Berliner Kurier 29.11.2018
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14 BERLIN BERLINER KURIER, Donnerstag, 29. November 2018 *<br />
SandraOchloda (31)hat Angst in der<br />
Stadt und sorgt sich um ihreKinder.<br />
Michael Reimann (60) und Ludwig<br />
Scheetz (32) sind Stadtverordnete.<br />
Elisa Krause (25): „Das Opfer wird sein<br />
ganzes Leben darunter leiden.“<br />
Eine Stadt in<br />
Schockstarre<br />
KURIER-Besuch in Königs Wusterhausen, wo Flüchtlinge ein Mädchen missbraucht haben sollen<br />
Von<br />
ANNIKA LEISTER<br />
Dahme-Spreewald – Der Tatort<br />
ist schon lange wieder<br />
freigegeben, das Flatterband<br />
vor der öffentlichen Toilette<br />
entfernt. Der Spielplatz nebenan<br />
liegt verwaist da. Die<br />
Feuerwehr stellt den Weihnachtsbaum<br />
am Rathaus auf.<br />
Königs Wusterhausen liegt<br />
still da. „Alles wie immer“,<br />
sagt die Bäckersfrau.<br />
Das ist keine Selbstverständlichkeit:<br />
Am Dienstag hat die<br />
Polizei bekanntgegeben, dass<br />
ein afghanischer Asylbewerber<br />
in der vergangenen Woche eine<br />
15-Jährige in der öffentlichen<br />
Toilette vergewaltigt haben soll,<br />
gleich neben dem Spielplatz<br />
(der KURIER berichtete).<br />
Der Mann ist gefasst, er sitzt in<br />
Untersuchungshaft. Ein zweiter<br />
Afghane wird verdächtigt, das<br />
Mädchen bei der Tat festgehalten<br />
zu haben –nach ihm wird<br />
noch gefahndet. „Derzeit gibt es<br />
keine neuen Erkenntnisse“, sagt<br />
Polizeisprecher Torsten Wendt<br />
am Mittwoch. „Nur so viel: Wir<br />
ermitteln akribisch.“<br />
Die Polizei hat die Tat erst<br />
nach Tagen veröffentlicht und<br />
dafür viel Kritik bekommen.<br />
Man habe die Öffentlichkeit unwissend<br />
halten wollen, um<br />
rechte Demos zu vermeiden, zitiert<br />
die „BZ“ einen Polizisten<br />
anonym. Die zuständige Behörde<br />
widerspricht. Viel weiß man<br />
bisher nicht, auch aus ermittlungstaktischen<br />
Gründen hält<br />
sich die Polizei zurück.<br />
Genau diese Informationslücke,<br />
in der die öffentliche Unsicher-<br />
und Unwissenheit besonders<br />
groß ist, nutzen rechte<br />
Gruppierungen nach extremen<br />
Straftaten von Asylbewerbern<br />
gerne aus, um Gerüchte zu<br />
streuen, Stimmung zu machen<br />
und zu mobilisieren. In Chemnitz<br />
dauerte es nach dem Mord<br />
an Daniel H. keine 24 Stunden,<br />
bis die rechtsextreme Gruppe<br />
Pro Chemnitz zum ersten Mal<br />
zur Demo aufrief und mit Hunderten<br />
Wütenden durch die<br />
Straßen zog, obwohl die Lage<br />
noch völlig unklar war.<br />
In Königs Wusterhausen ist<br />
man wütend, schockiert, auch<br />
resigniert –aber den Drang, auf<br />
die Straße zu gehen, haben<br />
selbst die noch nicht, die mit<br />
den Rechten sympathisieren.<br />
„Ich bin Patriot“, sagt ein Mann<br />
in dickem Parka, der mit einem<br />
Freund gerade Köder fürs Angeln<br />
tauscht, gleich an der<br />
Schleuse neben dem Tatort.<br />
Von der Tat erfahren hat er bei<br />
Facebook, dort diskutierten er<br />
und „andere Patrioten“ auch<br />
darüber, ob man nicht demonstrieren<br />
wolle. Aber noch werde<br />
von vielen auf Zurückhaltung<br />
gedrängt, sagt er. „Wegen Opferschutz.<br />
Aber es brodelt.“<br />
Sandra Ochloda ist Mutter von<br />
zwei Töchtern. Seit neun Jahren<br />
lebt sie in KW, zugezogen<br />
aus Berlin, arbeitet in einem<br />
Reinigungsbetrieb zusammen<br />
mit ihrer Mutter und Schwester.<br />
Sie sei in den vergangenen<br />
Monaten zu einer „richtigen Rasenmäher-Mutter“<br />
geworden,<br />
sagt sie, wegen der häufigen Berichte<br />
über Gewalttaten, bundesweit:<br />
„Ständig bin ich hinter<br />
meinen Kindern her und säbele<br />
jede Gefahr klein.“ Auch in KW<br />
fühle sie sich unsicher, vor allem<br />
am Hauptbahnhof, wo oft<br />
Flüchtlinge „rumlungerten“.