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akzent August '18 GB

akzent – DAS GRÖSSTE LIFESTYLE- & VERANSTALTUNGSMAGAZIN VOM BODENSEE BIS OBERSCHWABEN

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SEE-LEUTE<br />

Rückblende: Hunderttausende Besucherinnen und Besucher halten<br />

am 13. <strong>August</strong> 1993 um 17 Uhr den Atem an. Nur das Aufheulen der<br />

modifizierten KTM des Stuntmans ist weithin zu hören. Die Maschine<br />

gleicht einem feurigen Höllenbiest, das ungeduldig darauf wartet, von<br />

der Kette gelassen zu werden. Im letzten Moment hat die Öffentlichkeit<br />

an einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz vom Rekordversuch<br />

erfahren. Die Bestimmung der 46 respektive 19 Meter langen und über<br />

10 Meter hohen Holzrampen an den beiden gegenüberliegenden Ufern<br />

war entsprechend wochenlang ein Thema für Spekulationen gewesen.<br />

Doch niemand konnte sich selbst im Traum einen solchen Todessprung<br />

ausmalen.<br />

Im Stil einer Kommandoaktion seien sie damals bei der Vorbereitung<br />

vorgegangen, erzählt Brutus Bildstein, der diese als Jugendlicher miterlebt<br />

hat. Er empfängt uns im Anwesen mit Seeanstoß, gießt allen einen<br />

alten Bourbon ein. Brutus Bildstein ist nach dem Rücktritt seines Vaters<br />

Felix in dessen Fußstapfen getreten. Er vermarktet, seitdem sich sein Vater<br />

aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hat, um im Piemont ein Weingut<br />

zu betreiben, auch dessen Marke und popkulturelles Erbe. Brutus<br />

ist ein agiler Hüne, alterslos, trägt sein weißes Hemd offen, dass die<br />

schmerzhaften Spuren seiner halsbrecherischen Aktionen offenliegen. Er<br />

sei ein Global Citizen zwischen Maui, Mumbai und Miami. Das Haus am<br />

Bodensee habe er aus Nostalgie, vielleicht sogar aus Heimweh gekauft.<br />

„Es war 1993 noch Abenteuer, ohne Computersimulationen, mit einem<br />

kleinen verschwiegenen Team“, meint er nostalgisch. „Wir haben<br />

den Schreinern gesagt, es handle sich um Lawinenverbauungen. Für<br />

die G-Kräfte-Testanlage haben wir lange nach einem großen Raum<br />

gesucht. Über den ehemaligen Leiter der Kartause Ittingen haben wir<br />

dann die weitverzweigten Katakomben dieser Klosteranlage gefunden.“<br />

Getarnt als Dachdecker seien sie über das sogenannte „Mörderloch“<br />

an der Nordostmauer in die Keller gelangt. Dass heute seine G-Kräfte-<br />

Testanlage im Rahmen einer Ausstellung im Keller installiert ist, bringt<br />

Stuntman Brutus zum Schmunzeln. „History repeats itself“, meint er<br />

vielsagend und lacht.<br />

„Seine eigene Sicherheit hat meinen Vater früher einen Scheiß interessiert!<br />

Für ihn gab es immer nur seine Mission“, meint Brutus Bildstein.<br />

„Die Bedingungen am 13. <strong>August</strong> 1993 waren äußerst ungünstig. Mein<br />

Vater war schwer verletzt, was jedoch unter keinen Umständen durchsickern<br />

durfte!“ Drei Monate vor dem Sprungtermin sei sein Vater<br />

auf einer fehlkonstruierten Landerampe auf dem Testgelände in Utah<br />

eingebrochen und habe sich multiple Brüche an der linken Körperseite<br />

zugezogen: „Aber ein Bildstein ist knallhart. Nie aufgeben, alles durchziehen<br />

für die Show – das habe ich dort von ihm gelernt!“<br />

„Damals bin ich zum Daredevil geworden. Mein Vater konnte nicht<br />

springen … Da war klar: Ich muss als Testfahrer ran. ,Es ist nun an dir,<br />

mein Sohn, die Ehre der Familie zu retten’, hat mir mein Vater eingebläut.“<br />

Die Augen von Brutus funkeln: „Mein Vater hat die Rampen<br />

und den Sprung im Verhältnis 1 zu 2 nachgebaut und mich auf eine<br />

KTM mit etwas weniger Leistung gesetzt.“ Die Erzählung stockt kurz.<br />

„Ich hatte super viel Angst und war fast noch ein Kind, war bisher nur<br />

Rennen gefahren, noch nie solche Distanzen gesprungen. Vater hat mir<br />

die Hand auf die Schuler gelegt und gesagt: ,Du kannst abrollen, mehr<br />

brauchst du nicht. Ein wahrer Bildstein ist ein Überflieger, kein Rider!‘“<br />

Einen ersten Testsprung habe er verhauen, das Abrollen dringend gebraucht,<br />

um nur mit einigen Schrammen davonzukommen. Sein Vater<br />

habe ihn mit den blauen Flecken wortlos wieder aufs Bike gesetzt<br />

und der nächste Sprung sei dann gelungen! „Ich machte einen, zehn,<br />

hundert, unzählige Sprünge, bis wir das ideale Material für die Rampenkonstruktion<br />

gefunden hatten.“<br />

Brutus Bildstein blickt grimmig: „Selbstverständlich bin ich in meinem<br />

jugendlichen Übermut davon ausgegangen, dass ich den Sprung<br />

am Bodensee mache. Mein Vater konnte sich ja kaum bewegen.<br />

Wenige Minuten vor dem Sprung – ich stand schon bereit, das Adrenalin<br />

pumpte, ich zitterte am ganzen Körper – kam mein Vater und<br />

schob mich wortlos zur Seite. Vor meinen Augen ließ er sich unter<br />

Stöhnen auf die Maschine schnallen.“ In den Medien wird man nur<br />

von einem Handbruch lesen, der mit einer Spezialschiene problemlos<br />

kompensiert worden sei. Zu seinem Sohn sagte er kurz und knapp:<br />

„Let’s try or die …“<br />

„Ich habe Rot gesehen, war unglaublich wütend und in Angst. Ich<br />

habe mir zum Entsetzten meiner Mutter ein Bike geschnappt und bin<br />

davongerast, habe erst drei Stunden später irgendwo teilnahmslos<br />

vom Weltrekord erfahren. Ich hatte Angst zurückzukehren, doch als<br />

ich auf den Hof fuhr streckte mir mein Vater bloß die Hand hin und<br />

begrüßte mich mit ‚Welcome to the team.‘“ Fast feierlich: „Seit diesem<br />

Zeitpunkt ist der ultimative Jump mein Leben!“<br />

Eine veritable suicide mission sei das Unterfangen 1993 gewesen, betont<br />

der Leiter der Motoradstaffel der Zürcher Stadtpolizei im Rückblick.<br />

Es sei kein Zufall, dass der Sprung niemals wiederholt wurde. Er sei<br />

schlicht viel zu gefährlich und würde heute niemals mehr bewilligt:<br />

„Die Jugend hat im Motorradsport leider eine Menge falscher Vorbilder<br />

und mit Felix Bildstein hat dies begonnen.“ Brutus Bildstein kontert:<br />

„Autoritäten verabscheuen wahre Freiheit und jedes Risiko.“ Das sei<br />

der Grund, warum er nicht mehr in Mitteleuropa springe. Nun steht<br />

jedoch seit 2017 vor der Kartause Ittingen plötzlich ein 16 Meter hoher<br />

Doppellooping. Hat Brutus Bildstein hier nicht seine Hände im<br />

Spiel? Ist der Doppellooping „LOOP“ wirklich unbenutzbar, wie die<br />

Verantwortlichen bei jeder Gelegenheit nachdrücklich betonen? „Wer<br />

weiß …“ Brutus Bildstein fügt vielsagend an: „Manchmal passiert ja<br />

Unvorhergesehenes.“<br />

Was heißt das nun? Ist vor der Kartause Ittingen Action geplant? Wir<br />

fragen direkt an: Verwirrung. Am Telefon will uns niemand Auskunft<br />

geben. Dann folgt prompt das schriftliche Dementi. „LOOP“ sei nicht<br />

benutzbar, ein fragiles Kunstwerkt noch dazu, welches man nicht für<br />

einen draufgängerischen Stuntman gebaut habe. Zwei Tage später<br />

auch der Rückzieher des Managements von Brutus. Seine Aussage im<br />

Interview sei missverstanden worden, war scherzhaft gemeint, ein Befahren<br />

von „LOOP“ nie ein Thema gewesen. Doch wer sich an den<br />

unermesslichen Jubel vor 25 Jahren erinnert, als Felix Bildstein in dem<br />

atemberaubenden Sprung mit einem gewaltigen Feuerschweif von<br />

Kreuzlingen nach Konstanz schoss, der weiß: Es gilt das Motto „Bildstein.<br />

No fear – no limits!“. Da ist mit allem zu rechnen …<br />

www.bildsteinglatz.com/brutus<br />

TEXT: ADRIAN DORRMAN<br />

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