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Band40

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18<br />

aufgabenspezifische Plastizität des zentralnervösen Systems. Die Zunahme der EEG-Thetaund<br />

Alpha-Aktivierung nach differenziellem Lernen und im Vergleich hierzu die Zunahmen<br />

an Beta- und Gamma- Aktivierung nach Kontext-Interferenz-Lernen weisen auf<br />

unterschiedliche Formen der Gedächtnisbildung bei Kontext-Interferenz- und differenziellem<br />

Lernen hin. Eine umfangreichere Stimulation der motorischen und somatosensorischen Areale<br />

durch differenzielles Lernen scheint zu Steigerungen der EEG-Aktivitäten im Theta- und<br />

Alpha-Bereich zu führen, wohingegen die stärkere Aktivierung des EEG-Beta- und -Gamma-<br />

Bereichs eher exekutiv kontrollierten Prozessen beim Kontext-Interferenz-Lernen, das mit<br />

einer Aktivierung in frontalen Arealen einhergeht, zugeschrieben wird. In<br />

neurophysiologischen Studien zum Vergleich von Kontext-Interferenz- und<br />

Wiederholungslernen konnte belegt werden, dass Kontext-Interferenz-Lernen im Unterschied<br />

zu geblockten Trainingsdesigns frontoparietale Netzwerke, im Speziellen den dorsalen<br />

prämotorischen Cortex und den dorsolateral präfrontalen Cortex, aktiviert (Lin et al., 2011;<br />

2012; 2013).<br />

Es scheinen demnach durch Kontext-Interferenz-Lernen und differenzielles Lernen<br />

unterschiedliche neurophysiologische Wege für motorisches Lernen genutzt zu werden.<br />

Aufgaben, zwischen denen entsprechend dem Kontext-Interferenz-Lernen zwischen<br />

konkreten Aufgaben hin- und hergewechselt wird (ohne Varianten dieser Aufgaben<br />

einzubeziehen), resultieren in einem eher exekutiv kontrollierten, aufmerksamkeitsbasierten<br />

Prozess, der mit einer Aktivierung der höheren EEG-Frequenzbereiche in den vorderen<br />

Gehirnbereichen einhergeht. Werden hingegen eher ständige Variationen einer einzelnen<br />

Aufgabe ausgeführt, kommt es zu einer stärkeren Aktivierung des EEGs im niederfrequenten<br />

Bereich, vor allem in den zentralen und parietalen Regionen. Dies weist auf verstärkte<br />

Prozesse der Konsolidierung somatosensorischer und motorischer Informationen beim<br />

differenziellen Lernen hin. Die verstärkte Aktivierung der Theta- und Alpha-Frequenzbereiche<br />

geht einher mit einer Reduktion der Aktivität in den frontalen Bereichen (Clark, Christou,<br />

Ring, Williamson & Doty,2014), wohingegen Kontext-Interferenz-Lernen diese Bereiche eher<br />

zu aktivieren scheint. Ein weiterer Hinweis auf die Reduktion der exekutiv kontrollierten<br />

Prozesse durch das differenzielle Lernen liefert die transiente Hypofrontalitäts-Theorie<br />

(Dietrich, 2006). Hiernach führt eine ausgiebige Stimulation der motorischen,<br />

somatosensorischen oder visuellen Gehirnareale aufgrund eines begrenzten metabolischen<br />

Haushalts zu einer Reduktion der präfrontalen Aktivität, die mit kognitiv kontrolliertem<br />

Verarbeiten assoziiert wird. Da keine statistisch signifikanten Unterschiede hinsichtlich der<br />

frontalen Aktivierung von graduellem und chaotischem differenziellen Lernen auszumachen<br />

waren, scheint es am Trainingsplan des differenziellen Lernens per se zu liegen, dass<br />

entsprechende EEG-Aktivierungen resultieren. Beim Wiederholungslernen scheint dies nur zu<br />

einem geringen Grad zu gelingen. Differenzielles Lernen fördert daher einen optimalen<br />

Gehirnzustand für motorisches Lernen, der die Bewegungsrepräsentation in<br />

Wettkampfsituationen resistenter gegenüber externen und internen Störungen macht.<br />

War differenzielles Lernen ursprünglich ein Vorschlag, um mit grundlegenden Problemen der<br />

Individualität von Bewegungen und individuellen Reaktionen auf Interventionen umzugehen<br />

(und dies auch in Gruppen- ohne Einzeltraining anzuwenden), so deuten mittlerweile nicht<br />

nur die umfangreichen positiven Befunde der Verhaltensdaten im Sport in Form von größeren<br />

Leistungssteigerungen, sondern vor allem die emotionalen Diskussionen auf das Potenzial<br />

dieses im Ursprung abstrakten Ansatzes hin. Neben dem Transfer in zahlreiche andere<br />

Bereiche wie die Physiotherapie, die Musik oder den Schreiberwerb bei Kindern weisen vor<br />

allem die jüngsten Resultate auf zentralnervöser Ebene auf noch weiter reichende<br />

Konsequenzen in der Praxis hin. Inwiefern der Ansatz den Weg von der Individualisierung zu<br />

individuellem Training beschleunigt und damit als Turbo auch den Weg zum Selbst unterstützt,<br />

wird zukünftige Forschung zeigen. Sind auch noch zahlreiche Probleme hierzu ungelöst, so<br />

sprechen die bisherigen Befunde doch dafür, das Risiko eines alternativen Ansatzes weiter zu

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