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KUNSTINVESTOR AUSGABE SEPTEMBER 2018

Kunst als Kapitalanlage AUSGABE SEPTEMBER 2018 Chefredakteur: Michael Minassian

Kunst als Kapitalanlage
AUSGABE SEPTEMBER 2018
Chefredakteur: Michael Minassian

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KUNST.INVESTOR Kunsthalle Wien Karlsplatz<br />

Anfang 2014 präsentierte Saâdane Afif anlässlich der 5.<br />

Biennale von Marrakesch die Performance Souvenir:<br />

La Leçon de Géométrie. Er lud Professor Dahmad<br />

Boutfounast ein, auf dem Djemaa el Fna, dem<br />

legendären Hauptplatz der Stadt, Geometrieunterricht<br />

zu geben. In der Abenddämmerung versammeln sich<br />

dort Akrobaten, Krämer, Geschichtenerzähler, Musiker,<br />

Schlangenbeschwörer, Wahrsager und allerlei Gauner,<br />

um ihr Können zu zeigen oder ihrem Gewerbe<br />

nachzugehen. Professor Boutfounast fand sich jeden<br />

Abend mit einem Flipchart ein, um sein Publikum die<br />

Grundlagen der euklidischen Geometrie in sieben<br />

Kapiteln zu lehren: Punkt, Linie und Ebene; Kreis;<br />

Dreieck; Quadrat; Rechteck; Vieleck und schließlich<br />

Rauminhalt. In einem Prozess der Sedimentierung und<br />

Verkettung wurde die Performance zum<br />

Ausgangspunkt einer linguistischen und formalen<br />

Untersuchung, aus der die erste neue Arbeit<br />

hervorging, die der Künstler nun in seiner Ausstellung<br />

This Is Ornamental in der Kunsthalle Wien zeigt. 2016<br />

beauftragte Saâdane Afif den Schriftsteller Thomas<br />

Clerc mit einem Theaterstück auf Grundlage von<br />

Souvenir: La Leçon de Géométrie, in dem er ein vom<br />

Künstler erdachtes Szenario ausarbeiten sollte: „Einige<br />

Zeit später spielte sich Merkwürdiges in Marrakesch ab;<br />

einige der Gestalten, die typischerweise auf dem<br />

Djemaa el Fna anzutreffen waren, begannen, sich ‚auf<br />

Geometrie‘ zu verständigen, das heißt eine<br />

ornamentale Sprache zu sprechen. Wir beobachteten –<br />

und mehr noch, belauschten – Gespräche von<br />

höchstem Abstraktionsgrad in den Gassen der Kasbah<br />

oder auf den Café- Terrassen am Rande des Platzes.<br />

Eines dieser Gespräche wird ein Zeuge, der selbst<br />

dabei war, uns nun einige Jahre später in Wien<br />

originalgetreu wiedergeben.“ Die literarische<br />

Auftragsarbeit erscheint als Erweiterung eines<br />

vergangenen Ereignisses – der Performance – und<br />

zugleich als Versprechen auf die Zukunft im Werk des<br />

Künstlers: Sie geht aus ihm hervor und ist zugleich<br />

Quelle von Anregungen für neue Entwicklungen. Erst<br />

2017 entdeckte der Künstler in Marrakesch im Maison<br />

de la Photographie ein Porträt aus den 1930ern, das<br />

eine junge Araberin beim Carambolagespiel zeigte1.<br />

Es handelte sich um Yasmine d’Ouezzan (1913–1997),<br />

eine Französin mit marokkanischen Wurzeln, die<br />

Siegerin der ersten Carambolagemeisterschaft für<br />

Frauen in Frankreich und Muse einiger Künstler ihrer<br />

Zeit war. Sie war Teil des für das Stück zu<br />

bearbeitenden Materials und verwandelte sich während<br />

der Arbeit daran in seine Protagonistin. Die Erzählung<br />

und die Charakterisierung der Figuren oszillieren<br />

zwischen Absurdität, Abstraktion, Klischee und<br />

Karikatur, was vielfältige Interpretationsmöglichkeiten<br />

eröffnet. Trotz der abstrakten Sprache und der<br />

manchmal absurden Situationen dreht sich das Stück<br />

um eine Suche nach Sinn, Yasmines persönliche<br />

Sinnsuche, die als Suche nach einem Heptaeder –<br />

einem geometrischen Körper mit sieben Flächen, der<br />

einem Haus ähnelt – dargestellt wird. Die Erreichung<br />

ihres Ziels scheint vom Austausch mit den sieben<br />

anderen Figuren abzuhängen, durch den sie sich<br />

schließlich für ein radikal Anderes öffnet. Sprache wird<br />

zum Werkzeug wie Ornament in den Beziehungen<br />

zwischen den Figuren und begleitet Yasmine auf der<br />

Reise in eine andere Daseinsform. This Is Ornamental<br />

in der Kunsthalle Wien Karlsplatz ist Afifs erstes<br />

Ausstellungsexperiment auf Grundlage von Thomas<br />

Clercs Text L’Heptaèdre und bezieht sich auf dessen<br />

zwei Hauptelemente: den Text selbst als sprachliches<br />

Material und seine Hauptfigur Yasmine d’Ouezzan.<br />

[Kunsthalle Wien Karlsplatz. Dauer von 19 September<br />

bis 18. November <strong>2018</strong> Foto: © Kunsthalle Wien]

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