GSa144_Nov2018_181022_Web_ES
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Praxis: Lernen braucht Beziehung<br />
innerhalb des schulischen Beziehungsgeflechts<br />
zu verorten.<br />
2. Die Beziehungen innerhalb<br />
des Klassenverbands fördern<br />
Die PISA-Studie von 2015 hat nicht nur<br />
die einschlägig bekannten Leistungsvergleiche<br />
zutage gefördert. Zum ersten<br />
Mal wurde hier auch untersucht,<br />
wie wohl sich unsere Schüler in ihrem<br />
schulischen Umfeld fühlen und wie dieses<br />
Students’ Well Being vom Verhalten<br />
der Lehrkräfte, Eltern und Mitschüler<br />
gesteuert wird. Dabei konnte PISA V<br />
lediglich bestätigen, was durch andere<br />
Studien schon lange belegt ist: Die<br />
Haltung der Schüler zu Unterricht und<br />
Schule ist ganz erheblich vom Klima<br />
innerhalb ihrer Klasse abhängig – und<br />
das heißt: von der Qualität der Beziehungen,<br />
durch die sich die Mitschüler<br />
untereinander verbunden fühlen.<br />
Leitprojekt: Die Implementierung<br />
eines »neuen Fachs«<br />
Wie sich die Beziehungen innerhalb des<br />
Klassenverbands gestalten, sollte auf der<br />
Agenda einer beziehungsaktiven Schule<br />
immer ganz oben stehen. Die Schulkonferenz<br />
kann diesem Anliegen Rechnung<br />
tragen, wenn sie in den Stundentafeln<br />
einzelner Jahrgänge das Soziale Lernen<br />
als eigenständiges Unterrichtsfach ausweist<br />
und dazu ein hauseigenes Curriculum<br />
in Auftrag gibt.<br />
Soziales Lernen – das bedeutet für die<br />
Schüler, dass sie einmal in der Woche<br />
zusammenkommen, um sich über die<br />
Beziehungsdynamik in ihrer Klasse<br />
auszutauschen. Angeleitet werden sie<br />
dabei von der Klassenlehrerin oder vom<br />
Sozialpädagogen der Schule.<br />
Darüber hinaus sollte sich die Schulkonferenz<br />
darauf verständigen, dass in<br />
den einzelnen Klassen weitere Arbeitsund<br />
Gesprächsformate eingeführt werden<br />
und dass dadurch die interne Beziehungsarbeit<br />
in einem verbindlichen<br />
Rahmen stattfinden kann. So lässt sich<br />
durchsetzen, dass in allen Jahrgängen<br />
regelmäßig der Klassenrat tagt und dass<br />
die hier zu verhandelnden Gesprächsgegenstände<br />
jeweils in einem gesonderten<br />
Themenbuch festgehalten werden.<br />
Durch entsprechende Fenster im<br />
Stundenplan kann dafür gesorgt werden,<br />
dass wenigstens eine Wochenstunde<br />
für interne Beratungen freigehalten<br />
und dass den Schülern damit mehr »Zeit<br />
für uns« (ZfU) zugestanden wird. In einzelnen<br />
Klassen kann erprobt werden,<br />
ob sich interne Konflikte durch die Berufung<br />
eines nur mit Gleichaltrigen besetzten<br />
Schiedsgerichts (Teenie Court)<br />
lösen lassen. Schließlich sollten einzelne<br />
Klassen die Möglichkeit haben, wenigstens<br />
einmal im Jahr zur Aufarbeitung<br />
interner Probleme einen Klassentag<br />
durchzuführen, der von der Schule<br />
zusammen mit einem externen Partner<br />
ausgerichtet wird.<br />
3. Die Schüler-Lehrer<br />
Beziehung vertiefen<br />
Manche Lehrkräfte sind an einem<br />
engeren Kontakt zu den Kollegen nur<br />
bedingt interessiert. Deshalb meiden sie<br />
das Lehrerzimmer und ziehen sich lieber<br />
in ihre Nischen zurück. Demgegenüber<br />
bringt es die Organisation des<br />
Unterrichts mit sich, dass sich Lehrer<br />
und Schüler nicht aus dem Weg gehen<br />
können. Ihnen bleibt gar nichts anderes<br />
übrig, als sich aufeinander einzulassen<br />
und sich immer wieder miteinander zu<br />
beschäftigen. Und doch neigen manche<br />
Lehrer dazu, die eigene Persönlichkeit<br />
vor ihren Schülern verborgen zu halten.<br />
Dabei sind es gerade die persönlichen<br />
Befindlichkeiten, die die Aufnahme vertrauensvoller<br />
und belastbarer Beziehungen<br />
begünstigen – oder diesen im Wege<br />
stehen.<br />
Leitprojekt: Die Förderung der<br />
innerschulischen Feedback-Kultur<br />
Deshalb ist die Schüler-Lehrer-Beziehung<br />
auf einen ehrlichen Austausch<br />
unter den Beteiligten angewiesen. Beide<br />
Seiten müssen wissen, wie sie gegenseitig<br />
wahrgenommen werden – weil<br />
sich ihre Beziehung nur über eine solche<br />
Rückmeldung weiterentwickeln<br />
kann. Für die Lehrkräfte bedeutet dies,<br />
dass sie sich dem Urteil ihrer Schüler<br />
stellen müssen und dass dieses auch<br />
für einzelne Aspekte ihrer Persönlichkeit<br />
zu gelten hat. Die Bereitschaft, sich<br />
auf ein solches Feedback einzulassen,<br />
darf nicht allein vom guten Willen einzelner<br />
Lehrkräfte abhängen. Deshalb<br />
hilft es allen Beteiligten, wenn die ganze<br />
Schule von der Notwendigkeit wechselseitiger<br />
Rückmeldungen überzeugt<br />
ist und wenn hier entsprechende Maßnahmen<br />
vereinbart werden. So kann im<br />
Schulprogramm ausdrücklich festgehalten<br />
werden, dass in allen Klassen einmal<br />
im Halbjahr eine Feedback-Stunde<br />
stattfindet. Gleichzeitig kann die Schule<br />
einen Methodenkoffer vorhalten, der<br />
im Rahmen solcher Feedback-Stunden<br />
zum Einsatz kommen kann. Außerdem<br />
können sich einzelne Schüler zu Feedback-Scouts<br />
ausbilden lassen, die diese<br />
Stunden moderieren und die über entsprechende<br />
Methodenkenntnisse verfügen.<br />
Schließlich kann sich die Schule auf<br />
einen Katalog bestimmter Regeln verständigen,<br />
die für die Feedback-Arbeit<br />
im Klassenzimmer gelten sollen. Durch<br />
solche Hilfestellungen dürften sich alle<br />
Lehrkräfte ermutigt und bestärkt fühlen<br />
– auch diejenigen, die große Vorbehalte<br />
gegenüber einer solchen kritischen<br />
Würdigung durch die Schüler haben.<br />
Darüber hinaus kann die Schule anregen,<br />
die Schüler-Lehrer-Beziehung<br />
durch zusätzliche Impulse neu zu beleben:<br />
So kann einmal im Halbjahr ein<br />
Durchgang stattfinden, bei dem sich<br />
der Klassenlehrer mit einem Schüler<br />
persönlich austauscht und bei dem<br />
viele Themen angesprochen werden, die<br />
lieber nicht vor der ganzen Klasse abgehandelt<br />
werden sollten. Einige Schulen<br />
bieten Tutorien an: Hier wird jeder<br />
Schüler von einer Lehrkraft begleitet<br />
und betreut, die ihn aber nicht unterrichtet<br />
und deshalb ganz unvoreingenommen<br />
agiert. Schließlich hat sich das<br />
Unterrichtstagebuch als ein taugliches<br />
Medium erwiesen, um das Verhältnis<br />
von Lehrer und Klasse jeweils neu zu<br />
reflektieren und ein nachhaltiges Bild<br />
von der Entwicklung dieser Beziehung<br />
zu zeichnen.<br />
Literatur<br />
Miller, Reinhold (2011): Beziehungsdidaktik.<br />
Weinheim: Beltz.<br />
Aktion Humane Schule (Hg.) (2017):<br />
Miteinander – Lernen braucht Beziehung<br />
(Themenheft der Zeitschrift »Humane<br />
Schule«).<br />
30 GS aktuell 144 • November 2018