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10 ** <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 54 · D ienstag, 5. März 2019<br />
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Berlin<br />
Kleine Schritte<br />
Die <strong>Berliner</strong> Sozialdemokraten gewinnen leicht dazu.<br />
VonErholung kann man aber noch nicht sprechen<br />
+0,8<br />
+0,7<br />
+0,6<br />
+0,6<br />
+0,5<br />
Beliebtheit der <strong>Berliner</strong> Senatoren<br />
Bewertung anhand einer Skala von +5bis –5(dargestellt ist jeweils der Mittelwert)<br />
0<br />
–0,1<br />
–0,2<br />
–0,6<br />
–1,2<br />
Veränderung zum Vormonat<br />
−0,1 +0,2 0,0<br />
−0,2 +0,1<br />
−0,2<br />
Bekanntheit<br />
–1,6<br />
−0,1 −0,2 −0,2<br />
−0,2 −0,1<br />
74% 69% 66%<br />
63% 73%<br />
60%<br />
97% 53% 66%<br />
75% 74%<br />
Klaus Lederer<br />
(Linke)<br />
Ramona Pop<br />
(Grüne)<br />
Matthias<br />
Kollatz<br />
(SPD)<br />
Dilek Kolat<br />
(SPD)<br />
Andreas Geisel<br />
(SPD)<br />
Dirk Behrendt<br />
(Grüne)<br />
Michael Müller<br />
(SPD)<br />
Elke Breitenbach<br />
(Linke)<br />
Regine Günther<br />
(parteilos,<br />
für Grüne)<br />
Katrin Lompscher<br />
(Linke)<br />
Sandra Scheeres<br />
(SPD)<br />
BLZ/REEG;QUELLE: FORSA<br />
VonMelanie Reinsch<br />
Essind keine deutlichen Zugewinne,<br />
aber doch zaghafte<br />
Signale der Stabilisierung,<br />
über die sich die <strong>Berliner</strong><br />
Sozialdemokraten durchaus<br />
freuen dürften. 17 Prozent der Menschen<br />
würden die SPD wählen, wenn<br />
am kommenden Wochenende Abgeordnetenhauswahl<br />
wäre. Immerhin<br />
zwei Prozentpunkte mehr als noch<br />
im Dezember 2018. Zu diesem Ergebnis<br />
kommt eine aktuelle repräsentative<br />
Forsa-Umfrage im Auftrag<br />
der <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong>.<br />
Auch auf Bundesebene scheint<br />
sich diese Tendenz abzuzeichnen.<br />
13 Prozent würden momentan auch<br />
bei der Bundestagswahl ihr Kreuz<br />
den Sozialdemokraten schenken.<br />
Ein kleiner Prozentpunkt mehr als<br />
im Vormonat nur, aber in Zeiten der<br />
Krise dürften diese Zahlen Balsam<br />
sein. Schließlich ringt und bangt die<br />
SPD im Bund und im Land um ihre<br />
Wähler und um eine Neuausrichtung<br />
der Partei, bisher verläuft die<br />
Reform jaeher schleppend. Ob der<br />
leichte Aufschwung auf das klareBekenntnis<br />
der SPD zur Umgestaltung<br />
vonHartz IV zurückzuführen ist oder<br />
auf die Forderung, die Grundrente<br />
für Geringverdiener einzuführen, sei<br />
dahingestellt.<br />
Grüne legen leicht zu<br />
Sonntagsfrage Bundestag<br />
Februar 2019 „Wenn am Sonntag<br />
Bundestagswahl wäre...“<br />
in KlammernVeränderung zum Vormonat<br />
SPD<br />
13 %<br />
(+1)<br />
Grüne<br />
23 %<br />
(±0)<br />
Linke<br />
15 % (–2)<br />
Sonstige<br />
6%(±0)<br />
CDU<br />
24 % (+1)<br />
FDP<br />
7%(±0)<br />
AfD<br />
12 % (±0)<br />
Fakt ist aber auch, dass die <strong>Berliner</strong><br />
Sozialdemokraten weiterhin nur den<br />
vierten Platz im Vergleich zu den anderen<br />
Parteien im Abgeordnetenhaus<br />
belegen. Auf der Pole-Position<br />
liegen weiterhin die Grünen (22 Prozent)<br />
–ein Prozentpunkt mehr als im<br />
Vormonat. Der Landesverband bekommt<br />
Rückenwind von den Grünen-Bundesvorsitzenden<br />
Robert<br />
Habeck und Annalena Baerbock, die<br />
in der Umfrage auf Bundesebene<br />
23 Prozent holen.<br />
Auf dem zweiten Platz folgt die<br />
oppositionelle CDU mit ihrem Fraktionsvorsitzenden<br />
Burkard Dregger<br />
(20 Prozent), der zuletzt mit dem<br />
grünen Oberbürgermeister von Tübingen,<br />
Boris Palmer, für Wirbel in<br />
der Stadt sorgte.Die stärkste Kraft in<br />
der Opposition hat in diesem Monat<br />
abermals einen Prozentpunkt hinzugewonnen.<br />
Im Oktober lagen die<br />
<strong>Berliner</strong> Christdemokraten noch bei<br />
16 Prozent. Damit hinken sie aber<br />
Sonntagsfrage Abgeordnetenhaus<br />
Februar 2019 „Wenn am Sonntag<br />
Abgeordnetenhauswahl wäre...“<br />
in KlammernVeränderung zum Vormonat<br />
SPD<br />
17 %<br />
(+1)<br />
Grüne<br />
22 %<br />
(+1)<br />
Linke<br />
18 % (–2)<br />
Sonstige<br />
5%(±0)<br />
CDU<br />
20 % (+1)<br />
FDP<br />
7%(–1)<br />
AfD<br />
11 % (±0)<br />
BLZ/GALANTY; QUELLE: FORSA<br />
immer noch deutlich dem Bundestrend<br />
hinterher: Wäre am Sonntag<br />
Bundestagswahl, dann würden<br />
24 Prozent die Christdemokraten<br />
unter der CDU-Vorsitzenden Annegret<br />
Kramp-Karrenbauer wählen. Ob<br />
und inwieweit AKKs geschmackloser<br />
und hitzig diskutierter „Witz“ über<br />
Intersexualität an Karneval auf das<br />
CDU-Konto einzahlt oder genau das<br />
Gegenteil bewirkt, wird sich noch<br />
zeigen –die Umfrage fand vor dem<br />
Karneval statt.<br />
An dritter Stelle in der Befragten-<br />
Gunst landet in diesem Monat die<br />
Linke mit 18 Prozent –zwei Prozentpunkte<br />
weniger als noch im Januar.In<br />
Berlin hat die Linke aktuell unter Bausenatorin<br />
Katrin Lompscher die volle<br />
Aufmerksamkeit. Enteignungsdebatten<br />
rund um die Deutsche Wohnen<br />
und das wohl verfehlte Ziel, bis zum<br />
Ende der Legislaturperiode 30 000<br />
Wohnungen zu bauen, könnten sich<br />
negativ für die Linke ausgewirkt haben.<br />
Die Wohnungsnot empfinden<br />
die <strong>Berliner</strong> immer noch als dringlichstes<br />
Problem in der Stadt.<br />
Zustimmung zur Enteignung sinkt<br />
Zu dieser leicht veränderten Momentaufnahme<br />
würde passen, dass<br />
sich die Stimmung in der Hauptstadt<br />
zum Thema Enteignung ändert:<br />
39 Prozent halten es laut Forsa-Umfrage<br />
für sinnvoll, Vermieter mit<br />
mehr als 3000 Wohnungen zu enteignen<br />
–fünf Prozentpunkte weniger<br />
als im Januar. Die Debatten um die<br />
Wohnungspolitik macht Lompscher<br />
hinter dem Regierenden Bürgermeister<br />
Michael Müller zur zweitbekanntesten<br />
Senatorin –und gleichzeitig<br />
zur zweitunbeliebtesten.<br />
Unter allen politischen Akteuren,<br />
die abgefragt wurden, bleibt Kultursenator<br />
Klaus Lederer (Linke) der beliebteste<br />
–und verteidigt damit seinen<br />
1. Platz auf der „Treppe“.<br />
Ausschließlich Wirtschaftssenatorin<br />
Ramona Pop (Grüne) und Innensenator<br />
Andreas Geisel (SPD)<br />
haben im Februar an Beliebtheit<br />
leicht dazugewonnen, Finanzsenator<br />
Matthias Kollatz konnte sich halten,<br />
die anderen verloren Sympathiepunkte.<br />
Beialler Spekulation über die Bewertung<br />
der Ergebnisse ist aber eines<br />
sicher: Die rot-rot-grüne Koalition<br />
bleibt mit 57 Prozent weiterhin<br />
stabil.<br />
Getanzt wird im Sitzen<br />
Das ganze Jahr über ist Berlin Party- und Kulturhauptstadt. Nur an Karneval gilt das nicht. Wiefeiert man in einer Stadt, in der sich kaum jemand für Kamellen und Jecken interessiert?<br />
VonDaniel Böldt<br />
Quizfrage: Wie lautet der Narrenruf<br />
inBerlin? Wenn Sie jetzt als<br />
erstes denken – Narrenruf? Karneval?<br />
Unddas in Berlin? –dann ist die<br />
Antwortgar nicht mal so falsch.<br />
Es wäre untertrieben zu behaupten,<br />
Berlin sei keine Karnevalshochburg.<br />
Derdurchschnittliche <strong>Berliner</strong><br />
fiebert Karneval in etwa so sehr entgegen<br />
wie dem jährlichen Zahnarztbesuch.<br />
Unddoch gibt es sie,die <strong>Berliner</strong><br />
Karnevalisten. 21 Vereine listet<br />
das Festkomitee <strong>Berliner</strong> Karneval<br />
auf seiner Homepage auf. Zum Vergleich:<br />
In Köln gibt es an die 200.<br />
Lila-weiße Narrentracht<br />
„Die <strong>Berliner</strong> interessieren sich<br />
schon für Karneval, nur ist Berlin<br />
nun mal sehr vielfältig“, versucht<br />
Olaf Schwarz auf einer Karnevalsparty<br />
an Weiberfastnacht die Skepsis<br />
der <strong>Berliner</strong> zu erklären. Der70-Jährige<br />
ist Präsident der Narrenkappe<br />
Berlin e.V. Die Veranstaltung, durch<br />
die er führt, ist die einzige eines <strong>Berliner</strong><br />
Karnevalsvereins an diesem<br />
Bestens gelaunt: Olaf Schwarz, Präsident des Narrenkappe Berlin e.V.<br />
VOLKMAR OTTO<br />
Donnerstag. Rund 120 Gäste haben<br />
sich dazu in den Tegeler Seeterrassen<br />
in Reinickendorf versammelt. Gäste<br />
und Saal sind dezent verkleidet. Luftballons,<br />
Tischdecken, Wandschmuck<br />
–alles ist in lila-weiß gehalten,<br />
den Vereinsfarben der Narrenkappe.<br />
Aufwändige Kostüme tragen<br />
nur wenige. Die Vereinsmitglieder<br />
erkennt man an der lila-weißen Ordenstracht.<br />
Die „Narrenkappe Berlin“ wurde<br />
1982 gegründet. Olaf Schwarz trat<br />
ein Jahr später ein. Seit 2004 ist der<br />
gebürtige <strong>Berliner</strong> mit schütterem<br />
weißen Haar und munteren Augen<br />
Präsident desVereins.Dass der <strong>Berliner</strong><br />
Karneval nicht mit dem in Köln<br />
vergleichbar ist, weiß auch Schwarz.<br />
„Wir sehen den Karneval nicht als<br />
Party, sondern als Traditions- und<br />
Brauchtumspflege“, sagt er.<br />
Ganz vorne imSaal der Tegeler<br />
Seeterrassen sitzen Gisela Müller,83,<br />
und ihreFreundin Ingrid Freitag, 85.<br />
Seit halb drei sind die beiden hier.<br />
Das Showprogramm beginnt anderthalb<br />
Stunden später.„Wirtreffen<br />
uns immer ein bisschen früher, darassen<br />
dürfte um das Renteneintrittsalter<br />
liegen. „Wir haben Nachwuchsschwierigkeiten“,<br />
gesteht<br />
Schwarz. „Entweder sind die in der<br />
Ausbildung oder beruflich gefordert<br />
oder arbeitslos.“ Soll heißen: Die<br />
jungen Menschen hätten entweder<br />
keine Zeit oder kein Geld für den<br />
Mitgliedsbeitrag. Ingrid Freitag fügt<br />
noch einen Grund hinzu: „Die junmit<br />
wir noch plaudernkönnen“, sagt<br />
Müller. Ab 15 Uhr sieht der Programm-Flyer<br />
zur Einstimmung<br />
„Tanzmusik“ vor. „Aber,dass hier jemand<br />
tanzt, werden Sie nicht erleben“,<br />
sagt Müller. Sie selbst hätte<br />
zwar schon Lust –man sei im Kopf ja<br />
noch wie 55 –aber das mache der<br />
Körper nicht mehr mit. Der Altersdurchschnitt<br />
in den Tegeler Seetergen<br />
Leute gehen lieber in die Disco.“<br />
Zurzeit hat die Narrenkappe noch<br />
23 aktiveMitglieder.<br />
Nachwuchs ist das eine Problem<br />
für die <strong>Berliner</strong> Karnevalsvereine.<br />
Das andere ist Geld. Einen Karnevalsumzug<br />
gibt es seit vergangenem<br />
Jahr nicht mehr.DieVereine konnten<br />
die Kosten für die erhöhten Sicherheitsauflagen<br />
nicht aufbringen.<br />
Polonaise zieht Kreise<br />
Schon in den Jahren 2014 und 2015<br />
scheiterte der Umzug am Geld. Damals<br />
weigerte sich die Stadtreinigung,<br />
weiterhin unentgeltlich hinter<br />
den Karnevalisten aufzuräumen.<br />
Schwarz macht auch die Politik<br />
für die klamme Lage verantwortlich.<br />
„Solange der Senat nicht begreift,<br />
dass wir Karnevalisten ein wichtiges<br />
Kulturgut vermitteln, werden wir es<br />
schwer haben in Berlin.“<br />
Ein Kulturprogramm bietet die<br />
Narrenkappe zweifellos. Tanzgruppen,<br />
Büttenredner und Parodiengruppen<br />
treten auf. Doch wer die<br />
Veranstaltung in Tegel verfolgt, der<br />
merkt, dass die Karnevalisten vorallem<br />
eine soziale Funktion erfüllen.<br />
Im Sommer tritt der Verein in Seniorenheimen<br />
auf. Sie sorgen für Zerstreuung<br />
und Lacher bei Menschen,<br />
die der Kulturbetrieb oft nicht mehr<br />
im Blick hat.<br />
DieStimmung in den Tegeler Seeterrassen<br />
ist trotz Nachwuchs- und<br />
Geldsorgen gut. Getanzt und geschunkelt<br />
wird vor allem im Sitzen –<br />
bis ein Künstler eine Polonaise startet.<br />
Zuerst schließen sich nur zwei<br />
Gäste an. Dann noch vier. Dann<br />
noch drei. Schließlich macht fast ein<br />
Viertel des Saals mit. Dass die Polonaise<br />
an manchen Stellen reißt, weil<br />
manchen das Tempo zu hoch ist,<br />
stört keinen. Zwei, drei Polonaisen<br />
schlängeln sich jetzt durch den Saal,<br />
jede in ihrem eigenen Tempo.<br />
Für Gisela Müller hält Schwarz<br />
noch eine Überraschung bereit. Er<br />
holt sie auf die Bühne,umsie für ihrenlangjährigen<br />
Einsatz für die Narrenkappe<br />
zu ehren. Müller ist das<br />
unangenehm. Siesitzt längst wieder,<br />
als Schwarzsie in den Saal ruft: „Vielen<br />
Dank und ein dreifach donnerndes<br />
Berlin… Hei-jo.“