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GSa144_Nov2018_181022_Web_ES

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Praxis: Lernen braucht Beziehung<br />

solchen Prozesses ein gemeinsames<br />

Nachdenken über den Stellenwert der<br />

Beziehungsarbeit in den unterschiedlichen<br />

pädagogischen Kontexten stehen.<br />

Dieser Diskurs könnte seinen Niederschlag<br />

dann z. B. in einer entsprechenden<br />

Formulierung im Leitbild der<br />

Schule finden:<br />

Das Zusammenleben an unserer Schule<br />

kann nur gelingen, wenn wir achtsam<br />

und respektvoll miteinander umgehen.<br />

Deshalb wollen wir daran arbeiten, dass<br />

sich alle Beteiligten aufeinander einlassen<br />

und dass aus dem bloßen Nebeneinander<br />

schließlich ein engagiertes Miteinander<br />

wird. Grundlage dieses Miteinanders<br />

sind Offenheit, Vertrauen und<br />

Wertschätzung. In diesem Sinne wollen<br />

wir uns zu einer beziehungsaktiven<br />

Schule weiterentwickeln.<br />

Jedes Leitbild markiert nicht das Ende,<br />

sondern den Beginn eines nachhaltigen<br />

und oft mühsamen Prozesses. Gleichzeitig<br />

versteht sich ein solches Leitbild<br />

nicht als eine Sammlung guter Vorsätze,<br />

sondern als eine ernsthafte Selbstverpflichtung:<br />

Hier bekunden Schüler,<br />

Eltern und Lehrer ihre Bereitschaft, den<br />

guten Vorsätzen jeweils konkrete Maßnahmen<br />

folgen zu lassen. Im Zusammenhang<br />

mit der schulischen Beziehungsarbeit<br />

sollten innerhalb der Schule<br />

verbindliche Gesprächsformate vereinbart<br />

werden, damit die Beteiligten ihre<br />

Beziehungen klären und sich über diese<br />

verständigen können. Die Bereitschaft,<br />

sich untereinander auszutauschen und<br />

solche Gespräche zu führen, ist sicherlich<br />

vorhanden. In der Hektik und Aufgedrehtheit<br />

des Schulbetriebs aber haben<br />

die Beteiligten nur selten Gelegenheit,<br />

um miteinander ins Gespräch zu<br />

kommen. Deshalb bedarf es verlässlicher<br />

Zeitfenster und strukturierter Gesprächsformen,<br />

um aufeinander einzugehen<br />

– und das mit der jeweils gebotenen<br />

Empathie und Ernsthaftigkeit.<br />

Die folgenden Beispiele illustrieren,<br />

wie die Beziehungsarbeit durch solche<br />

verbindlichen Gesprächsformate belebt<br />

werden kann und wie sich diese in<br />

die Praxis von Unterricht und Schulleben<br />

integrieren lassen – wenn die ganze<br />

Schule mitzieht:<br />

1. Die Beziehungen innerhalb<br />

des Kollegiums ausbauen<br />

Viele Lehrkräfte sehen in ihren Kollegen<br />

eher Konkurrenten als Verbündete:<br />

Sie wetteifern mit ihnen um die Gunst<br />

der Schulleitung, um die Zustimmung<br />

der Eltern oder um die Sympathien der<br />

Schüler. Sie vergleichen die Ergebnisse<br />

der Klassenarbeiten oder die Zahl der<br />

Übertritte auf weiterführende Schulen,<br />

um sich auf einen unabgesprochenen<br />

Wettstreit mit den Kollegen einzulassen.<br />

Eine solche Konkurrenzsituation setzt<br />

die Beteiligten unter Druck und belastet<br />

die Atmosphäre im Lehrerzimmer<br />

nachhaltig. Um solchen Entwicklungen<br />

vorzubeugen, bedarf es stabiler Beziehungen<br />

und vertrauensvoller Bindungen<br />

innerhalb des Lehrerkollegiums.<br />

Deshalb müssen die Beziehungen unter<br />

den Lehrkräften immer wieder auf den<br />

Prüfstand gestellt werden. Und auch dafür<br />

muss man sich Zeit nehmen, müssen<br />

den Beteiligten entsprechende Gesprächsformate<br />

angeboten werden.<br />

Leitprojekt: Die Ausweisung<br />

offener Konferenzzeiten<br />

Die traditionellen Konferenzrituale<br />

scheinen wenig geeignet, um der beschriebenen<br />

Entfremdung innerhalb des<br />

Kollegiums wirkungsvoll vorzubeugen.<br />

Unter dem Diktat einer straffen Tagesordnung<br />

werden spontane Äußerungen<br />

oder persönlich gefärbte Beiträge oft als<br />

deplatzierte Einlassungen abgetan. Hier<br />

wird die Tagesordnung Punkt für Punkt<br />

abgearbeitet – auch wenn das, was die<br />

Kollegen wirklich umtreibt, dabei ausgeklammert<br />

bleibt. Deshalb bedarf es offener<br />

Konferenzformen, die thematisch<br />

nicht vorstrukturiert sind und die sich<br />

deshalb als eine Einladung zur freien<br />

Rede und zur spontanen Meinungsäußerung<br />

verstehen. Einige Schulen haben<br />

das erkannt und den Stundenplan<br />

so umgebaut, dass hier auch Zeit für<br />

Lehrkräfte (ZfL) vorgesehen ist. Dazu<br />

hält der Stundenplan ein gemeinsames<br />

Zeitfenster vor, das von den Kollegen<br />

genutzt werden kann – um miteinander<br />

ins Gespräch zu kommen und um offene<br />

Beziehungsfragen zu klären. Dieses Gesprächsformat<br />

kommt ganz ohne Tagesordnung,<br />

Rednerliste und Protokoll aus.<br />

Dafür können sich die Kollegen hier so<br />

spontan äußern, wie es ihrer aktuellen<br />

Stimmungslage entspricht.<br />

Darüber hinaus sind weitere Neuerungen<br />

denkbar, um die Beziehungsarbeit<br />

innerhalb des Kollegiums zu vertiefen.<br />

So könnten die Lehrkräfte einer<br />

Schule darauf bestehen, dass ihnen wenigstens<br />

einmal am Tag eine Bonuspause<br />

zugestanden wird: Hier ist es<br />

den Schülern untersagt, das Lehrerzimmer<br />

aufzusuchen und die Kollegen<br />

von ihrem Pausenplausch mit anderen<br />

Lehrkräften abzuhalten. Denn dieser<br />

oft belächelte Pausenplausch ist für<br />

den Zusammenhalt innerhalb des Kollegiums<br />

unverzichtbar. Neu in das Kollegium<br />

eintretenden Lehrkräften könnten<br />

eigene Integrationstage angeboten<br />

Jonas Lanig<br />

engagiert sich seit vielen Jahren für<br />

eine humane und demokratische<br />

Schule. Er ist Vorsitzender der Aktion<br />

Humane Schule. Der gelernte Gymnasiallehrer<br />

ist seit vielen Jahren in<br />

der Lehrerfortbildung aktiv. Als Autor<br />

zahlreicher Bücher setzt er sich für eine<br />

bessere Lehrer-Schüler-Beziehung und<br />

für eine methodische Weiterentwicklung<br />

des Unterrichts ein.<br />

werden, um sich mit den Gepflogenheiten<br />

an ihrer neuen Schule, aber auch mit<br />

den Besonderheiten des kollegialen Lebens<br />

vertraut zu machen. An größeren<br />

Schulen bietet sich die Einführung des<br />

Team-Kleingruppen-Modells an, weil<br />

dieses eine größere Beziehungsdichte<br />

gewährleistet und weil es hier angesichts<br />

der räumlichen und sozialen Nähe nicht<br />

bei unverbindlichen Kontakten bleiben<br />

muss. Jeweils zwei Lehrkräfte können<br />

sich für die Dauer eines Schuljahres zu<br />

einem Tandem zusammenschließen –<br />

eine Zusammenarbeit, die von gegenseitigen<br />

Hospitationen bis zur Planung gemeinsamer<br />

Projekte reicht. Schließlich<br />

kann jüngeren Lehrkräften jeweils eine<br />

erfahrene Mentorin zur Seite gestellt<br />

werden, die sie dabei unterstützt, ihren<br />

Platz im Kollegium zu finden und sich<br />

GS aktuell 144 • November 2018<br />

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