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Berliner Kurier 28.10.2018

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Alpen-Kupfer und Cornwall-Zinn<br />

Derletzte Akt der Himmelsscheibebegann<br />

offenbar mit dem Ende des Reichsvon Aunjetitzum1600v.<br />

Chr.,wie dieAutorenschildern.<br />

Die Scheibe wurde mit kostbarenSchwertern,Beilen<br />

und Armspiralen auf dem<br />

Mittelberginder Erdevergraben.Der linke<br />

Himmelsbogenging verloren. Erst 3600<br />

Jahrespäter fandenzweiRaubgräber den<br />

Schatz. Die Forscher habeninzwischen<br />

auch untersucht, woher dasMaterial der<br />

bronzenen Scheibe stammte, die einen<br />

Durchmesservon 32 Zentimetern hat.<br />

Das Kupfer kamaus dem Ostalpenraum,<br />

wahrscheinlich aus der Nähevon Bischofshofen,<br />

das Zinn aus Cornwall im heutigen<br />

England. Hier stammtenauch die gut32Gramm<br />

Gold für die Himmelsobjekte her.Die Himmelsscheibe<br />

waralsoein Produktdes Fernhandels–<br />

vorfast vier Jahrtausenden. TorstenHarmsen<br />

Jetzt haben Sie zu der Himmelsscheibe<br />

gleich einen ganzen Staat<br />

hinzuerfunden.<br />

Gefunden. Wir sind Archäologen.<br />

Wir finden. Allerdings interpretieren<br />

wir auch unsere Funde. Das sind keine<br />

Stammeshäuptlinge, sondern die Herren<br />

über ein Territorium, die Herren<br />

über die neue Bronzeherstellung, und<br />

sie kontrollieren den Handel. Solange<br />

sie das Sagen hatten, gelangte kein<br />

Bernstein aus dem Norden nach Süden<br />

und keine Bronze nach Skandinavien.<br />

Und die Nebraner?<br />

Die Genetik zeigt, dass sie aus zwei<br />

martialischen Kulturen entstanden<br />

sind, die sich im Grabe umdrehen würden,<br />

wenn sie wüssten, dass man sie<br />

nach ihrer Keramik benennt: Erst kamen<br />

die Schnurkeramiker zu Pferd,<br />

mit Pfeil und Bogen, aus der Steppe<br />

des Ostens. Sie brachten wohl das Indoeuropäische<br />

mit. Die Glockenbecherleute<br />

kamen später, sie waren<br />

auch nach England eingedrungen.<br />

Der erste Versuch, einen Staat in<br />

Mitteleuropa zu errichten, war das<br />

Werk einer Einwanderungswelle?<br />

Mehrerer. Ihre Verbindung brachte<br />

den Nebra-Staat hervor. Gehen Sie<br />

nach Pömmelte. Zuerst war dort ein<br />

Heiligtum der Schnurkeramiker, dann<br />

bauten die Glockenbecherleute eine<br />

monumentale, von Stonehenge inspirierte<br />

Kreisgrabenanlage. Die Anlage<br />

wurde etwa von 2300 bis 2050 vor<br />

Christus genutzt, wandelt sich dann<br />

aber in Richtung Aunjetitz-Kultur. In<br />

Pömmelte fanden Menschenopfer<br />

statt. Es ist womöglich der grausige<br />

Anfang der Staatsbildung, wie wir es<br />

in Ägypten, in Ur, im alten China oder<br />

bei Azteken und Mayas sehen. Der<br />

Staat beruht eben nicht auf einem Vertrag,<br />

sondern auf Gewalt. 1300 Meter<br />

weiter entstand später ein neues Heiligtum:<br />

Schönebeck. Auch mit Gräben,<br />

Palisaden und einer Arena. Aber hier<br />

gab es keine Menschenopfer und keinen<br />

Ahnenkult mehr. Schönebeck entstand,<br />

als die zur Macht gelangten<br />

Fürsten alle Rivalen ausgeschaltet hatten.<br />

Es fand sich nicht eine Scherbe,<br />

die noch auf die Glockenbecherkultur<br />

hingewiesen hätte. Das war Aunjetitz<br />

in Reinkultur! Die neue Welt.<br />

Auch sie ging zu Ende.<br />

Staaten leben von der Ungleichheit,<br />

und sie produzieren sie. Sie schaffen<br />

Frieden und führen Kriege. Die Menschen<br />

ertragen die Ungleichheit sehr<br />

lange. Es macht den meisten nicht viel<br />

aus, solange sie für ihr Leben sorgen<br />

können. Der Abstand zwischen den<br />

Reichen und den Habenichtsen kann<br />

gewaltig zunehmen, solange den Habenichtsen<br />

nicht die Hoffnung genommen<br />

wird, doch einmal etwas zu<br />

haben.<br />

Wollen Sie sagen, das Reich von<br />

Nebra sei zusammengebrochen,<br />

weil die Schere zwischen Arm und<br />

Reich zu weit auseinandergegangen<br />

ist?<br />

Wir haben keine Zeichen für eine<br />

Revolution. Aber wir haben die Himmelsscheibe.<br />

Sie war 1600 vor Christus<br />

schon lange nicht mehr das Dokument<br />

eines rationalen Blicks in den<br />

Himmel, sondern zum heiligen Objekt<br />

der Nebra-Religion geworden. Dann<br />

wurde sie auf einem Berg geopfert. Zuvor<br />

war vermutlich die Sonne tagelang<br />

verdeckt. Vielleicht hatte es Asche geregnet.<br />

Ursache für diese unvorhergesehenen,<br />

beunruhigenden Zeichen<br />

war der Ausbruch des Vulkans von<br />

Thera, auf dem heutigen Santorin. Er<br />

war der Anfang vom Ende der minoischen<br />

Kultur und auch der zweitausend<br />

Kilometer entfernten von Nebra.<br />

Die Glaubwürdigkeit der Herrscher<br />

war erschüttert. Die kosmischen<br />

Mächte mussten besänftigt werden.<br />

Dafür wurde das Kostbarste geopfert:<br />

die Himmelsscheibe.<br />

Jetzt haben Sie uns zum Schluss einen<br />

Knalleffekt geliefert wie in einem<br />

Hollywoodfilm.<br />

Da die Daten übereinstimmen,<br />

scheint es mir eine sehr plausible Hypothese.<br />

Aber das ist nicht alles, lesen<br />

Sie das Buch. Da finden Sie auch die<br />

Geschichten von wissensdurstigen<br />

Reisenden, die aus Nebra ins Babylonien<br />

des Hammurabioder sogar nach<br />

Ägyptenzogen.<br />

Sie zeigen, dass es zwischen 2000<br />

und 1600 vor Christus in der Umgebung<br />

von Halle einen Staat gab, dass<br />

der dann wieder verschwand und<br />

erst ein paar Jahrtausende vergehen<br />

mussten, bis es hier wieder einen<br />

Staat gab.<br />

Der Staat ist eben nicht alles. Historiker<br />

arbeiten über einen Abschnitt von<br />

4000 bis 5000 Jahren. Sie beschreiben<br />

fast immer Staatsgeschichte. Wir Vorgeschichtler<br />

überblicken viel weitere<br />

Räume. Menschen gibt es, wenn wir<br />

den Homo erectus mit dazunehmen,<br />

seit zwei Millionen Jahren. Ein solcher<br />

Blick verändert das Bild unserer<br />

Spezies. Gewalt zum Beispiel gab es<br />

immer, Krieg aber begann sich erst<br />

langsam vor etwa zehntausend Jahren<br />

zu entwickeln.<br />

Für die Historiker aber ist er der<br />

Vater aller Dinge.<br />

Vorgeschichtler wissen auch, dass<br />

Jäger und Sammler wesentlich gesünder<br />

lebten als Bauern. Krankheitserreger<br />

wie Masern- oder Grippeviren<br />

sprangen von den neu domestizierten<br />

Haustieren auf die<br />

Menschen über. Die Sesshaftigkeit<br />

ermöglichte die Hortung großen<br />

Reichtums, aber auch dessen Raub.<br />

Wer nur auf den kurzen Momentder<br />

letzten fünftausend Jahre blickt, der<br />

nimmt als selbstverständlich, was<br />

doch nur eine junge und offensichtlich<br />

selbstmörderische Entwicklung<br />

ist. Die Vorgeschichte lehrt: Staaten<br />

kommen und gehen. Das Reich von<br />

Nebra mag großartig gewesen sein,<br />

den meisten Menschen wird es nach<br />

seinem Ende aber nicht schlechter<br />

gegangen sein.<br />

Das Interview führte<br />

Arno Widmann<br />

DasReich vonAunjetitz<br />

Die Himmelsscheibe vonNebra<br />

stammt aus der frühbronzezeitlichen<br />

vonetwa2000 v. Chr.anfür gut<br />

400 Jahre Mitteldeutschland<br />

Aunjetitz-Kultur. und verschwand um 1600 v. Chr.<br />

Diese wurde nach einem böhmischen<br />

Dorf nordwestlich von<br />

Prag benannt, indem Gräber<br />

jener Kultur gefunden wurden.<br />

Die Aunjetitz-Kultur war aus<br />

der Verschmelzung der Glockenbecher-<br />

und der Schnurkeramikkultur<br />

entstanden, benannt<br />

Funde und Ausgrabungen ließen<br />

die Forscher um den Landesarchäologen<br />

von Sachsen-<br />

Anhalt, Harald Meller, zudem<br />

Schluss kommen, dass es im<br />

heutigen Mitteldeutschland bereits<br />

in der Bronzezeit –mehr<br />

als 1000 Jahre vor den germa-<br />

nach Keramikfunden nischen Stämmen – eine Art<br />

aus jener Zeit. Sie dominierte Staatgegeben haben muss.<br />

Zwischen 2014 und 2017 legten<br />

die Archäologen das einstige<br />

Hügelgrab von Bornhöck unweit<br />

vonHalle frei. Nicht nur die<br />

Ausmaße des Grabes, sondern<br />

auch das Material und die Qualität<br />

der Grabbeigaben ließen die<br />

These entstehen, dass zu jener<br />

Zeit mächtige Fürsten regierten,<br />

die ander Spitze eines frühen<br />

Staatswesens standen, das<br />

sich auf einen Militärapparat<br />

stützte und den Fernhandel von<br />

Zinn, Kupfer, Bernstein und anderen<br />

wertvollen Rohstoffen<br />

kontrollierte.<br />

Als Besitzer derHimmelsscheibe<br />

verfügten die Aunjetitzer<br />

Fürsten über jenes astronomische<br />

und kalendarische Expertenwissen,<br />

wieeseine komplexe<br />

Gesellschaft mit Armeen und<br />

Fernhandelbraucht.Die Scheibe<br />

soll auch repräsentativ genutzt<br />

wordensein.<br />

In Berlinist dieHimmelsscheibe<br />

bis 5. November als Teil der<br />

Ausstellung „Bewegte Zeiten.<br />

Archäologie in Deutschland“ im<br />

Gropius-Bau zu sehen.<br />

Harald Meller, Kai Michel: Die Himmelsscheibe<br />

vonNebra, Propyläen Verlag,<br />

Berlin 2018, 25 Euro

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