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Alpen-Kupfer und Cornwall-Zinn<br />
Derletzte Akt der Himmelsscheibebegann<br />
offenbar mit dem Ende des Reichsvon Aunjetitzum1600v.<br />
Chr.,wie dieAutorenschildern.<br />
Die Scheibe wurde mit kostbarenSchwertern,Beilen<br />
und Armspiralen auf dem<br />
Mittelberginder Erdevergraben.Der linke<br />
Himmelsbogenging verloren. Erst 3600<br />
Jahrespäter fandenzweiRaubgräber den<br />
Schatz. Die Forscher habeninzwischen<br />
auch untersucht, woher dasMaterial der<br />
bronzenen Scheibe stammte, die einen<br />
Durchmesservon 32 Zentimetern hat.<br />
Das Kupfer kamaus dem Ostalpenraum,<br />
wahrscheinlich aus der Nähevon Bischofshofen,<br />
das Zinn aus Cornwall im heutigen<br />
England. Hier stammtenauch die gut32Gramm<br />
Gold für die Himmelsobjekte her.Die Himmelsscheibe<br />
waralsoein Produktdes Fernhandels–<br />
vorfast vier Jahrtausenden. TorstenHarmsen<br />
Jetzt haben Sie zu der Himmelsscheibe<br />
gleich einen ganzen Staat<br />
hinzuerfunden.<br />
Gefunden. Wir sind Archäologen.<br />
Wir finden. Allerdings interpretieren<br />
wir auch unsere Funde. Das sind keine<br />
Stammeshäuptlinge, sondern die Herren<br />
über ein Territorium, die Herren<br />
über die neue Bronzeherstellung, und<br />
sie kontrollieren den Handel. Solange<br />
sie das Sagen hatten, gelangte kein<br />
Bernstein aus dem Norden nach Süden<br />
und keine Bronze nach Skandinavien.<br />
Und die Nebraner?<br />
Die Genetik zeigt, dass sie aus zwei<br />
martialischen Kulturen entstanden<br />
sind, die sich im Grabe umdrehen würden,<br />
wenn sie wüssten, dass man sie<br />
nach ihrer Keramik benennt: Erst kamen<br />
die Schnurkeramiker zu Pferd,<br />
mit Pfeil und Bogen, aus der Steppe<br />
des Ostens. Sie brachten wohl das Indoeuropäische<br />
mit. Die Glockenbecherleute<br />
kamen später, sie waren<br />
auch nach England eingedrungen.<br />
Der erste Versuch, einen Staat in<br />
Mitteleuropa zu errichten, war das<br />
Werk einer Einwanderungswelle?<br />
Mehrerer. Ihre Verbindung brachte<br />
den Nebra-Staat hervor. Gehen Sie<br />
nach Pömmelte. Zuerst war dort ein<br />
Heiligtum der Schnurkeramiker, dann<br />
bauten die Glockenbecherleute eine<br />
monumentale, von Stonehenge inspirierte<br />
Kreisgrabenanlage. Die Anlage<br />
wurde etwa von 2300 bis 2050 vor<br />
Christus genutzt, wandelt sich dann<br />
aber in Richtung Aunjetitz-Kultur. In<br />
Pömmelte fanden Menschenopfer<br />
statt. Es ist womöglich der grausige<br />
Anfang der Staatsbildung, wie wir es<br />
in Ägypten, in Ur, im alten China oder<br />
bei Azteken und Mayas sehen. Der<br />
Staat beruht eben nicht auf einem Vertrag,<br />
sondern auf Gewalt. 1300 Meter<br />
weiter entstand später ein neues Heiligtum:<br />
Schönebeck. Auch mit Gräben,<br />
Palisaden und einer Arena. Aber hier<br />
gab es keine Menschenopfer und keinen<br />
Ahnenkult mehr. Schönebeck entstand,<br />
als die zur Macht gelangten<br />
Fürsten alle Rivalen ausgeschaltet hatten.<br />
Es fand sich nicht eine Scherbe,<br />
die noch auf die Glockenbecherkultur<br />
hingewiesen hätte. Das war Aunjetitz<br />
in Reinkultur! Die neue Welt.<br />
Auch sie ging zu Ende.<br />
Staaten leben von der Ungleichheit,<br />
und sie produzieren sie. Sie schaffen<br />
Frieden und führen Kriege. Die Menschen<br />
ertragen die Ungleichheit sehr<br />
lange. Es macht den meisten nicht viel<br />
aus, solange sie für ihr Leben sorgen<br />
können. Der Abstand zwischen den<br />
Reichen und den Habenichtsen kann<br />
gewaltig zunehmen, solange den Habenichtsen<br />
nicht die Hoffnung genommen<br />
wird, doch einmal etwas zu<br />
haben.<br />
Wollen Sie sagen, das Reich von<br />
Nebra sei zusammengebrochen,<br />
weil die Schere zwischen Arm und<br />
Reich zu weit auseinandergegangen<br />
ist?<br />
Wir haben keine Zeichen für eine<br />
Revolution. Aber wir haben die Himmelsscheibe.<br />
Sie war 1600 vor Christus<br />
schon lange nicht mehr das Dokument<br />
eines rationalen Blicks in den<br />
Himmel, sondern zum heiligen Objekt<br />
der Nebra-Religion geworden. Dann<br />
wurde sie auf einem Berg geopfert. Zuvor<br />
war vermutlich die Sonne tagelang<br />
verdeckt. Vielleicht hatte es Asche geregnet.<br />
Ursache für diese unvorhergesehenen,<br />
beunruhigenden Zeichen<br />
war der Ausbruch des Vulkans von<br />
Thera, auf dem heutigen Santorin. Er<br />
war der Anfang vom Ende der minoischen<br />
Kultur und auch der zweitausend<br />
Kilometer entfernten von Nebra.<br />
Die Glaubwürdigkeit der Herrscher<br />
war erschüttert. Die kosmischen<br />
Mächte mussten besänftigt werden.<br />
Dafür wurde das Kostbarste geopfert:<br />
die Himmelsscheibe.<br />
Jetzt haben Sie uns zum Schluss einen<br />
Knalleffekt geliefert wie in einem<br />
Hollywoodfilm.<br />
Da die Daten übereinstimmen,<br />
scheint es mir eine sehr plausible Hypothese.<br />
Aber das ist nicht alles, lesen<br />
Sie das Buch. Da finden Sie auch die<br />
Geschichten von wissensdurstigen<br />
Reisenden, die aus Nebra ins Babylonien<br />
des Hammurabioder sogar nach<br />
Ägyptenzogen.<br />
Sie zeigen, dass es zwischen 2000<br />
und 1600 vor Christus in der Umgebung<br />
von Halle einen Staat gab, dass<br />
der dann wieder verschwand und<br />
erst ein paar Jahrtausende vergehen<br />
mussten, bis es hier wieder einen<br />
Staat gab.<br />
Der Staat ist eben nicht alles. Historiker<br />
arbeiten über einen Abschnitt von<br />
4000 bis 5000 Jahren. Sie beschreiben<br />
fast immer Staatsgeschichte. Wir Vorgeschichtler<br />
überblicken viel weitere<br />
Räume. Menschen gibt es, wenn wir<br />
den Homo erectus mit dazunehmen,<br />
seit zwei Millionen Jahren. Ein solcher<br />
Blick verändert das Bild unserer<br />
Spezies. Gewalt zum Beispiel gab es<br />
immer, Krieg aber begann sich erst<br />
langsam vor etwa zehntausend Jahren<br />
zu entwickeln.<br />
Für die Historiker aber ist er der<br />
Vater aller Dinge.<br />
Vorgeschichtler wissen auch, dass<br />
Jäger und Sammler wesentlich gesünder<br />
lebten als Bauern. Krankheitserreger<br />
wie Masern- oder Grippeviren<br />
sprangen von den neu domestizierten<br />
Haustieren auf die<br />
Menschen über. Die Sesshaftigkeit<br />
ermöglichte die Hortung großen<br />
Reichtums, aber auch dessen Raub.<br />
Wer nur auf den kurzen Momentder<br />
letzten fünftausend Jahre blickt, der<br />
nimmt als selbstverständlich, was<br />
doch nur eine junge und offensichtlich<br />
selbstmörderische Entwicklung<br />
ist. Die Vorgeschichte lehrt: Staaten<br />
kommen und gehen. Das Reich von<br />
Nebra mag großartig gewesen sein,<br />
den meisten Menschen wird es nach<br />
seinem Ende aber nicht schlechter<br />
gegangen sein.<br />
Das Interview führte<br />
Arno Widmann<br />
DasReich vonAunjetitz<br />
Die Himmelsscheibe vonNebra<br />
stammt aus der frühbronzezeitlichen<br />
vonetwa2000 v. Chr.anfür gut<br />
400 Jahre Mitteldeutschland<br />
Aunjetitz-Kultur. und verschwand um 1600 v. Chr.<br />
Diese wurde nach einem böhmischen<br />
Dorf nordwestlich von<br />
Prag benannt, indem Gräber<br />
jener Kultur gefunden wurden.<br />
Die Aunjetitz-Kultur war aus<br />
der Verschmelzung der Glockenbecher-<br />
und der Schnurkeramikkultur<br />
entstanden, benannt<br />
Funde und Ausgrabungen ließen<br />
die Forscher um den Landesarchäologen<br />
von Sachsen-<br />
Anhalt, Harald Meller, zudem<br />
Schluss kommen, dass es im<br />
heutigen Mitteldeutschland bereits<br />
in der Bronzezeit –mehr<br />
als 1000 Jahre vor den germa-<br />
nach Keramikfunden nischen Stämmen – eine Art<br />
aus jener Zeit. Sie dominierte Staatgegeben haben muss.<br />
Zwischen 2014 und 2017 legten<br />
die Archäologen das einstige<br />
Hügelgrab von Bornhöck unweit<br />
vonHalle frei. Nicht nur die<br />
Ausmaße des Grabes, sondern<br />
auch das Material und die Qualität<br />
der Grabbeigaben ließen die<br />
These entstehen, dass zu jener<br />
Zeit mächtige Fürsten regierten,<br />
die ander Spitze eines frühen<br />
Staatswesens standen, das<br />
sich auf einen Militärapparat<br />
stützte und den Fernhandel von<br />
Zinn, Kupfer, Bernstein und anderen<br />
wertvollen Rohstoffen<br />
kontrollierte.<br />
Als Besitzer derHimmelsscheibe<br />
verfügten die Aunjetitzer<br />
Fürsten über jenes astronomische<br />
und kalendarische Expertenwissen,<br />
wieeseine komplexe<br />
Gesellschaft mit Armeen und<br />
Fernhandelbraucht.Die Scheibe<br />
soll auch repräsentativ genutzt<br />
wordensein.<br />
In Berlinist dieHimmelsscheibe<br />
bis 5. November als Teil der<br />
Ausstellung „Bewegte Zeiten.<br />
Archäologie in Deutschland“ im<br />
Gropius-Bau zu sehen.<br />
Harald Meller, Kai Michel: Die Himmelsscheibe<br />
vonNebra, Propyläen Verlag,<br />
Berlin 2018, 25 Euro