Berliner Kurier 10.10.2018
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SEITE17<br />
BERLINER KURIER, Mittwoch, 10. Oktober 2018<br />
UnsereAutorin<br />
Anja Reich (vorn rechts)<br />
mit ihrer Familie bei der<br />
Einschulung ihrer älteren<br />
Schwester.<br />
Platz zum umweltfreundlichen<br />
Wäschetrocknen: Ein Innenhof<br />
im Hans-Loch-Viertel in<br />
der Dolgenseestraße in<br />
Lichtenberg.<br />
gar an eine neue S-Bahn-Station<br />
war gedacht, an eine Poliklinik,<br />
an Parkplätze und Tischtennisplatten<br />
auf den Höfen. In<br />
der Schule hatten wir Fachräume<br />
für den Chemie-, Physik<br />
und Werkunterricht und einen<br />
Frauenruheraum, der von den<br />
Zehntklässlern als Liebesnest<br />
missbraucht wurde, wenn der<br />
Hausmeister ihn nicht abgeschlossen<br />
hatte.<br />
Das Hans-Loch-Viertel war<br />
wie eine Welt aus dem Modellbaukasten.<br />
Dass es für diese<br />
Welt einen Namen gab –„neuer<br />
sozialistischer Wohnkomplex“<br />
–, und sich das Ganze ausgerechnet<br />
ein Schweizer Kommunist<br />
namens Hans Schmidt ausgedacht<br />
hatte, wusste ich damals<br />
nicht. Das erzählt mir erst<br />
Christina Lindemann, Expertin<br />
für sozialistischen Wohnungsbau<br />
bei der Hermann-Hensel-<br />
Die Schule in der Dolgenseestraße,<br />
die unsereAutorin<br />
Anja Reich besuchte, ist<br />
heute immer noch einen<br />
Grundschule.<br />
mann-Stiftung, 40 Jahre später<br />
am Telefon. Sie beschreibt den<br />
sozialistischen Wohnkomplex<br />
als Gegenentwurf zur Wilhelminischen<br />
Mietskasernenstadt,<br />
in der Menschen in kleinen<br />
Wohnungen zusammengepfercht<br />
wurden, um ein Dach<br />
über dem Kopf zu haben.<br />
Das neue Wohnmodell sollte<br />
zu den Idealen des sozialistischen<br />
Arbeiter- und Bauernstaates<br />
passen: Gleichberechtigung,<br />
Vollbeschäftigung, kostenlose<br />
Kinderbetreuung. Alles<br />
sollte so organisiert sein, dass<br />
dieser Anspruch zu erfüllen<br />
war: Eltern gaben morgens ihre<br />
Kinder im Kindergarten ab,<br />
fuhren anschließend mit der S-<br />
Bahn oder dem Bus zur Arbeit,<br />
der Nachhauseweg führte sie<br />
wieder am Kindergarten vorbei,<br />
aber auch an der Kaufhalle,<br />
der Reinigung oder der Poliklinik.<br />
Schulkinder konnten vom<br />
ersten Tag an alleine zur Schule<br />
gehen, oft, ohne dabei eine einzige<br />
Straße überqueren zu müssen.<br />
An den Straßen regelten<br />
Schülerlotsen den Verkehr.<br />
In Ost-Berlin entstand das<br />
erste Wohngebiet dieser Art<br />
Ende der 50er-Jahre zwischen<br />
Strausberger Platz und Alexanderplatz,<br />
Schillingstraße und<br />
Volkspark Friedrichshain. Das<br />
zweite, Mitte der 60er, war das<br />
Hans-Loch-Viertel, dann folgte<br />
in den 70ern das Heinrich-Heine-Viertel<br />
an der Jannowitzbrücke<br />
sowie das Viertel am<br />
Springpfuhl und schließlich<br />
Marzahn, Hellersdorf, Hohenschönhausen.<br />
Die Viertel wurden größer<br />
und eintöniger, je weiter sie<br />
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