />
durch das Vokalensemble Stimmen<br />
Text: Julia Tschuggnall | Fotos: privat<br />
Das Vokalensemble Stimmen mit Chorleiter Thomas Kranebitter<br />
Volkslieder dienen seit jeher als Inspirationsquelle<br />
für Komponistinnen und<br />
Komponisten und wurden immer wieder in<br />
verschiedenen Gattungen der Kunstmusik<br />
verarbeitet. Die Bearbeitung von Volksliedern<br />
erreichte insbesondere im 19. Jahrhundert,<br />
z. B. bei Johannes Brahms, einen<br />
Höhepunkt. Den Überschneidungen von<br />
Volksmusik und Kunstmusik widmete sich<br />
auch das Tiroler Volkalensemble Stimmen<br />
in der Konzertreihe „Des Volkslieds Neue<br />
Kleider“ im Oktober <strong>2016</strong>. Die Idee des<br />
Programms war nicht nur die Darbietung<br />
von Volksliedbearbeitungen verschiedener<br />
musikalischer Epochen, sondern auch<br />
die Entstehung neuer Interpretationen von<br />
Volksliedern. Daher wurden drei Komponisten<br />
und eine Komponistin eingeladen,<br />
ein alpenländisches Volkslied auszuwählen<br />
und neu zu arrangieren. Die vier dadurch<br />
entstandenen zeitgenössischen Volksliedsätze<br />
wurden mit den Komponisten erarbeitet<br />
und in den Konzerten uraufgeführt.<br />
Warum neue Kleider?<br />
Für Chorleiter Thomas Kranebitter waren<br />
alpenländische Volkslieder schon<br />
immer ein wichtiger Teil des Repertoires<br />
in seiner Arbeit: „Mich berührt<br />
der oft sehr tiefe Ausdruck dieser meist<br />
schlichten Melodien, und auch die Texte<br />
überraschen immer wieder durch ihre<br />
unerwartete Hintergründigkeit.“ Die Idee<br />
zu diesem Projekt entstand für ihn einerseits<br />
aufgrund seiner großen Bewunderung<br />
für die Volksliedbearbeitungen<br />
von Johannes Brahms und Max Reger,<br />
andererseits auf Basis seines Bestrebens,<br />
mit dem Vokalensemble Stimmen immer<br />
wieder auch neue Chorwerke von Tiroler<br />
Komponisten und Komponistinnen in<br />
Auftrag zu geben und aufzuführen.<br />
Humorige Interpretation<br />
Die Sängerin und Komponistin Andrea<br />
Oberparleiter kreierte mit ihrer Version von<br />
„Hintn bei da Stadltür“ einen der vier neuen<br />
Volksliedsätze. „Ich wollte von Anfang an<br />
ein lustiges Lied auswählen, weil ich den<br />
Eindruck habe, dass Witz und Humor in der<br />
Chorliteratur manchmal zu kurz kommen.“<br />
Da der ursprüngliche Volksliedsatz harmonisch<br />
nur zwei Stufen (Tonika und Dominante)<br />
aufweist, bestand für sie die größte<br />
Herausforderung darin, das Lied mit ausgefalleneren<br />
Harmonien zu gestalten. Auch<br />
der Liedtext diente ihr hier als Inspirationsquelle,<br />
indem sie Wörter wie Teufelslärm,<br />
obidrahn oder Huhn lautmalerisch vertonte.<br />
Bei der Bearbeitung des Volksliedes<br />
war für Andrea Oberparleiter die Erhaltung<br />
des grundsätzlichen Charakters des Liedes<br />
wesentlich. „Ich bin mit mehrstimmigen<br />
Volksliedern aufgewachsen und habe dabei<br />
musikalisch unglaublich viel gelernt – deshalb<br />
muss ich auch überall, wo gesungen<br />
wird, immer dazuterzeln. Außerdem finde<br />
ich es toll, dass beim geselligen Singen von<br />
Volksmusik nicht die Perfektion, sondern<br />
einfach der Spaß und die Gemeinschaft im<br />
Vordergrund stehen.“<br />
Perpetuum mobile?<br />
Das Kärntner Volkslied „Bist du nit bei mir“<br />
wurde von dem Komponisten Eduard Demetz<br />
unter dem Titel „allweil“ bearbeitet<br />
und in eine neue Form gebracht. Demetz<br />
setzte nicht nur die bekannte Melodie in den<br />
Kontext sphärischer Clusterharmonien, sondern<br />
bearbeitete auch den Liedtext, indem er<br />
die Wortreihenfolge änderte. „Mich hat der<br />
Text fasziniert: Es ist ein Text, der in gewisser<br />
Weise wie im Kreis läuft und der mich<br />
dazu verleitet hat, die einzelnen Wörter wie<br />
beim Kartenspielen durchzumischen und<br />
dann nach dem Zufallsprinzip aneinander<br />
zu reihen. Daraus ist dann auch die Fortspinnung<br />
des gesamten musikalischen Materials<br />
entstanden.“ Ein vorhandenes Volkslied beschreibt<br />
Demetz in seiner Form und Eigenheit<br />
als ein „Idealbild“. Daher gibt es für ihn<br />
bei einer Volksliedbearbeitung nur die eine<br />
Konsequenz: Ein ästhetischer und formaler<br />
Weg, der in eine völlig andere Richtung<br />
geht. „Volksmusik war die erste Musik, mit<br />
der ich als Kleinkind in Berührung gekommen<br />
bin. Mein Kontakt zur Volksmusik ist<br />
jetzt ein sehr geringer, aber ich merke, dass<br />
ich Wurzeln habe, die dorthin führen.“<br />
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G‘SUNGEN & G‘SPIELT | 41. JAHRGANG | HEFT 03 | SEPTEMBER <strong>2016</strong>