Band40
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aufgabenspezifische Plastizität des zentralnervösen Systems. Die Zunahme der EEG-Thetaund<br />
Alpha-Aktivierung nach differenziellem Lernen und im Vergleich hierzu die Zunahmen<br />
an Beta- und Gamma- Aktivierung nach Kontext-Interferenz-Lernen weisen auf<br />
unterschiedliche Formen der Gedächtnisbildung bei Kontext-Interferenz- und differenziellem<br />
Lernen hin. Eine umfangreichere Stimulation der motorischen und somatosensorischen Areale<br />
durch differenzielles Lernen scheint zu Steigerungen der EEG-Aktivitäten im Theta- und<br />
Alpha-Bereich zu führen, wohingegen die stärkere Aktivierung des EEG-Beta- und -Gamma-<br />
Bereichs eher exekutiv kontrollierten Prozessen beim Kontext-Interferenz-Lernen, das mit<br />
einer Aktivierung in frontalen Arealen einhergeht, zugeschrieben wird. In<br />
neurophysiologischen Studien zum Vergleich von Kontext-Interferenz- und<br />
Wiederholungslernen konnte belegt werden, dass Kontext-Interferenz-Lernen im Unterschied<br />
zu geblockten Trainingsdesigns frontoparietale Netzwerke, im Speziellen den dorsalen<br />
prämotorischen Cortex und den dorsolateral präfrontalen Cortex, aktiviert (Lin et al., 2011;<br />
2012; 2013).<br />
Es scheinen demnach durch Kontext-Interferenz-Lernen und differenzielles Lernen<br />
unterschiedliche neurophysiologische Wege für motorisches Lernen genutzt zu werden.<br />
Aufgaben, zwischen denen entsprechend dem Kontext-Interferenz-Lernen zwischen<br />
konkreten Aufgaben hin- und hergewechselt wird (ohne Varianten dieser Aufgaben<br />
einzubeziehen), resultieren in einem eher exekutiv kontrollierten, aufmerksamkeitsbasierten<br />
Prozess, der mit einer Aktivierung der höheren EEG-Frequenzbereiche in den vorderen<br />
Gehirnbereichen einhergeht. Werden hingegen eher ständige Variationen einer einzelnen<br />
Aufgabe ausgeführt, kommt es zu einer stärkeren Aktivierung des EEGs im niederfrequenten<br />
Bereich, vor allem in den zentralen und parietalen Regionen. Dies weist auf verstärkte<br />
Prozesse der Konsolidierung somatosensorischer und motorischer Informationen beim<br />
differenziellen Lernen hin. Die verstärkte Aktivierung der Theta- und Alpha-Frequenzbereiche<br />
geht einher mit einer Reduktion der Aktivität in den frontalen Bereichen (Clark, Christou,<br />
Ring, Williamson & Doty,2014), wohingegen Kontext-Interferenz-Lernen diese Bereiche eher<br />
zu aktivieren scheint. Ein weiterer Hinweis auf die Reduktion der exekutiv kontrollierten<br />
Prozesse durch das differenzielle Lernen liefert die transiente Hypofrontalitäts-Theorie<br />
(Dietrich, 2006). Hiernach führt eine ausgiebige Stimulation der motorischen,<br />
somatosensorischen oder visuellen Gehirnareale aufgrund eines begrenzten metabolischen<br />
Haushalts zu einer Reduktion der präfrontalen Aktivität, die mit kognitiv kontrolliertem<br />
Verarbeiten assoziiert wird. Da keine statistisch signifikanten Unterschiede hinsichtlich der<br />
frontalen Aktivierung von graduellem und chaotischem differenziellen Lernen auszumachen<br />
waren, scheint es am Trainingsplan des differenziellen Lernens per se zu liegen, dass<br />
entsprechende EEG-Aktivierungen resultieren. Beim Wiederholungslernen scheint dies nur zu<br />
einem geringen Grad zu gelingen. Differenzielles Lernen fördert daher einen optimalen<br />
Gehirnzustand für motorisches Lernen, der die Bewegungsrepräsentation in<br />
Wettkampfsituationen resistenter gegenüber externen und internen Störungen macht.<br />
War differenzielles Lernen ursprünglich ein Vorschlag, um mit grundlegenden Problemen der<br />
Individualität von Bewegungen und individuellen Reaktionen auf Interventionen umzugehen<br />
(und dies auch in Gruppen- ohne Einzeltraining anzuwenden), so deuten mittlerweile nicht<br />
nur die umfangreichen positiven Befunde der Verhaltensdaten im Sport in Form von größeren<br />
Leistungssteigerungen, sondern vor allem die emotionalen Diskussionen auf das Potenzial<br />
dieses im Ursprung abstrakten Ansatzes hin. Neben dem Transfer in zahlreiche andere<br />
Bereiche wie die Physiotherapie, die Musik oder den Schreiberwerb bei Kindern weisen vor<br />
allem die jüngsten Resultate auf zentralnervöser Ebene auf noch weiter reichende<br />
Konsequenzen in der Praxis hin. Inwiefern der Ansatz den Weg von der Individualisierung zu<br />
individuellem Training beschleunigt und damit als Turbo auch den Weg zum Selbst unterstützt,<br />
wird zukünftige Forschung zeigen. Sind auch noch zahlreiche Probleme hierzu ungelöst, so<br />
sprechen die bisherigen Befunde doch dafür, das Risiko eines alternativen Ansatzes weiter zu