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Unser tägliches Brot - Kirchenbezirk Geislingen

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In Palermo wohnen wir für zehn Tage im größten diakonischen<br />

Zentrum der Waldenserkirche, „Centro diaconale<br />

La Noce“. (vgl. auch den Bericht von Jakob Leube S. 34).<br />

Einfach und gut ist man dort untergebracht, und man<br />

fühlt sich sicher in einem doch etwas finster wirkenden<br />

Stadtteil.<br />

Wir haben ein Gespräch mit der jungen Direktorin,<br />

Alessandra Trotta, die von Hause aus Juristin ist und nun<br />

seit einigen Jahren Diakonin der Waldenser-Kirche. Sie<br />

erzählt von den Mafia-Strukturen der Gesellschaft, die<br />

auch in ihre Einrichtung ihre Krakenarme ausstreckt. Und<br />

es gilt beharrlich Widerstand zu leisten. Als Sizilianerin,<br />

die sie ist, weiß sie sehr gut, wo die Kompromittierbarkeit<br />

anfängt und wie man sich dem entzieht.<br />

Am Sonntag besuchen wir einen afrikanisch-waldensischen<br />

Gottesdienst. Er findet zweisprachig statt, italienisch<br />

und englisch. Gottesdienstbesucher sind Afrikaner<br />

und ganz normale, evangelische alteingesessene Gemeindeglieder.<br />

Wir hören es jede Woche im Fernsehen, dass<br />

Sizilien das Sprungbrett für afrikanische Flüchtlinge auf<br />

dem Hoffnungsweg nach Europa ist. Es erstaunt uns, wie<br />

offen und integrationsbereit diese kleine evangelische<br />

Gemeinde in Sizilien ist, ohne Angst – so scheint es – ihr<br />

Eigenstes zu verlieren.<br />

Im Dom zu Palermo stehen<br />

wir am Grabe Friedrichs II.<br />

von Hohenstaufen, dieses<br />

erstaunlichen, weltoffenen<br />

Herrschers aus Schwaben,<br />

dessen Lieblingswohnsitz<br />

Sizilien war und der lieber<br />

mit dem Sultan in Jerusalem<br />

über Philosophie und<br />

Mathematik nachsann, als<br />

Krieg gegen ihn zu führen.<br />

Wie anders könnte das<br />

Verhältnis zwischen Islam<br />

und Christentum heute sein, hätte er sich mehr durchsetzen<br />

können! Er ruht in einem Porphyrsarg an der Seite<br />

seiner Frau.<br />

Wir sehen normannische Dome, eine architektonische<br />

Synthese aus islamischer Baukunst und byzantinischer<br />

Mosaikgestaltung. Die capella Palatina, vom Schwaben<br />

Würth gesponsert, wird gerade restauriert. Beeindruckend<br />

ist auch der Dom von Monreale mit seiner 6000 m 2<br />

großen Mosaikbilder-Bibel, ebenso der Dom von Cefalù.<br />

Kennst du das Haus? Auf Säulen ruht sein Dach,<br />

Es glänzt der Saal, es schimmert das Gemach,<br />

Und Marmorbilder stehn und sehn mich an:<br />

Was hat man dir, du armes Kind, getan?<br />

Kennst du es wohl? Dahin!<br />

In Agrigento erwandern wir eine Perlenkette von<br />

Tempeln, einer beeindruckender als der andere. Weitere<br />

Tempelanlagen befinden sich in Selinunte und Segesta.<br />

Die schönsten griechischen Tempel stehen in Sizilien.<br />

Uns geht auf, dass auch heute noch unsere Maßstäbe<br />

für das, was wir als schön empfinden, von jenen fernen<br />

Griechen vom<br />

Mittelmeer<br />

geprägt worden<br />

sind.<br />

Wir besuchen<br />

eine aus dem<br />

Meer gerettete<br />

Bronzestatue,<br />

einen tanzenden<br />

Satyr, vermutlich<br />

ein Original von Praxiteles (450 v. Chr.!). Dargestellt<br />

in seinem orgiastischen Drehtanz, der ihn in Trance<br />

versetzte, stellt er einen kompletten Bruch mit der bis<br />

dahin vorherrschenden Bildhauertradition dar.<br />

Bei den Phöniziern treffen wir einen geheimnisvollen<br />

schönen Jüngling, der bis heute Rätsel aufgibt. Wen stellt<br />

er dar, den Sonnengott, wie er aus dem Wasser steigt,<br />

das eng plissierte Gewand feucht vom Meer, oder den<br />

König-Priester Hamilka, der durch sein fortwährendes<br />

Opfer den Hergang der Schlacht beeinflussen sollte?<br />

Am letzten<br />

Abend haben<br />

wir ein<br />

Gespräch mit<br />

dem Waldenserpfarrer<br />

von Palermo,<br />

Giuseppe<br />

Ficara. Er erzähltbescheiden,<br />

aber<br />

Griechisches Theater in Syrakus<br />

beeindruckend<br />

von seiner<br />

Arbeit. Von den vielen Armen, welche die Gemeinde mit<br />

Lebensmitteln unterstützt. Von den jungen Frauen aus<br />

Afrika und Osteuropa, die durch Mädchenhändler verschleppt<br />

in der Prostitution gelandet sind. Die Gemeinde<br />

versucht, sie aus dieser modernen Form der Sklaverei zu<br />

befreien und arbeitet da auch sehr fruchtbar mit der<br />

Polizei zusammen. Er erzählt von den vielen Pfingstlern,<br />

denen ihre Gemeinde zu eng wird und welche die freie<br />

Luft des Evangeliums bei den Waldensern suchen und<br />

finden. Viele, viele Seelsorgegespräche bedeutet das. Die<br />

ReiseteilnehmerInnen sind berührt und beeindruckt.<br />

Die Gruppe verlässt das Land in der Gewissheit, dass<br />

sie nicht nur die touristische Oberfläche gesehen hat,<br />

sondern auch ein wenig hinter die Kulissen hat schauen<br />

dürfen.<br />

Dekanin Gerlinde Hühn<br />

EVANG. KIRCHENBEZIRKSZEITUNG<br />

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