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Capture your life

Die Broschüre richtet sich an haupt-und ehrenamtliche Akteur*innen in der Jugendverbandsarbeit/Jugendhilfe. Neben einer umfangreichen Einführung in die Theorie des Digital Storytellings bietet die Handreichung konkrete Hilfestellung zur Gestaltung eines eigenen Digital Storytelling Workshops sowie einer sozialwissenschaftlichen Analyse einzelner Digital Storys.

Die Broschüre richtet sich an haupt-und ehrenamtliche Akteur*innen in der Jugendverbandsarbeit/Jugendhilfe. Neben einer umfangreichen Einführung in die Theorie des Digital Storytellings bietet die Handreichung konkrete Hilfestellung zur Gestaltung eines eigenen Digital Storytelling Workshops sowie einer sozialwissenschaftlichen Analyse einzelner Digital Storys.

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Kapitel 9<br />

48<br />

Jane Schuch<br />

9. Digital Storytelling als wirksamer jugendlicher<br />

Selbstausdruck<br />

Dr. Jane Schuch lehrt und forscht am Institut für Erziehungswissenschaft<br />

der Humboldt-Universität zu Berlin. Einer ihrer<br />

Forschungsschwerpunkte ist Visualität in sozialwissenschaftlicher<br />

Perspektive. Gearbeitet hat sie insbesondere zu Fotografie<br />

als soziale Praxis und zum Nutzen von Fotografien als<br />

Quellen für historische Bildungsforschung.<br />

Die auf der DVD präsentierten Filme bieten in dieser Auswahl<br />

einen hervorragenden Einblick in das Potential der Methode<br />

des Digital Storytellings - und dies in mehrfacher Hinsicht.<br />

Zum einen wird deutlich, wie unterschiedlich Digital Storytelling<br />

von den Tellern umgesetzt werden kann und zwar in den<br />

Themensetzungen, der Erzähldramaturgie und der visuellen<br />

Gestaltung ihrer Filme. Zum anderen zeigen die Videos, dass<br />

Jugendliche beziehungsweise junge Erwachsene hier eine<br />

Form der wirksamen Auseinandersetzung mit sich, ihrer persönlichen<br />

Geschichte und den Formen ihres Umgangs damit<br />

finden können. Diese Filme sind jugendlicher Selbstausdruck<br />

in beeindruckender Art und Weise – selbstbestimmt,<br />

unmittelbar und außerordentlich kreativ. Sie sind sehr intim<br />

und sie berühren. Gleichzeitig erzeugen die Filme und ihre<br />

Produktion noch viel mehr. Jenseits der Möglichkeit, ihren<br />

Erfahrungen und Empfindungen einen selbstbestimmten<br />

Ausdruck zu geben, stellen sie für die Filmemacher*innen<br />

eine wirksame Form der lebendigen Auseinandersetzung mit<br />

gewichtigen und herausfordernden Lebenserfahrungen dar.<br />

Die Erzählungen<br />

Gemeinsam ist allen Filmen, dass es fast immer um so<br />

genannte kritische Lebensereignisse wie Umzüge in Kindheit<br />

oder Jugend, Veränderungen von Familienkonstellationen,<br />

Abschiebung und so weiter geht oder dass ein individuell<br />

sehr bedeutendes Lebensthema wie das Aufwachsen ohne<br />

Mutter, persönliche Leidenschaften, Transidentität, Gestaltung<br />

von Beziehungen und so weiter thematisiert wird. Wie<br />

ein Ereignis, eine Episode, ein Thema von den Erzählenden<br />

gesetzt und aufbereitet wird, ist sehr unterschiedlich. So<br />

finden wir Lebensthemen, die anhand des Lebens einer<br />

Freundin erzählt werden („Christina), Filme ohne jegliche<br />

Erzählstruktur, die nur erahnen lassen, wie aufwühlend<br />

und prägend ein Ereignis oder eine Lebensphase gewesen<br />

sein muss („Utopie. Y. Yo – Utopie & Ich“), die Präsentation<br />

von Leidenschaften und dem persönlichen Lebensbezug<br />

(„Zurückziehen“; „Die Frage nach dem Warum“), tabuisierte<br />

Familiengeschichten und deren Verstrickungen mit dem<br />

eigenen Leben („love letter to dad“), unbewältigte Ereignisse<br />

(„Blind“). Diese Bandbreite der Narrationen spiegelt<br />

sich auch in den Dramaturgien, den aufgesprochenen<br />

Erzählungen wider – Geschichten werden chronologisch<br />

oder zeitlich versetzt erzählt, manche Erzählungen verweigern<br />

sich jeglicher Struktur. Aber all dies funktioniert und<br />

findet letztlich zu einem stimmigen Gesamtwerk – für die<br />

Schaffenden selbst, denn sie haben den Film in dieser Form<br />

entstehen lassen und aber auch für die Betrachtenden, wie<br />

auf der DVD gut nachvollziehbar.<br />

Die Visualisierungen<br />

Die Visualisierung ihrer Geschichten setzen die Filmemacher*innen<br />

zumeist mit von ihnen selbst ausgewählten<br />

und zum Workshop mitgebrachten Erinnerungsstücken um.<br />

Diese Ego-Dokumente (vgl. Häder 2004) im besten Sinne<br />

sind zum Großteil private Fotografien oder Fotoalben, aber<br />

auch Tagebuchaufzeichnungen, Briefe oder Geburtsurkunden.<br />

Einige Jugendliche beziehungsweise junge Erwachsene<br />

erschaffen visuelle Präsentationen, indem sie während des<br />

Workshops für ihren Film zeichnen, basteln, schreiben,<br />

fotografieren und/oder sich selbst filmisch oder fotografisch<br />

in Szene setzen.<br />

Die Verbindung von Erzählung und Visualisierung<br />

Die Ego-Dokumente werden entweder sprachlich von den<br />

Macher*innen selbst interpretiert oder sie laufen parallel als<br />

Kommentar, sozusagen als visueller Subtext zur Sprache.<br />

Die Filmemacher*innen setzen sich hier mit Artefakten ihrer<br />

49<br />

eigenen Biografie auseinander, deuten sie neu und verorten<br />

sie, gebunden an eigenes Erleben und Erfahren, im Hier<br />

und Jetzt. Der Umgang mit dem visuellen Hauptmedium der<br />

Filme, der privaten Fotografie, ist ausgesprochen spannend.<br />

Mitgebrachte und in die Filme eingebaute Fotografien<br />

werden nicht nur kontextualisiert: „Das bin ich und hier ist<br />

… “, „Hier mache ich das und das“, sondern auch interpretiert:<br />

„Wieso schaut er so?“. In den meisten Fällen jedoch<br />

werden die Fotografien in die Gesamterzählstruktur ohne<br />

direkten sprachlichen Bezug eingebaut und unterstützen<br />

die Erzählung, erweitern sie oder irritieren und verwirren<br />

sie. Dies geschieht zum einen durch die Bildauswahl und die<br />

Reihenfolge der Bildpräsentation an sich, aber auch durch<br />

ästhetische Gestaltungsmittel wie durch den gewählten<br />

Bildausschnitt und der Fokussierung und Platzierung in der<br />

jeweiligen Filmszene.<br />

Die Filme als jugendlicher Selbstausdruck<br />

Die Filme zeigen insgesamt sehr eindrucksvoll, wie Digital<br />

Storytelling als selbstbestimmter Selbstausdruck von Jugendlichen<br />

beziehungsweise jungen Erwachsenen gelingt. Nicht<br />

nur, weil sie ästhetisch und inhaltlich ansprechende Filme<br />

sind, sondern auch, weil sie als Selbstzeugnisse junger Menschen<br />

vom Selbst auf die Welt verweisen. Interessanterweise<br />

sind die „berührenden Momente oder Ereignisse, Personen,<br />

die man nie vergisst oder Ereignisse, die uns verändert haben“<br />

(so auf einer Einladung zum Workshop) nicht an erster<br />

Stelle, wie vielleicht erwartbar, die erste Liebe oder jugendkulturelle<br />

Events wie Partys, Konzertbesuche et cetera. Auch<br />

die Lebenswelt „Schule“ spielt in den Erzählungen nahezu<br />

keine Rolle. Der Großteil der Filme thematisiert Beziehungen,<br />

die das Versprechen der dauerhaften Bindung in sich<br />

tragen: Eltern und Freundschaften. Beziehungen, die uns<br />

durchs Leben tragen.<br />

Ein weiterer Teil der Filme stellt Lebensleidenschaften<br />

(Schreiben, Zeichnen, Sport) in den Mittelpunkt, die darauf<br />

verweisen, wie Jugendliche und junge Erwachsene mit<br />

Themen wie Einsamkeit, Mobbing und persönlichem Ehrgeiz

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