Gsungen & G\'spielt 4/2016
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RÜCKSICHT<br />
DIE WIEDERVERZAUBERUNG<br />
INNSBRUCKS DURCH ECHTE<br />
VOLKSMUSIK<br />
Der „22. Alpenländische Volksmusikwettbewerb“ hat Innsbruck<br />
für einige Tage grundlegend verändert. Beim Festabend<br />
am Samstag kulminierte dann das, was die Tage zuvor<br />
schon sichtbar wurde.<br />
Text: Markus Stegmayr<br />
Feine Klänge aus den verschiedensten Regionen: Zahlreiche Gäste ließen sich von den musizierenden<br />
Gruppen wieder verzaubern. (Foto: Thomas Erichsen)<br />
Wer vom 27. bis 30 Oktober durch<br />
die Straßen der Innsbrucker Altstadt<br />
flanierte, fand eine veränderte Stadt<br />
vor. Die altbekannten Gebäude und Sehenswürdigkeiten<br />
waren noch da. Doch<br />
die Menschen, die sich durch die historischen<br />
Gassen drängten, waren andere.<br />
In das Stimmengewirr, normalerweise<br />
vorrangig bestehend aus Italienisch und<br />
einem für Laien nicht näher bestimmbaren<br />
Mix aus „fernöstlichen“ Sprachen,<br />
mischte sich eine Vielzahl von Dialekten.<br />
In der Altstadt<br />
Dem urbanen Einerlei des normalerweise<br />
überraschend homogenen Kleidungsstils<br />
der Innsbruck-Touristen und Dauerbewohner<br />
stellte sich an diesen Tagen<br />
eine bunte Überzahl an verschiedensten<br />
Trachten entgegen. Die Teilnehmer des<br />
„Alpenländischen Volksmusikwettbewerbes“<br />
trugen ihre jeweiligen Trachten mit<br />
Stolz. Was anfangs für Irritationen sorgte,<br />
wurde bald zu erfreutem Staunen. Der<br />
Nicht-Fachmann kann nicht jede Tracht<br />
interpretieren und zuordnen und versteht<br />
auch nicht jeden Dialekt aus dem Alpenraum.<br />
Es ist aber wunderschön, all die<br />
verschiedenen Nuancen und Färbungen<br />
wahrzunehmen. Hier wird verständlich<br />
und sichtbar, was Peter Margreiter, Obmann<br />
des Tiroler Volksmusikvereins, mit<br />
dem „Kampf gegen den Einheitsbrei“<br />
meint. Innsbruck war an diesen Tagen<br />
so weit vom kulturellen und ästhetischen<br />
Einheitsbrei entfernt wie nur irgendwie<br />
möglich. An die Stelle von Angleichung<br />
durch naiv-globalisierende und damit<br />
nivellierende Tendenzen trat an diesen<br />
Tagen die Vervielfältigung und Sichtbarmachung<br />
von zahllosen Identitäten, Heimaten<br />
und Volksmusiken. Wer seine Wurzeln<br />
und seine Heimat kennt, kann auch<br />
Menschen mit anderen Wurzeln und einer<br />
anderen Heimat auf Augenhöhe verständnisvoll<br />
und authentisch begegnen.<br />
„Wer seine Wurzeln und<br />
seine Heimat kennt, kann<br />
auch Menschen mit anderen<br />
Wurzeln und einer anderen<br />
Heimat auf Augenhöhe verständnisvoll<br />
und authentisch<br />
begegnen.“<br />
Authentische Vielfalt<br />
Verhältnismäßig oft fielen am Samstag<br />
beim Festabend anlässlich der Verleihung<br />
des Herma Haselsteiner-Preises im „Saal<br />
Tirol“ im Congress dann genau diese<br />
Begriffe. Die Rede kam auf die Verzauberung<br />
der Stadt. Zentral waren in den<br />
anfänglichen einführenden Worten außerdem<br />
Authentizität und Begegnung als<br />
Leitkategorien. Es ist somit nicht unangemessen,<br />
davon auszugehen, dass sich<br />
diese Begriffe bedingen. Wer authentisch<br />
musiziert und kommuniziert, der zeigt<br />
sich und seine Wurzeln und macht die<br />
ganz kleinen, aber alles entscheidenden<br />
Feinheiten und Unterschiede deutlich.<br />
Durch die Begegnung mit anderen Feinheiten<br />
und Unterschieden entsteht eine<br />
authentische und gelebte Vielfalt. Der<br />
temporär verwirklichte Zustand dieser<br />
Vielfalt kann, vor allem in einer lauten<br />
Welt, die sich immer weniger um kleine<br />
und leise Nuancen kümmert, als Wiederverzauberung<br />
einer durch und durch ent-<br />
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G‘SUNGEN & G‘SPIELT | 41. JAHRGANG | HEFT 04 | DEZEMBER <strong>2016</strong>