AKZENTE ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT D – Bodman-Ludwigshafen | Erinnern Sie sich? In unserer Juni-Ausgabe hatten wir die „wohl größte Kühltruhe Europas“, den Bodensee mit seinen faszinierenden archäologischen Funden, vorgestellt. Doch nicht nur das Stonehenge im Bodensee oder das im April geborgene 3000 Jahre alte Boot fasziniert die Altertumsforscher. Auch bei der weiteren Erforschung der ältesten Wandmalerei nördlich der Alpen ist Spannung angesagt. Obwohl sie bereits Anfang der 1990er-Jahre von Taucharchäologen in einer Pfahlbausiedlung bei Bodman-Ludwigshafen geborgen und 2016 der Öffentlichkeit vorgestellt wurden, gehen die Arbeiten an den ältesten figuralen Wandmalereien nördlich der Alpen noch weiter. Bei dem spektakulären Fund handelt es sich – mit Ausnahme einiger weiterer Funde aus Sipplingen – um die einzigen bekannten Wandmalereien aus den zirkumalpinen Pfahlbauten. Und noch dazu von beachtlicher Größe! Zur Abgrenzung: die Felsbilder in Skandinavien sind jünger, weitere Wandmalereien der Jungsteinzeit in Europa meist nur handtellergroß erhalten und die Felsbilder in den Alpen sind eingemeißelt. Lediglich im Karpatenbecken und in Kleinasien sind umfangreiche, ältere Wandmalereien bekannt. Das rund neun Meter breite Wandbild, das vor nahezu 6000 Jahren im Bodensee untergegangen war, wurde über viele Jahre aus über 2000 Fragmenten wieder zusammengestellt und 2016 in einer Landesausstellung erstmals gezeigt. Doch: „Das große Puzzle geht noch weiter“, so Dr. Helmut Schlichtherle vom Dienstsitz Hemmenhofen des Landesamtes für Denkmalpflege. Obwohl er offiziell seit 2016 im Ruhestand ist, lässt ihn der gigantische Fries nicht los. „Es ist schön, dass ich weiter forschen darf.“ Dank technischer Verbesserungen können selbst jetzt, zwei Jahre später, noch immer weitere Details entdeckt werden. Die Faszination steckt im Detail Schlichtherles Vorteil: „Ich kann das Wandbild lesen und verstehen.“ Heißt, er kann gedanklich Lücken schließen und so beispielsweise auch Zwischenmotive entdecken. So weiß das Team um ihn, dass es sich nicht nur um sieben dargestellte Frauen handelt, wie noch 2016 vermutet, sondern um acht oder neun. Die weiteren Auswertungen und neuen Dokumentationen brauchen allerdings Zeit, sodass vorläufig nicht an eine weitere Ausstellung zu denken ist. Zudem bräuchte es einen mindestens 50 Quadratmeter großen Ausstellungsraum, um den Fries vernünftig zu zeigen. „Ich bin froh, dass die Sachen derzeit wieder bei uns sind“, gibt der passionierte Forscher zu. Dennoch muss die Öffentlichkeit nicht ganz darauf verzichten: Einige Elemente werden noch dieses Jahr im Gropius Bau in Berlin ausgestellt im Rahmen der Schau „Bewegte Zeiten. Archäologie in Deutschland“. Kein Raum für Spekulationen Dass auch in Hemmenhofen nicht nur fürs Archiv gearbeitet wird, zeigen die ersten Ausführungen und Erkenntnisse über diesen 6000 Jahre alten Fund. „Wir haben eine einzigartige Geschichte hier“, bringt es Helmuth Schlichtherle auf den Punkt. Der Fries ist ein wichtiges Puzzleteil im Wissen um die Verhältnisse vor 6000 Jahren in Mitteleuropa. „Es ist wichtig, historische Erkenntnisse zu gewinnen, um wilde Spekulationen zu verhindern“, so Schlichtherle. Erkenntnisse, die beleg- und nachvollziehbar sind. Bei der großen rekonstruierten Wandmalerei wurde beispielsweise klar, dass ein monumentales Bild wiedergewonnen wurde, das für die Religions- und Sozialgeschichte der mitteleuropäischen Jungsteinzeit von großer Bedeutung ist. Aus dem Fund der mindestens acht bis neun dargestellten Frauen, die auch plastisch geformte, fast lebensgroße Brüste haben, lassen sich neue Erkenntnisse ableiten: „Es ist nicht die Verehrung einer großen Muttergöttin, wie das vielfach für die Steinzeit angenommen wird. Das Wandbild zeigt vielmehr einen Ahnfrauenkult und bringt neuen Wind in die Diskussion um religiöse Dimensionen der Jungsteinzeit“, weiß Helmut Schlichtherle. Neben den religiösen Erkenntnissen sind auch die damals angewandten Malereitechniken interessant und geben Auskunft über die Entwicklung des Menschen. Zudem lassen sich aus den Funden im und am Bodensee Informationen über Wasserspiegelschwankungen und Uferzonengestaltungen ableiten, was nicht zuletzt auch vielen Fachbereichen bei der Planung zukünftiger Projekte nutzt. www.denkmalpflege-bw.de, www.archaelogie-online.de TEXT: TANJA HORLACHER FOTO: LANDESAMT FÜR DENKMALPFLEGE IM REGIERUNGSPRÄSIDIUM STUTTGART 22
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