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Gsungen & G\'spielt 4/2016

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RÜCKSICHT<br />

man erkannte im musikalischen Wettstreit<br />

Möglichkeiten, hellenistisches<br />

Kulturgut zu fördern, die Verbreitung<br />

nicht-hellenistischer Kultur einzudämmen<br />

und so auch die ‚Kolonialbevölkerung‘<br />

auf das Griechische einzuschwören.<br />

(vgl. HELMS: 2005, S. 17-23)<br />

Wiederum stellten Musikwettbewerbe<br />

die scheinbar ideale Lösung der Verbreitungs-<br />

und Verstehensproblematik<br />

im kulturschaffenden Teil des Volkes<br />

dar, als in Mitteleuropa die Reformation<br />

und entsprechende Gegenbewegungen<br />

einsetzten. Die Meistersingen – Singwettbewerbe<br />

im Spätmittelalter – entstanden<br />

Helms zufolge aus der Notwendigkeit,<br />

alles Musikalische der je<br />

katholischen oder eben nun protestantischen<br />

Konfession anzupassen und die<br />

Veranstaltungen entsprechend zu gestalten.<br />

(vgl. HELMS: 2005, S. 23-27)<br />

Auf der Suche nach dem Echten<br />

Im März 1930 veranstalteten der wahrscheinlich<br />

vielen bekannte Liedsammler<br />

und Volksmusikant Kiem Pauli und<br />

der Musikwissenschafter Kurt Huber in<br />

Zusammenarbeit mit dem Bayerischen<br />

Rundfunk ein sicherlich bis heute maßgebliches<br />

Preissingen am Tegernsee<br />

(vgl. EIBL: 1980, Buchklappentext).<br />

Kiem und Huber – beide glühende Verfechter<br />

des Echten und Unverfälschten<br />

– ging es trotz durchschlagenden Erfolgs<br />

und zahlreicher Folgeveranstaltungen<br />

dabei nie um kommerziellen<br />

Erfolg. Vielmehr stand die Frage im<br />

Fokus, was und wie im Lande gesungen<br />

wurde (vgl. KIEM 1950). Neben<br />

der Sammeltätigkeit Kiems und Hubers<br />

sowie dem gesellschaftlichen Aspekt ist<br />

aber sicherlich nicht von der Hand zu<br />

weisen, dass dieses Preissingen auch<br />

dazu dienen sollte, Grenzen zu ziehen.<br />

Grenzen zwischen dem Echten und Unechten<br />

in der Volksmusik. Wie schwierig<br />

sich ein solcher Prozess gestaltet,<br />

kann man sich in etwa vorstellen,<br />

wenn man die entsprechenden Artikel<br />

von Thomas Nußbaumer, erschienen<br />

in den letzten beiden Ausgaben dieser<br />

Zeitschrift, liest (vgl. NUßBAUMER:<br />

<strong>2016</strong>, S. 14-17 bzw. NUßBAUMER:<br />

<strong>2016</strong>, S. 26-29). Wie hier schon anhand<br />

von Helms‘ Beispielen das antike Griechenland<br />

und die spätmittelalterlichen<br />

Meistersingen betreffend aufgezeigt<br />

wurde, stehen Musikwettbewerbe also<br />

vielfach mit gesellschaftlichen Wandeln<br />

und Umbrüchen in Beziehung. An<br />

diesem Punkt stellt sich nun die Frage,<br />

inwieweit das auch auf Volksmusikwettbewerbe<br />

zutrifft. Anhand einiger<br />

Zeitzeugnisse wird jedenfalls ablesbar,<br />

dass schon zu Zeiten Kiems und Hubers<br />

(und davor) die Angst bestand, dass das<br />

traditionelle Volkslied verloren gehen<br />

könnte. Dies stellt also kein Unikum<br />

unserer Zeit dar. So äußert sich z.B. der<br />

‚Berliner Lokal-Anzeiger‘ in seinem<br />

Artikel ‚Sängerkrieg am Tegernsee‘<br />

vom 02.04.1930 zu besagtem Preissingen<br />

sehr positiv, wenn er schreibt, dass<br />

„in der Zeit der Niggermusik“ (E.K. in<br />

EIBL: 1980, S.135) die Sängerinnen<br />

und Sänger nicht „den neuesten Jazzschlager,<br />

sondern altes, halbverschollenes<br />

Volksgut“ (E.K. in EIBL: ebd.)<br />

in eigener Interpretation zum Besten<br />

gaben. Ich nehme also an, dass damals<br />

erstmals auch in Kreisen der traditionellen<br />

Volksmusik das Bedürfnis entstand,<br />

sich im Wettbewerb bewusst von anderen<br />

Musikrichtungen abzuheben. Mag<br />

es damals vielleicht große Teile der<br />

Gesellschaft betreffender Nationalismus<br />

gewesen sein, der ein Preissingen<br />

attraktiv machte, dürften zum Entstehen<br />

des alpenländischen Volksmusikwettbewerbs<br />

in Innsbruck im Jahr 1974 andere<br />

Faktoren beigetragen haben. Und dabei<br />

möchte ich mich nicht zu vorschnellen<br />

Antworten hinreißen lassen. Vielmehr<br />

würde mich Ihre Meinung interessieren.<br />

Was tat und tut sich also in unserer Gesellschaft,<br />

dass sich der alpenländische<br />

Wir haben unser Ziel erreicht! Ist es Spaß an der Freud‘ oder mehr? (Foto: Ralph Kapavik)<br />

G‘SUNGEN & G‘SPIELT | 41. JAHRGANG | HEFT 04 | DEZEMBER <strong>2016</strong> 19

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