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architektur Ausgabe 1 2019

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www.<strong>architektur</strong>-online.com<br />

45<br />

<strong>architektur</strong>szene<br />

Architektur als politischer Spiegel<br />

Nicht nur schön anzusehen, sondern vor<br />

allem lebenswert sollte der kommunale<br />

Wohnbau sein. Den „verlogenen Scheinfassaden“<br />

der Zinshäuser des Jugendstils<br />

sagte die sogenannte „Architektur des Proletariats“<br />

in der Ersten Republik den Kampf<br />

an. Dies tat sie, ohne in eine stilistische<br />

Eintönigkeit zu verfallen. In den Gemeindebauten<br />

sind nicht nur Sachlichkeit, sondern<br />

gleichzeitig historische Einflüsse des Klassizismus<br />

und des Wiener Sezessionismus<br />

zu finden – schließlich befanden sich unter<br />

den zuständigen Architekten viele Schüler<br />

Otto Wagners. Der unverkennbare Stil<br />

setzte sich in Wien durch und ist heute fixer<br />

Bestandteil des Stadtbildes. Die einprägsame<br />

Ästhetik hatte dabei zusätzlich sozialen<br />

Nutzen. So dienten die weitläufigen und oft<br />

begrünten Höfe der Wohnanlagen als Aufenthalts-<br />

und Naherholungszonen, soziale<br />

Treffpunkte und Kinderspielflächen.<br />

Leider setzte sich der Baustil nur bis in die<br />

1930er-Jahre durch. In der Nachkriegszeit<br />

kam bei der Realisierung sozialer Wohnbauten<br />

ein anderer, weitaus schlichterer<br />

Ansatz zum Tragen. Grund war eine große<br />

Nachfrage nach Wohnungen bei knappen<br />

Baugründen. Aus dem Bestreben heraus,<br />

in kurzer Zeit viele Wohnungen zu errichten,<br />

entstand die Per-Albin-Hansson-Siedlung<br />

West im 10. Wiener Gemeindebezirk.<br />

Der erste kommunale Wohnbau der Nachkriegszeit<br />

wurde im Jahr 1947 ausschließlich<br />

aus Ziegelschuttbeton errichtet. In den<br />

darauffolgenden Jahren fehlte es der Stadt<br />

Wien aber nicht nur an Baugründen, sondern<br />

gleichzeitig an finanziellen Mitteln. So<br />

kam es dazu, dass sich am Stadtrand hohe<br />

Wohnblöcke mit minimalistischer Fassadengestaltung<br />

häuften. In den 1970er-Jahren<br />

versuchte sich die Stadt schließlich<br />

im Bauen identitätsstiftender Bauten. Als<br />

Ergebnis davon entstand unter anderem<br />

die Wohnhausanlage am Schöpfwerk im 12.<br />

Wiener Gemeindebezirk.<br />

In den darauffolgenden Jahren gerieten<br />

die sogenannten Großwohnsiedlungen am<br />

Stadtrand aufgrund sozialer Problematik<br />

aber in Verruf. Auch die Stadt erkannte,<br />

dass sich eine derartige Konzentration großer<br />

Menschenmengen in Gegenden mit fehlender<br />

sozialer Infrastruktur negativ auf die<br />

Sicherheit auswirkte. Da ab den 1970er-Jahren<br />

zudem die Nachfrage nach Wohnungen<br />

wieder zurückging, realisierte Wien ihre<br />

kommunalen Wohnbauprojekte überwiegend<br />

in bereits bewohnten, dicht verbauten<br />

Gebieten, um Baulücken zu schließen.<br />

Karl Marx Hof<br />

© Dreizung<br />

Metzleinstaler Hof<br />

© Bezirksmuseum Margareten<br />

Lehren für die Stadt(planung)<br />

Auch wenn die Bauweise einiger Gemeindebauten<br />

nicht mehr den heutigen Standards<br />

der Architektur entspricht, darf nicht vergessen<br />

werden, wie sehr Wien durch den<br />

kommunalen Wohnbau geprägt und verändert<br />

wurde. Und die Veränderungen waren<br />

durchweg positiv – so war es mit dem<br />

Gemeindebaukonzept möglich, der Arbeiterklasse<br />

leistbare Wohnungen von guter<br />

Qualität zur Verfügung zu stellen und die<br />

Wohnungsnot einzudämmen. Vor allem mit<br />

den Wohnkomplexen der Zwischenkriegszeit<br />

schaffte es die Stadt, in ganzen Bezirksteilen<br />

identitätsstiftende Architektur zu realisieren.<br />

Jene Konzepte prägen bis heute das Ortsbild<br />

der Stadt, wobei die Wohnungen noch<br />

immer einen guten Ruf genießen – immerhin<br />

lebt heute jeder vierte Wiener in einem Gemeindebau.<br />

Zu verdanken ist die Beliebtheit<br />

der Gemeindewohnungen nicht zuletzt den<br />

Sanierungsmaßnahmen der letzten Jahre.<br />

2.522 kommunale Wohnbauten wurden zwischen<br />

1994 und 2005 renoviert, sodass die<br />

darin befindlichen 122.000 Wohnungen dem<br />

modernen Standard entsprechen.<br />

Allerdings muss sich der kommunale Wohnbau<br />

der Stadt heute großen Herausforderungen<br />

stellen – diese sind nicht bautechnischer,<br />

sondern vor allem politischer und<br />

damit finanzieller Natur. Die rapide ansteigenden<br />

Bau- und Grundstückskosten wirken<br />

sich auch auf die Mietpreise der Gemeindewohnungen<br />

aus – so stellt sich die<br />

Frage, ob es noch immer gerechtfertigt ist,<br />

von „sozialem Wohnbau“ zu sprechen. Da<br />

jedes Jahr noch immer an die 10.000 Gemeindewohnungen<br />

vergeben werden, ist<br />

dies eine Fragestellung, der sich Wien auf<br />

jeden Fall widmen sollte. Noch gibt es seitens<br />

der Hauptstadt diesbezüglich keine<br />

Ansätze – auch die Errichtung des bisher<br />

letzten Gemeindebaus liegt schon lange,<br />

nämlich 15 Jahre zurück.

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