architektur Ausgabe 1 2019
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<strong>architektur</strong> FACHMAGAZIN<br />
44<br />
<strong>architektur</strong>szene<br />
Das Rote Wien –<br />
eine Ideologie der Architektur<br />
„Wenn wir einmal nicht mehr sind, werden die Steine für uns sprechen.“ Karl Seitz<br />
Ideologien spiegeln sich häufig in der Architektur wider. Auch die Stadt Wien ist Trägerin<br />
eines wichtigen politischen Erbes. Bereits 100 Jahre liegt die Geburtsstunde des<br />
Sozialismus in der Bundeshauptstadt zurück. Das Rote Wien ist nicht nur eine politische,<br />
sondern vielmehr eine gesellschaftliche und architektonische Ideologie.<br />
Text: Dolores Stuttner<br />
Eine der bedeutendsten Errungenschaften<br />
aus der damaligen Zeit sind die kommunalen<br />
Wohnbauten, die auch heute noch das Ortsbild<br />
der Bundeshauptstadt prägen. Alleine<br />
in der Ersten Republik errichtete die Stadt<br />
Wien 382 Gemeindebauten. Geplant wurden<br />
diese von 199 Architekten. Doch trotz der<br />
großen Zahl an Planern setzte sich beim sozialen<br />
Wohnbau der Zwischenkriegszeit ein<br />
unverkennbarer Stil durch. So sind die Bauten<br />
der Zwischenkriegszeit auch heute noch<br />
auf den ersten Blick erkennbar.<br />
Insgesamt besitzt die Stadt Wien 220.000<br />
Gemeindewohnungen – dies macht sie<br />
zur größten Hausverwaltung Europas. Die<br />
Bauten sind in den Wiener Bezirken unterschiedlich<br />
stark vertreten. In den dicht<br />
verbauten Stadtteilen Mariahilf, Josefstadt<br />
und Neubau ließen sich mit den kommunalen<br />
Wohnbauten nur wenige Lücken<br />
füllen. Dagegen weisen der 5. und der 12.<br />
Wiener Gemeindebezirk eine im Vergleich<br />
zu ihrer Fläche sehr hohe Zahl der weitläufigen<br />
Wohnanlagen auf. Zu verdanken<br />
ist dies den Grundstücksankäufen entlang<br />
des heutigen Margareten- und Meidlinger<br />
Gürtels. In der Inneren Stadt errichtete man<br />
in der Ersten Republik keine kommunalen<br />
Wohnbauten.<br />
Ein soziales Konzept stiftet Identität<br />
Unzumutbare Verhältnisse prägten zum<br />
Anfang des 20. Jahrhunderts die Wohnsituation<br />
der Arbeiterschicht. Erste Ansätze<br />
eines kommunalen Wohnbaus entstanden<br />
um die Jahrhundertwende – in der Anfangszeit<br />
bestand die Hauptmotivation in<br />
der Linderung der Wohnungsnot. Die Idee<br />
nahm schließlich in Form von Werkswohnungen,<br />
die durch die Floridsdorfer Loko-<br />
Karl Seitz Hof<br />
© Bwag<br />
motivfabrik, die Firma Breviller & Urban<br />
sowie karitative Vereine errichtet wurden,<br />
Gestalt an. Trotzdem besserten sich die<br />
Lebensumstände der Wiener Arbeiterklasse<br />
nur langsam – so kamen im Bezirk Ottakring<br />
im Jahr 1910 auf 177.000 Einwohner<br />
lediglich 40.000 Wohnungen. Die politische<br />
Voraussetzung für den sozialen Wohnbau<br />
wurde schließlich erst 1917 und obendrein<br />
ungewollt geschaffen.<br />
Nach Protesten seitens der Bevölkerung<br />
sah sich die Regierung dazu gezwungen,<br />
eine Mietschutzverordnung ins Leben zu<br />
rufen. Sie war ursprünglich Familien von<br />
Soldaten vorbehalten und sollte diese vor<br />
dem Verlust ihrer Wohnung bewahren. Aus<br />
diesem Konzept heraus entwickelte sich<br />
1919 – als die Stadt zum ersten Mal unter<br />
sozialdemokratischer Verwaltung stand –<br />
die Idee zur Errichtung gemeindeeigener<br />
Großwohnanlagen, deren Wohnungen erschwinglich<br />
sein sollten. Die sogenannten<br />
„Superblocks“ sollten aber nicht nur Wohnraum,<br />
sondern auch soziale Infrastruktur<br />
zur Verfügung stellen. So wurden in den<br />
Erdgeschosszonen der Gemeindewohnbauten<br />
Kindergärten, Volksbibliotheken,<br />
Werkstätten, Veranstaltungs- und Versammlungssäle,<br />
Geschäftslokale und Mutterberatungsstellen<br />
angesiedelt – all jene<br />
Einrichtungen standen den Bewohnern zur<br />
kollektiven Nutzung zur Verfügung. Der<br />
erste soziale Wohnbau, der Metzleinstaler<br />
Hof im 5. Wiener Gemeindebezirk, war<br />
schließlich 1925 bezugsfertig.<br />
Möglich wurde der kommunale Wohnbau<br />
aber nicht alleine durch den politischen<br />
Umbruch, sondern auch durch den zunehmenden<br />
Besitz von Bauland durch die Stadt<br />
Wien. Bereits 1924 war die Bundeshauptstadt<br />
mit 2,6 Millionen Quadratmetern Bauland<br />
größter Grundbesitzer in Österreich.<br />
Der Stadt war es dadurch auch möglich,<br />
Bodenspekulation einzudämmen.