Society 359 / 2011
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KUNST UND KULTUR<br />
PORTRÄT<br />
Goldene Ehrenmedaille der Stadt Wien für José Carreras<br />
Mit der Seele singt er von<br />
Liebe und Leidenschaft<br />
„Singen ist meine große Leidenschaft, dem Gesang gehört meine ganze Liebe. Es ist nicht<br />
bloß mein Beruf, es ist meine Berufung“, erzählt Startenor José Carreras im Gespräch mit<br />
Roman Bartl.<br />
José Carreras erhält<br />
die Goldene Ehrenmedaille<br />
der Stadt Wien<br />
Der Stadtsenatssitzungssaal des<br />
Wiener Rathauses an einem<br />
späten Vormittag. Da, wo sonst<br />
das politische Wort regiert, hängt<br />
nun der Himmel voller Geigen. Ein<br />
Streichquartett der Wiener Philharmoniker<br />
spielt walzerseelige Melodien<br />
des virtuosen Komponisten<br />
Fritz Kreisler unter dem Gemälde<br />
des legendären Bürgermeisters Helmut<br />
Zilk. In der Mitte des Raumes,<br />
der ersten Reihe etwas vorgelagert,<br />
sitzt einer der Superstars der internationalen<br />
Opernbühnen der<br />
1970er bis 90er Jahre, der als einer<br />
der „Drei Tenöre“ unsterbliche<br />
Musikgeschichte schrieb, nachdem<br />
er selbst dem nahenden Tod durch<br />
Leukämie auf wunderbare Weise<br />
entkommen und seinen Fans, wie<br />
auch der klassischen Musikszene erhalten<br />
geblieben ist. War Luciano Pavarotti<br />
in dem Triumvirat der<br />
Stimmgewaltige, Placido Domingo<br />
der künstlerisch Vielseitige, so war<br />
und ist José Carreras gewiss der<br />
Seelenvolle, der nicht zuletzt durch<br />
seine schwere Krankheit eine hohe<br />
menschliche Qualität und seine ganze beseelte<br />
Persönlichkeit in seine Stimme, wie<br />
auch sein Wesen zu legen weiß. „Wer an<br />
Musik denkt, denkt auch an José Carreras.<br />
Wie wenige Künstler hat der Tenor die<br />
Opernwelt geprägt“, schrieb einst ein namhafter<br />
Kritiker. Nun ist er nach Wien zurückgekehrt,<br />
in jene Stadt, die für den<br />
künstlerischen Kosmopoliten neben seiner<br />
Heimatstadt Barcelona die wichtigste seiner<br />
Karriere und seines Lebens ist. Er erhält<br />
während einer stilvollen Feier aus den Händen<br />
von Kulturstadtrat Mailath-Pokorny die<br />
Goldene Ehrenmedaille der Stadt Wien. In<br />
den engen Sitzreihen hinter ihm drängt<br />
sich alles, was in der klassischen Musikwelt<br />
Bedeutung hatte, hat oder haben wird. Ich<br />
sitze in der letzten Reihe. Hinter mir zwischen<br />
einigen Cocktailstehtischen die<br />
Claque, wie am Stehplatz bei unvergesslichen<br />
Opernabenden.<br />
***<br />
Der Opernskandal hat in Wien<br />
Tradition<br />
Einer der am längsten dienenden Operndirektoren<br />
der Wiener Musikgeschichte,<br />
Ioan Holender, lauscht einige Reihen vor<br />
mir der Laudatio seines Nachfolgers Dominique<br />
Meyer. Dieser sinniert gerade am<br />
Rednerpult darüber, dass der Tenorissimo,<br />
würde er sich all seine Orden und Ehrenzeichen<br />
an die Brust heften, einem russischen<br />
General aus den Zeiten des Kommunismus<br />
gleichen würde. Und doch bedeutet José<br />
Carreras diese Auszeichnung besonders<br />
viel, wie er mir in einem Gespräch nach seiner<br />
Feierstunde versichert. Er erzählt<br />
mir, dass ein Besuch von Wien<br />
ihm stets das Gefühl vermittelt,<br />
nach Hause zu kommen. „Wien hat<br />
das beste Publikum der Musikwelt“,<br />
gerät er ins Schwärmen: „Aufgrund<br />
des Wissens, aufgrund des Respekts,<br />
den das Wiener Publikum<br />
den Künstlern entgegenbringt und<br />
weil es sich auch nicht davor<br />
scheut, seinen Enthusiasmus zu zeigen.<br />
Wien ist die einzige Stadt der<br />
Welt, in der der Operndirektor in<br />
regelmäßigen Abständen in den<br />
Schlagzeilen der Tageszeitungen<br />
auftaucht. Der ‚Opernskandal‘,<br />
meist ohnehin nur ein Skandälchen,<br />
hat hier Tradition und gehört<br />
zu Wien wie das Salz in die<br />
Suppe. Und dann kann es passieren,<br />
dass sich plötzlich Leute über die<br />
Staatsoper erregen, die in ihrem Leben<br />
noch nie einen Fuß in das<br />
Opernhaus gesetzt haben.“<br />
Er erzählt mir amüsiert über<br />
eine besonders seltene, wie auch<br />
sehr peinliche Panne während einer<br />
Tosca-Vorstellung 1982, von der ich<br />
nichts wusste, da ich damals im Ausland<br />
gelebt habe: Das Erschießungskommando<br />
im 3. Akt erschien einfach nicht auf der<br />
Bühne. Die uniformierten Statisten saßen<br />
gemütlich in der Kantine, statt auf der<br />
Terrasse der Engelsburg aufzumarschieren.<br />
Da daher die tödlichen Schüsse auf Cavaradossi<br />
ausblieben, sah Tenorkollege Nicola<br />
Martinucci nur den Ausweg,<br />
fluchtartig in die Kulissen zu verschwinden<br />
und seine Tosca, Montserrat Caballé, etwas<br />
verstört zurück zu lassen, worauf das Publikum<br />
in schallendes Gelächter ausbrach.<br />
So gab es zum hochdramatischen Finale<br />
der Oper Lach- statt Gewehrsalven, während<br />
Montserrat tapfer aber ziemlich verloren<br />
den Tod ihres nicht mehr anwesenden<br />
Geliebten beklagte.<br />
FOTOS: NORBERT KÖSSLER<br />
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