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Capture your life

Die Broschüre richtet sich an haupt-und ehrenamtliche Akteur*innen in der Jugendverbandsarbeit/Jugendhilfe. Neben einer umfangreichen Einführung in die Theorie des Digital Storytellings bietet die Handreichung konkrete Hilfestellung zur Gestaltung eines eigenen Digital Storytelling Workshops sowie einer sozialwissenschaftlichen Analyse einzelner Digital Storys.

Die Broschüre richtet sich an haupt-und ehrenamtliche Akteur*innen in der Jugendverbandsarbeit/Jugendhilfe. Neben einer umfangreichen Einführung in die Theorie des Digital Storytellings bietet die Handreichung konkrete Hilfestellung zur Gestaltung eines eigenen Digital Storytelling Workshops sowie einer sozialwissenschaftlichen Analyse einzelner Digital Storys.

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Kapitel 4<br />

4. Was ist Biographiearbeit?<br />

Der Begriff der Biographie setzt sich zusammen aus den<br />

griechischen Wörtern bios (Leben) und graphein (darstellen,<br />

schreiben) und bedeutet so viel wie Lebensbeschreibung.<br />

Dieser Herleitung kann man bereits entnehmen, dass es sich<br />

bei einer Biographie nicht um ein passives Abbild von gelebten<br />

Leben, sondern vielmehr um das Ergebnis eines sehr<br />

individuellen und gestalterischen Prozesses handelt.<br />

Biographie wird also nie nur wiedergegeben, sondern immer<br />

auch vom Individuum selbst hergestellt, und zwar vor dem<br />

Hintergrund und unter Einfluss der eigenen sozialen Teilhabe,<br />

des Milieus, der Kultur und der jeweiligen Zeit. Der Begriff<br />

der Arbeit deutet in diesem Zusammenhang darauf hin,<br />

dass dieser Prozess zielgerichtet und beabsichtigt ist. Kurz<br />

gesagt handelt es sich bei der Biographiearbeit also um die<br />

Beschäftigung und die kreative Auseinandersetzung mit der<br />

eigenen Lebensgeschichte. Diese „biographische Selbstreflexion“<br />

wird meistens pädagogisch angeleitet und begleitet.<br />

Je nach Arbeitsfeld und Adressat*innengruppe findet man<br />

in der Praxis unterschiedliche Ansätze des biographischen<br />

Arbeitens. So hat zum Beispiel das biographische Arbeiten<br />

in der Altenhilfe einen eher pflegerischen Ansatz, während<br />

dem Arbeiten in der Jugendhilfe in den meisten Fällen ein<br />

eher pädagogischer Ansatz zu Grunde liegt.<br />

Auch in der Psychotherapie finden Formen der Biographiearbeit<br />

Anwendung. Die angewandten Verfahren und<br />

Methoden unterscheiden sich je nach Kontext deutlich voneinander<br />

(Genogramm, Theater, Rollenspiele, Film et cetera),<br />

daher ist es kaum möglich, das Konzept „Biographiearbeit“<br />

einheitlich zu erfassen oder als Methode zu beschreiben.<br />

Allem biographischen Arbeiten ist aber die Vorstellung<br />

gemein, dass es ein zutiefst menschliches Bedürfnis ist, dem<br />

eigenen Leben eine Bedeutung zu geben (vgl. Jansen, 2011).<br />

4.1 Warum Biographiearbeit?<br />

Trotz unterschiedlicher Adressat*innengruppen, Verfahren<br />

und Methoden lassen sich übergeordnete Ziele und Funktionen<br />

biographischen Arbeitens beschreiben, auf die in<br />

unterschiedlichen Zusammenhängen der praktischen Biographiearbeit<br />

immer wieder verwiesen wird. Hierzu gehören:<br />

1. Identitätsentsentwicklung<br />

Eine wichtige Funktion des biographischen Arbeitens besteht<br />

darin, Menschen bei der Entwicklung ihrer Identität zu<br />

unterstützen. Diese Funktion steht besonders dann im<br />

Vordergrund, wenn es um das Verarbeiten von kritischen<br />

Lebensereignisse oder lebensgeschichtlichen Brüchen geht<br />

(vgl. Filipp, 2007). Zu den kritischen Lebensereignissen<br />

gehören zum einen unvorhersehbare Ereignisse, wie zum<br />

Beispiel Verlust oder Trennung von Bezugspersonen, Krankheiten,<br />

Gewalterfahrungen oder andere Ereignisse, die<br />

das bisherige Lebenskonzept in Frage stellen. Gleichzeitig<br />

gehören hierzu aber auch sogenannte normierte Umbruchsituationen,<br />

die im Lebenslauf durchaus vorhersehbar sind<br />

zum Beispiel Schulabschluss, Auszug aus dem Elternhaus<br />

oder Familiengründung.<br />

Fragen wie: „Wer war ich?“, „Wer bin ich?“, „Wer werde<br />

ich sein?“ werden hier gestellt und bearbeitet.<br />

„Man wird so oft gefragt, wer man mal sein will, so<br />

beruflich und so, aber es fragt eigentlich nie jemand<br />

danach, wie man zu dem Menschen geworden ist,<br />

der man ist. Das war ja auch Arbeit. Da hab ich was<br />

geleistet.“ (Maya, 19 Jahre)<br />

14<br />

Kritische Lebensereignisse sind in beiden Fällen dadurch<br />

charakterisiert, dass sie den betreffenden Personen von<br />

„Außen“ aufgezwungenen werden. Sie haben deswegen<br />

immer auch das Potential, Verunsicherung hervorzurufen,<br />

Selbstsicherheit zu beschädigen und Identität zu bedrohen.<br />

Im Rahmen der Biographiearbeit geht es dann um ein<br />

„Arbeiten an der Diskontinuität“ des eigenen Lebens (vgl.<br />

Alheit, 2003). Ziel ist es, Brüche und kritische Lebensereignisse<br />

sinnvoll in die eigene Lebensgeschichte zu integrieren<br />

und damit die eigene Identität(sentwicklung) zu stärken.<br />

15<br />

2. Stabilisierung und Bewältigung<br />

Eine weitere wichtige Funktion der Biographiearbeit besteht<br />

darin, Menschen bei der Bewältigung von oben genannten<br />

kritischen Lebensereignissen zu unterstützen und sie so in<br />

ihrer Krise oder im Nachgang einer Krise zu stabilisieren. Bewältigung<br />

meint in diesem Zusammenhang alle Formen der<br />

Auseinandersetzung mit inneren oder äußeren Zuständen<br />

(Gefühlen oder Ereignissen), die die momentan verfügbaren<br />

Ressourcen einer Person übersteigen und sie deshalb in ihrer

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