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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 54 · D ienstag, 5. März 2019 – S eite 19 *<br />
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Feuilleton<br />
Die Popkolumne:<br />
Zwei Giganten am<br />
Saxofon<br />
Seite 22 und 23<br />
„Das war die Kraft, mit der James Baldwin mich erwischt hat.“<br />
Der Oscar-Preisträger Barry Jenkins im Gespräch über seinen neuen Film „Beale Street“ Seite 20<br />
Kulturpolitik<br />
Da Vinci und<br />
die Populisten<br />
Susanne Lenz<br />
ist überrascht, in welche<br />
Bereiche der politische<br />
Chauvinismus vordringt<br />
Wem gehört die Kunst, ist eine<br />
Frage, die dieser Tage oft gestellt<br />
wird. In den Zeiten des neuen<br />
europäischen Populismus’ kann es<br />
auch darum gehen, wemein Künstler<br />
gehört. Leonardo da Vincis wegen<br />
gab es jedenfalls in den letzten Monaten<br />
Spannungen. Dieser ist 1492 in<br />
der Toskana geboren, Italien gab es<br />
damals noch gar nicht. Nachdem sein<br />
Förderer gestorben war, zog er auf<br />
Einladung des französischen Königs<br />
mit der „Mona Lisa“ im Gepäck nach<br />
Frankreich, wo er 1519 starb.<br />
Die populistische Regierung in<br />
Rom nun stellte sich Ende 2018 gegen<br />
eine Vereinbarung der Vorgängerregierung,<br />
laut derer mehrere<br />
Werke des Künstlers für eine große<br />
Ausstellung zum 500. Todestag des<br />
Künstlers nach Frankreich ausgeliehen<br />
werden sollten. DieStaatssekretärin<br />
im Kulturministerium Lucia<br />
Borgonzoni warfFrankreich vor, sich<br />
da Vinci aneigenen zu wollen. Das<br />
Land habe Italien respektlos behandelt,<br />
wie einen Supermarkt, dem<br />
man eine Einkaufsliste schicken<br />
kann. Borgonzoni ist Mitglied der<br />
rechtspopulistischen Partei Lega<br />
Nord. Doch wer hätte gedacht, dass<br />
deren Agenda „Italiener zuerst“ in<br />
den Bereich der Kultur eindringen<br />
würde. Der pro-europäische französische<br />
Präsident ist den italienischen<br />
Nationalisten ohnehin ein Dorn im<br />
Auge. Und umgekehrt. Der italienischeVizeregierungschef<br />
traf sich Anfang<br />
des Jahres mit einem Vertreter<br />
der Gelbwesten. Macron zogdaraufhin<br />
seinen Botschafter aus Romab.<br />
WasLeonardo da Vinci angeht, ist<br />
es noch einmal gut gegangen. Frankreich<br />
und Italien werden den 500.Todestag<br />
Leonardo da Vincis zusammen<br />
begehen. Italiens Präsident Sergio<br />
Mattarella kommt am 2. Mai zu<br />
Macron nach Paris. Die große Da<br />
Vinci-Ausstellung im Louvre wird<br />
dann im Herbst eröffnet. Mit den<br />
Leihgaben aus Italien. Ob das nun<br />
eine Annäherung oder ein Kuhhandel<br />
ist? Der nächste 500. steht bevor.<br />
Italien braucht im nächsten Jahr<br />
Werkevon Raffael aus Frankreich.<br />
Heiterkeit mit Blumen. Vonlinks Sonja Deffner,Stella Sommer,Hanitra Wagner und Philipp Wulf<br />
Ich bin kaputt, doch noch zu kleben<br />
VonHarry Nutt<br />
Das Logo zeigt ein Gesicht,<br />
dem das Lächeln entzogen<br />
scheint, ein Smiley<br />
mit waagerechtem<br />
Strich als Mund. Daspasst zur Hamburger<br />
Band Die Heiterkeit, deren<br />
Lieder bislang allenfalls bedingt dem<br />
Bandnamen entsprachen. Eher lösten<br />
sie Irritation und Rätselraten aus.<br />
Wie soll denn das nun wieder gemeint<br />
gewesen sein? Warüberhaupt<br />
etwas gemeint?<br />
Das 2016 veröffentlichte Album<br />
„Pop &Tod, 1+2“ war als Konzeptalbum<br />
dahergekommen, das sich klarer<br />
Botschaften so gut es ging enthielt.<br />
„Baby, Baby schick es/nach Panama<br />
City“ hieß es etwa in einem<br />
Song, der nichts mit den damals gerade<br />
veröffentlichten Panama-<br />
Papers über ferne Steueroasen zu<br />
tun hatte. Eher ging es um das Bedürfnis,vor<br />
sich selbst zu verschwinden.<br />
In dem Stück „Weiße Elster“<br />
zum Beispiel heißt es: „Es fällt mir<br />
immer auf/es fällt mir immer runter/es<br />
kommt immer was dazu“. Die<br />
musikalischen Vertreter einer gehetzt-indifferenten<br />
Generation<br />
scheinen sich nach dem Flügelschlag<br />
einer weißen Elster zu seh-<br />
„Was passiert ist“ –Das neue Albumder Hamburger Band Die Heiterkeit<br />
nen, die Entlastung verheißt. Aber<br />
noch ehe man das Interpretationsbesteck<br />
ausgepackt hat, ist das Zwei-<br />
Minuten-Stück auch schon wieder<br />
vorbei. Man blieb oft zurück im Ungefähren<br />
beim Hören von „Pop &<br />
Tod“.<br />
Man sagt der Heiterkeit eine kalkulierte<br />
Antriebslosigkeit nach, eine<br />
Art post-intellektuelles Geschick, alles<br />
in der Schwebe zu halten. Dieeinmal<br />
als reine Frauenband gestartete<br />
Formation lieferte reichlich Grübelstoff,<br />
der so hintersinnig daherkam,<br />
dass einem das angestrengte Nachdenken<br />
darüber bald verging. Keine<br />
Zeit für Depressionslyrik –war das<br />
vielleicht die Botschaft?<br />
Womöglich hat es sogar mit Humor<br />
zu tun, was DieHeiterkeit so anziehend<br />
macht. Dashat andereallerdings<br />
nicht davon abgehalten, in die<br />
Tiefe zu gehen. Inzwischen gibt es<br />
Masterarbeiten über deren minimalistisches<br />
Liedgut, und die Literaturkritikerin<br />
Daniela Strigl machte ausgewählte<br />
Stücke gar zum Untersuchungsgegenstand<br />
gehobener Deutungsanstrengungen.<br />
„Was passiert ist, weiß ich auch<br />
nicht“ singt die sich kühl-geheimnisvoll<br />
in Szene setzende Sängerin<br />
Stella Sommer, auf die das neue Album<br />
weit mehr zugeschnitten ist als<br />
die vorangegangenen Produktionen.<br />
(Zur Band gehören außerdem Philipp<br />
Wulf, HanitraWagner und Sonja<br />
Deffner.) In der Anfangsphase, so<br />
sagt Stella Sommer in einem Interview,<br />
wollte niemand gern Diktator<br />
sein. Künstlerische Reifungsprozesse<br />
haben aber nichts mit Demokratie<br />
zu tun. Zwischenzeitlich reüssierte<br />
Stella Sommer mit einem englischsprachigen<br />
Soloprojekt. Weiter<br />
im Text mit der Heiterkeit wird wieder<br />
auf Deutsch gesungen.<br />
Dabei klingt ihre tiefe, dunkle<br />
Stimme nicht, wie oft behauptet<br />
wurde, nach berühmten Vorbildern<br />
wie Nico oder Alexandra. Vielmehr<br />
scheint sie eher in dem performativen<br />
Bewusstsein einer Charisma-<br />
Darstellerin aufzutreten. Auf diese<br />
Weise hält sie Abstand zu der ihr<br />
nachgesagten Rolle der kühlen Diva:<br />
„Was passiertist, weiß ich auch –und<br />
ich guck mir dabei zu.“ Artifizielle<br />
Selbstbeobachtung und -distanzierung<br />
als popkulturelles Projekt.<br />
Es ist denn auch keine avancierte<br />
Fröhlichkeit, die von den neuen<br />
Songs ausgeht, obwohl die meisten<br />
gefälliger und zugleich raffinierter<br />
wirken. Wobei die Kunst der Band<br />
schon früh darin bestand, klanglich<br />
MALTE SPINDLER<br />
heraufziehendes Pathos in Gestalt lyrischer<br />
Brechungen gleich wieder zurückzunehmen.<br />
In dem Video zu<br />
„Wie finden wir uns“ reitet Stella<br />
Sommer durch eine maritime Berglandschaft<br />
und singt: „Ich bin kaputt,<br />
doch noch zu kleben“. Allein für solch<br />
eine Parodie des handelsüblichen<br />
Seelenkitsches kann man sie mögen.<br />
Die aus St. Peter-Ording stammende<br />
Sängern gibt an, viel an der frischen<br />
Seeluft spazieren gegangen zu sein.<br />
Undals sie dann an Bob Dylan entdeckt<br />
hat, was man alles mit Worten<br />
machen kann, glaubte sie ihre musikalische<br />
Bestimmung gefunden zu<br />
haben. „Was passiert ist“ ist so gesehen<br />
eine ArtStandortbestimmung.<br />
Das ineinem durchaus popseligen<br />
Sinne schönste Stück hört auf<br />
den Namen„Jeder Tagist ein kleines<br />
Jahrhundert“, in dem Stella Sommer<br />
geschichtsphilosophisch persönlich<br />
wird. „Ich kenne dieses Zeichen/es<br />
ist sehr allgemein/es möchte nicht<br />
dazugehören/es will nur bei dir<br />
sein“. So schön, so einfach. Und ein<br />
bisschen enthält es ja auch die Welt,<br />
in der wir gerade leben.<br />
DieHeiterkeit „Was passiertist“<br />
(Buback Tonträger). Am 30. Märzspielen<br />
DIeHeiterkeitimLidoinder Cuvrystraße7.<br />
NACHRICHTEN<br />
Berlin vergibt Stipendien an<br />
Künstlerinnen und Künstler<br />
MitStipendien für Künstler und Kuratoren<br />
will Berlin Nachwuchskräfte<br />
in der bildenden Kunst fördern. 2019<br />
sollen mindestens 47 Stipendien an<br />
Künstler und maximal acht Stipendien<br />
an Kuratoren vergeben werden,<br />
wie die Senatsverwaltung für Kultur<br />
am Montag mitteilte.Die Unterstützungen<br />
in Höhe vonjeweils 8000<br />
Euro sind vorgesehen für die Entwicklung<br />
voninBerlin lebenden und<br />
professionell arbeitenden Künstlern,<br />
Kuratoren oder entsprechenden<br />
Gruppen im Bereich der visuellen<br />
Künste. (dpa)<br />
Kultursenator startet<br />
Website zur Europa-Wahl<br />
DerSenator für Kultur und Europa<br />
Klaus Lederer ruft die <strong>Berliner</strong> Bevölkerung<br />
dazu auf, sich an der kommenden<br />
Europawahl am 26. Maizu<br />
beteiligen. 96 der 705 Abgeordneten<br />
des Europäischen Parlaments werden<br />
vonDeutschland gestellt. Insbesonderewill<br />
sich der Senator um die<br />
Erstwähler und Erstwählerinnen bemühen,<br />
deren Beteiligung an der<br />
letzten Europawahl 2014 bundesweit<br />
nur bei 39,6 Prozent lag. Aufder<br />
Website www.berlin.de/europawahl<br />
stellt die Senatsverwaltung Informationen<br />
zurWahl zur Verfügung. Es sei<br />
„dringend notwendig, alle Kräfte zu<br />
mobilisieren, die Wahlbeteiligung an<br />
der Europawahl 2019 zu erhöhen“,<br />
so Lederer. (BLZ)<br />
60 000 Besucher sehen<br />
geschreddertes Banksy-Bild<br />
Dasgeschredderte Bild „Girl with<br />
Balloon“ alias„Love is in the Bin“ des<br />
Street-Art-Künstlers Banksy hat im<br />
Museum Frieder BurdainBaden-Baden<br />
fast 60 000 Besucher angelockt.<br />
Dasseien deutlich mehr als erwartet,<br />
teilte das Museum am Montag mit.<br />
DasBanksy-Werkwar dorterstmals<br />
seit seiner spektakulären Zerstörung<br />
vier Wochen lang in der Öffentlichkeit<br />
zu sehen. „Girl with Balloon“<br />
hatte sich im vergangenen Herbst<br />
während einer Versteigerung beim<br />
Auktionshaus Sotheby’svor aller Augen<br />
mithilfe eines eingebauten Mechanismus<br />
zur Hälfte selbst zerschnipselt.<br />
(dpa)<br />
UNTERM<br />
Strich<br />
Fontane der Woche<br />
Atemnot in<br />
Wagner-Wolken<br />
VonClemens Haustein<br />
Theodor Fontane wusste es schon vorhundert<br />
Jahren: „Denn die Musiker sind die<br />
boshaftesten Menschen. Meist denkt man,<br />
die Prediger und die Schauspieler seien die<br />
schlimmsten. Aber weit gefehlt. Die Musiker<br />
sind ihnen über. Und ganz besonders<br />
schlimm sind die, die die sogenannte heilige<br />
Musik machen.“ Mit der „sogenannten heiligen<br />
Musik“ ist jene RichardWagners gemeint.<br />
Zu heutigen Schauspielern wollen wir<br />
keine sicher subjektiv eingetrübten Eindrücke<br />
vermitteln. Und was die Boshaftigkeit<br />
der seit Fontanes Zeiten zunehmend domestizierten<br />
Prediger angeht, haben sie heute<br />
noch weniger Chancen in der Lästerkonkurrenz<br />
als damals. Unverändertscheint jedenfalls<br />
die anfeuerndeWirkung der„sogenannten<br />
heiligen Musik“ zu sein. Der Dirigent jedenfalls,<br />
mit dessen Arbeitsstil sich die Öffentlichkeit<br />
in den vergangenen zwei<br />
Wochen beschäftigte,liebt Wagner.<br />
Theodor Fontane hingegen mochte Wagner<br />
nicht. Das hielt ihn aber nicht davon ab,<br />
den Meister in fast jedem seiner Romane<br />
doch mindestens am Rande zu erwähnen. So<br />
auch in seinem Alterswerk„DerStechlin“, wo<br />
der alte Graf Barbydie erwähnten Sätzesagen<br />
darf, bevor, umdie Boshaftigkeitsthese unmittelbar<br />
zu belegen, ein besonders schönes<br />
Exemplar die Szene betritt: Doktor Wrschowitz,<br />
stets explosionsgefährdeter Komponist<br />
und Klavierlehrer höherer Töchter.<br />
BARBARA WREDE<br />
Mitseinen Erwähnungen Wagners,indenen<br />
Fontane gleichwohl kaum einmal auf<br />
die Musik eingeht, kommt er seinen Pflichten<br />
als Zeitgenosse nach: Worüber die bürgerliche<br />
Welt sprach (und Wagner war ein<br />
großes Thema), das musste auch in den Erzählungen<br />
vorkommen −als Teil der Krankheitssymptome,<br />
die Fontane realistisch beschreiben<br />
wollte.Dass Fontane,dem alle romantische<br />
Wolkigkeit ein Greuel war, die<br />
Wagnerei für eher ungesund hielt für Körper<br />
und Seele,darüber hat er sich oft geäußert.<br />
Gleichsam als Expedition ins Tierreich<br />
fuhr er nach Bayreuth, wo er sich die Besucher<br />
aus allen Ecken der Erde besah und im<br />
„Parsifal“ dann auch nur knapp dem Tod<br />
entging. „Noch drei Minuten und du fällst<br />
ohnmächtig oder tot vomSitz“, so sei es ihm<br />
durch den Kopf gegangen, berichtete er danach<br />
einem Freund. Die Aufführung war<br />
keine zehn Minuten alt und Fontane konnte<br />
nicht anders als flüchten. Vielleicht lag es an<br />
der schlechten Luft im Festpielhaus. Vielleicht<br />
ist Fontane eines der ersten Beispiele,<br />
dass Wagners Musik (und die Anwesenheit<br />
seiner Anhänger) klaustrophobische Zustände<br />
hervorrufen kann.<br />
Es scheint so, als hätten Wagner und die<br />
Art, wie um ihn gestritten wurde, Fontanes<br />
Blick auf das Metier überhaupt geprägt. Der<br />
Musiker als Vertreter einer blasierten, jeglicher<br />
Nützlichkeit sich sperrenden Spezies<br />
taucht bei ihm jedenfalls immer wieder auf.<br />
„Am schrecklichsten sind die Klaviervirtuosen,<br />
die zwölf Stunden lang spielen, wenn<br />
man sie nicht hören will, und nie spielen,<br />
wenn man sie hören will“, heißt es in<br />
„Cécile“. Der Wunsch nach einem simplen<br />
Walzer sei ihnen „die tödlichste der Beleidigungen“.<br />
Vielleicht hatte es Fontane,der unter<br />
den Instrumenten eine merkwürdige<br />
Sympathie für die Pauke pflegte, aber auch<br />
generell nicht so mit der Musik. „Daran, dass<br />
ich anfange, anMusik Gefallen zu finden,<br />
merke ich deutlich, dass ich alt werde“,<br />
schrieb er als 37-Jähriger an seine Frau. Da<br />
darf man schon mal schnauben. Nicht nur<br />
alsboshafter Musiker.