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Society 359 / 2011

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WISSENSCHAFT<br />

THERAPIE<br />

Ein Blick in die psychotherapeutische Praxis<br />

Tabus, Familiengeheimnisse<br />

und Unaussprechliches<br />

Geheimnisse in der Familie haben oft einen gravierenden Einfluss auf die seelische und körperliche<br />

Gesundheit. Sie in therapeutischer Arbeit aufzudecken bedeutet Versöhnung mit der<br />

eigenen Geschichte und Selbstwerdung. Von SILVIA PROSQUILL-SALZMANN<br />

Der Begriff des Tabus kommt aus dem<br />

Polynesischen, er hat zwei Bedeutungen,<br />

zum einen meint er heilig und geweiht,<br />

zum Anderen verboten und gefährlich.<br />

Ein Tabu benennt Handlungen und<br />

Verhaltensweisen, die im sittlichen Verständnis<br />

geächtet, in vielen Fällen per Gesetz<br />

geahndet werden und eine kulturabhängige<br />

Gültigkeit haben. Ein Tabubruch<br />

ist seit Jahrhunderten Ziel öffentlicher Beurteilung<br />

und Verurteilung und hat die<br />

Menschheit immer berührt.<br />

Gleichsam berührend sind Tabus, die<br />

an Familiengeheimnisse anknüpfen und<br />

durch ganz individuelle Erlebnisse große<br />

Belastungen und seelische Konflikte hervorrufen.<br />

So können „heimliche und unheimliche“<br />

Geschichten, wie sie uns Freud<br />

in einem seiner wichtigsten Aufsätze<br />

hinterlassen hat, die heute oder damals,<br />

auch Generationen davor stattgefunden<br />

haben, unbewusste Spuren hinterlassen<br />

und damit gravierenden Einfluss auf das<br />

heutige Leben nehmen.<br />

Bestimmte Begegnungen, Orte, Gerüche<br />

oder Musikstücke lassen uns oft in eine<br />

unergründliche Stimmung sinken, ohne<br />

dass wir dafür eine Erklärung finden.<br />

Ein Ort, wie in manchen Gesprächen zu erfahren<br />

war, an dem viel über Geheimnisse<br />

gesprochen wird, ist oft der Letzte Platz eines<br />

Menschen – der Friedhof. Hier wird der<br />

positiven und negativen Eigenschaften gedacht<br />

und im Zuge dessen werden Familiengeheimnisse<br />

wach. Kinder erzählen<br />

dann: an einem gewissen Platz, bei einer<br />

gewissen Musik, bei einer gewissen Geschichte<br />

hat die Oma immer geweint, ist<br />

der Opa immer zornig geworden. Kinder<br />

haben feine Sensoren für alles Verheimlichte<br />

und Unausgesprochene.<br />

***<br />

Die Vielfalt der Geheimnisse<br />

Wiederholt erzählen mir Betroffene<br />

nach Aufdeckung eines Geheimnisses: „Geahnt<br />

habe ich es ja schon immer.“ Die Vielfalt<br />

der Geheimnisse ist unbegrenzt und<br />

stellt uns oftmals vor die Frage: Hat es das<br />

„Unaussprechliche“ auch in unserer Familie<br />

gegeben? Um nur einige zu nennen:<br />

Geschwisterkinder, die nicht die gleichen<br />

Eltern haben; verheimlichte Adoptionen,<br />

Abtreibungen, unheilbare und psychische<br />

Erkrankungen; Vernachlässigung ungeliebter<br />

Kinder; Vergewaltigungen; Selbstmorde;<br />

Rätsel im Zusammenhang mit Geld; jüdische<br />

oder nationalsozialistische<br />

Vergangenheiten usw.<br />

Geheimnisse können generationsübergreifende<br />

Gefühle auslösen. Die Verknüpfung<br />

des eigenen Schicksals mit dem der<br />

Ahnen lässt wiederholt Schande, Mitschuld<br />

und Schamgefühle entstehen, die<br />

ÜBER DIE AUTORIN<br />

Silvia Prosquill-Salzmann ist diplomierte Lebens- und Sozialberaterin<br />

in eigener Praxis. Sie ist Absolventin der Sigmund-Freud-Privatuniversität<br />

in Wien, wo sie zur Psychoanalytikerin<br />

ausgebildet wird und einen BA p.th.<br />

erworben hat.<br />

KONTAKT<br />

Silvia Prosquill-Salzmann<br />

Dipl. Lebens- und Sozialberaterin<br />

Psychotherapeutin in Ausbildung und Supervision<br />

Laudongasse 31/5/15, A 1080 Wien<br />

Mobil +43-(0)664-190 32 31<br />

uns über weite Strecken in unserem Leben<br />

beeinträchtigen und Angst vor Ausschluss<br />

und Außenseitertum zur Folge hat. Die<br />

Aufdeckung von familiären Heimlichkeiten<br />

geht mit bedrückender Angst einher<br />

und wird erst durch Gewissheit gemildert.<br />

Die Fantasie ist es, die uns quält z. B. ein<br />

ungeliebtes Kind, oder der Enkel eines NS-<br />

Opfers bzw. Täters, oder ein Ersatzkind,<br />

oder ein Kind aus einem Inzest zu sein.<br />

Diese Vorstellungen sind schlimmer, als<br />

die Wahrheit zu erfahren, das Unaussprechliche<br />

zu formulieren und sich mit<br />

der Auswirkung auf sich selbst zu befassen.<br />

***<br />

Entlastung der inneren Spannung<br />

Im therapeutischen Rahmen erlebe ich<br />

immer wieder die große Erleichterung,<br />

wenn ein Betroffener sich erstmals öffnet<br />

und über sein geheimes Thema spricht.<br />

Die Neutralität und der professionelle Umgang<br />

ermöglichen eine weitgehende Entlastung<br />

der inneren Spannung, die sich<br />

manchmal über Jahre aufgebaut hat. Vielfach<br />

sind Familiengeheimnisse von parallel<br />

auftretenden körperlichen und seelischen<br />

Symptomen wie Schlaflosigkeit,<br />

Melancholie, sexueller Empfindungslosigkeit,<br />

Schmerzen verschiedenster Art begleitet.<br />

Im Zuge einer therapeutischen Aufarbeitung<br />

ist eine Auflösung der<br />

körperlichen Beschwerden regelmäßig zu<br />

beobachten. So können etwa Träume im<br />

therapeutischen Prozess erhellend und<br />

wegweisend für verdrängte Erlebnisse sein.<br />

Eine wichtige Phase tritt ein, wenn ein Betroffener<br />

sich mit Vergangenem konfrontiert,<br />

Unaussprechliches besprechbar wird<br />

und in weiterer Arbeit damit versöhnt.<br />

Ein langer therapeutischer Prozess nähert<br />

sich dem Ende zu.<br />

Im dem Zusammenhang denke ich an<br />

den Satz „Werde der, der du bist“ mit allen<br />

Geheimnissen und daraus resultierenden<br />

Schwierigkeiten, doch im Bewusstsein,<br />

dass sie ein Teil von dir sind und deiner<br />

Selbstwerdung und Selbstheilung dienen.<br />

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