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Berliner Kurier 10.10.2018

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*<br />

SERIE<br />

EXPEDITION OST<br />

DDR- Erbe neu entdeckt −<br />

waswir vom Gestern für<br />

morgen lernen können<br />

Teil 7Unsere<br />

Wohnen<br />

Alles, wasdie<br />

Familie braucht<br />

Autorin ist in Lichtenberg aufgewachsen. Lange wusste sie nicht, dass ihr<br />

Viertel zum Besten gehörte, was der soziale Wohnungsbau zu bieten hat. In Ost-<br />

Berlin entstanden Wohngebiete mit grünen Innenhöfen und guter Infrastruktur.<br />

Wie viele Kitas und Schulen gebraucht würden, wurde früh festgelegt. Die komplexe<br />

Planung sei das, was heute fehle, sagt eine Expertin.<br />

Von<br />

ANJAREICH<br />

Vor ein paar Tagen fragte mich<br />

jemand, ob ich in der DDR<br />

nicht eine schwere Kindheit<br />

hatte. Schon in der Frage klang<br />

die erwartete Antwort mit:<br />

Schwere Kindheit, schweres<br />

Leben, gut, dass es vorbei ist.<br />

Mein Leben in der DDR wird<br />

oft von anderen bewertet, und<br />

lange habe ich diese Bewertung<br />

für mich selbst übernommen,<br />

habe mir und meinen Erinnerungen<br />

nicht getraut. Es hat<br />

auch damit zu tun, dass ich lange<br />

keinen Vergleich hatte. Ich<br />

sagte zum Beispiel gerne, dass<br />

ich auf einem Kohlenhof in Berlin-Lichtenberg<br />

aufgewachsen<br />

und in einem Plattenbau zur<br />

Schule gegangen bin. Das passte<br />

zu den Bildern von den her-<br />

untergekommenen Innenstädten,<br />

von tristen Schlafstädten<br />

und zum maroden Staat, der<br />

untergegangen war. Erst jetzt,<br />

viele Jahre später, weiß ich,<br />

dass mein Kohlenhof und der<br />

Plattenbau zum Besten gehörten,<br />

was der soziale Wohnungsbau<br />

zu bieten hat.<br />

Ich bin am Nöldnerplatz aufgewachsen,<br />

aber im Hans-<br />

Loch-Viertel zur Schule gegangen.<br />

Das Neubaugebiet war<br />

1970 fertig geworden, rechtzeitig<br />

zur Einschulung meiner<br />

großen Schwester. Normalerweise<br />

hätten wir am Nöldnerplatz<br />

zur Schule gehen müssen,<br />

aber meine Mutter war Lehrerin<br />

in der neuen Schule, und für<br />

Lehrerkinder wurde eine Ausnahme<br />

gemacht. Ich wurde<br />

1974 eingeschult und stieg von<br />

nun an zehn Jahre lang jeden<br />

Morgen um halb acht am Nöldnerplatz<br />

in den 43er Bus ein<br />

und an der Dolgenseestraße<br />

wieder aus. Nachmittags ging<br />

es die gleiche Strecke wieder<br />

zurück. Jede Busfahrt war für<br />

mich wie eine Reise in einer andere<br />

Welt. Die alte Welt, wo<br />

sich meine Wohnung befand,<br />

kam mir dunkel und klein vor,<br />

die neue Welt mit meiner Schule<br />

hell, weit und modern.<br />

Das lag an den hohen Häusern,<br />

den asphaltierten Straßen<br />

und großen Höfen, aber auch<br />

daran, dass es alles gab, was eine<br />

Familie zum Leben brauchte:<br />

Schule, Kinderkrippe, Kindergarten,<br />

Turnhalle, Schulgarten,<br />

Kaufhalle, Altenheim, eine<br />

Clubgaststätte, die Drushba<br />

hieß, sowie ein sogenannter<br />

Dienstleistungswürfel, in dem<br />

sich Zeitungsladen, Friseur,<br />

Reinigung, Schusterwerkstatt<br />

und Jugendclub befanden. So-

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