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12 * <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 54 · D ienstag, 5. März 2019<br />
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Berlin<br />
Alexander Lotz ist Lehrer für<br />
Biologie und Chemie an einer<br />
Kreuzberger Gemeinschaftsschule.<br />
Dass er<br />
schwul ist, will der 36-Jährige auch<br />
gegenüber seinen Schülern keinesfalls<br />
verschweigen. Seit Jahren engagiert<br />
ersich in der AG Schwule Lehrer<br />
der Gewerkschaft GEW. Am<br />
7. März feiert diese Gruppierung ihr<br />
40-jähriges Bestehen. Eine Menge<br />
hat sich inzwischen verändert.<br />
Herr Lotz, empfehlen Sie homosexuellen<br />
Lehrern, sich gegenüber Schülern<br />
und Kollegen zu outen?<br />
Das ist nicht pauschal zu beantworten.<br />
Jede Lehrkraft muss das für<br />
sich entscheiden. Für mich persönlich<br />
ist es wichtig, dass die Schüler<br />
wissen, wer ihr Lehrer ist. Und das<br />
Schwulsein gehört nun mal zu meiner<br />
Identität.<br />
Sie persönlichen reden also in der<br />
Schule über IhreHomosexualität?<br />
Ja, invielerlei Situationen. Wenn<br />
ich konkret darauf angesprochen<br />
werde oder wenn Schüler untereinander<br />
das Wort „schwul“ als<br />
Schimpfwort benutzen. Oder wenn<br />
ich erzähle,was ich am Wochenende<br />
mit meinem Freund unternommen<br />
habe.Wer einmal geoutet ist, kann es<br />
eh nicht mehr rückgängig machen.<br />
Schüler und Kollegen reden darüber…<br />
Klar, das sorgt auch heutzutage<br />
noch für Gesprächsstoff. Bei den<br />
meisten schwulen Lehrern, die ich<br />
kenne, weiß zumindest das Kollegium<br />
Bescheid. Nur bei einem kleinen<br />
Teil wissen auch die Schüler und<br />
Eltern Bescheid. Andere reden gar<br />
nicht darüber. Viele meiner geouteten<br />
Kollegen berichten davon, dass<br />
das Outing letztlich eine große Erleichterung<br />
gewesen ist. Häufig verläuft<br />
es unproblematisch. Aber es ist<br />
eben noch immer nicht für alle einfach.<br />
Wieso nicht?<br />
Ein Beispiel: Ein junger Kollege<br />
wird an einer Schule im sozialen<br />
Brennpunkt eingestellt und fragt<br />
seine Schulleiterin, wie er sich hier<br />
outen könne. Die Dame sagt, das<br />
gehe hier gar nicht.<br />
Wieist es Ihnen persönlich ergangen?<br />
Ichhabe positiveund negativeErfahrungen<br />
gemacht. Letztere bleiben<br />
leider hängen.<br />
Inwiefern?<br />
Ich bin beschimpft worden und<br />
erst im November gab es wieder einen<br />
Vorfall. Da haben Schüler meiner<br />
Klasse dazu aufgerufen, gegen<br />
mich zu demonstrieren. Zum Glück<br />
hat meine Schulleitung konsequent<br />
reagiert.<br />
Wasgeschah?<br />
DieSchulleitung hat sofortermittelt,<br />
werdas war.<br />
Welche Konsequenzen gab es?<br />
Elterngespräche und Klassenkonferenzen.<br />
Da ging echt viel Zeit<br />
drauf. Drei Mädchen hatten die Demonstration<br />
initiiert. Der Aufruf<br />
richtete sich, so wörtlich, an alle,die<br />
Herrn Lotz und allgemein Schwule<br />
hassen. Meine Kollegen haben super<br />
reagiert, viele trugen Regenbogen-<br />
Fahnen und kamen dadurch mit ihren<br />
Schülern über das Thema Homosexualität<br />
und Vielfalt ins Gespräch.<br />
Undwas machten die Schüler?<br />
Auch viele Schüler haben sich mit<br />
mir solidarisiert. Diehaben das eher<br />
leise gemacht. UnsereSchüler haben<br />
ja auch jüngst den Mete-Eksi-Preis<br />
gewonnen mit ihrem Stolperstein-<br />
Projekt, bei dem sie dem Schicksal<br />
eines schwulen Lehrers in der NS-<br />
Zeit nachgegangen sind. In einem<br />
anderen Fall allerdings musste ein<br />
Schüler, der mich beleidigt hatte,<br />
dann die Schule wechseln. Doch die<br />
Schulaufsicht verschleppte diesen<br />
Beschluss zunächst, da musste ich<br />
erst mit dem Personalrat kommen.<br />
Istdas an Ihrer Schule mit vielen türkisch-<br />
und arabischstämmigen<br />
Schülern ein besonderes Problem?<br />
Homophobie gibt es überall.<br />
Auch am bürgerlichen Gymnasium<br />
in Frankfurt/Main habe ich Hass-E-<br />
Mails bekommen. An meiner<br />
Schule in Berlin wird man sicher<br />
manchmal direkter angegangen. Als<br />
Lehrer ist man ja bemüht, einen<br />
emotionalen Zugang zu den Schülern<br />
zu bekommen. Eine Parallelklasse<br />
hat mal auf dem Flur irgendwelche<br />
Bemerkungen hinter meinem<br />
Rücken gemacht, da bin ich<br />
hinterher und hab gesagt, dass das<br />
so nicht gehe und wir das klären<br />
müssten.<br />
„Das Schwulsein<br />
gehört nun mal zu<br />
meiner Identität“<br />
Der Lehrer Alexander Lotz hat sich in seiner<br />
ZUR PERSON<br />
Kreuzberger Gemeinschaftsschule geoutet.<br />
Er erlebte Beschimpfungen,<br />
aber auch Positives<br />
Alexander Lotz ,36Jahre alt, ist in Potsdam geboren, wohnt in Friedrichshain und unterrichtet<br />
Biologie und Chemie an einer Gemeinschaftsschule im Kreuzberger Bergmann-Kiez. Er hat in<br />
Berlin studiertund Referendariat gemacht. Danach war er vier Jahre lang Lehrer am Goethe-<br />
Gymnasium in Frankfurt/Main. Auch dorttrat er offen schwul auf.<br />
In der AG Schwule Lehrer der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Berlin engagiertsich<br />
Alexander Lotz seit vielen Jahren.<br />
Undwas dann?<br />
Die Klassenlehrerin hat mir dann<br />
die Gelegenheit gegeben, um mit<br />
den Schülern darüber zu reden. Ich<br />
denke,dass Schüler,die über Homosexuelle<br />
schimpfen, oft einfach ganz<br />
viele Fragen haben. Und tatsächlich<br />
kamen über 45 Minuten lang Fragen<br />
von den Schülern. Anschließend<br />
schickte mir die Klassenleiterin noch<br />
eine E-Mail: Das sei eine Sternstunde<br />
in ihrem Lehrer-Dasein gewesen.<br />
Was wollten die Schüler denn alles<br />
wissen?<br />
Woran man merkt, dass man<br />
schwul ist, wie lange das schon so ist,<br />
was die Eltern gesagt haben. Sie<br />
wollten auch wissen, wieso man<br />
überhaupt schwul ist und welche Er-<br />
BERLINER ZEITUNG/PAULUS PONIZAK<br />
fahrungen man da so macht. Undwo<br />
sich Schwule überhaupt treffen. Bei<br />
einigen unserer Schülerinnen und<br />
Schüler ist das Thema„Liebe und Sexualität“<br />
grundsätzlich stark tabuisiert,<br />
sie wissen wenig darüber.<br />
Die AGSchwule Lehrer gibt es ja seit<br />
40 Jahren. Washat sich seither getan?<br />
In den 70er-Jahren konnten Lehrer<br />
als Bewerber abgelehnt werden,<br />
weil sie homosexuell waren. Es gab<br />
faktisch Berufsverbote. Das änderte<br />
sich erst 1979, als die Aktivisten eine<br />
Einigung mit dem Senat erreichten.<br />
Damals kämpfte die AG Schwule<br />
Lehrer gegen den Paragrafen 175,<br />
der sexuelle Handlungen zwischen<br />
männlichen Jugendlichen unter<br />
Strafe stellte.Das war die große Aufgabe,<br />
soerzählen es mir Aktivisten<br />
von damals .Inden ersten 15 Jahren.<br />
1994 wurde der Paragraf<br />
schließlich abgeschafft, der Umgang<br />
mit Homosexuellen hat sich<br />
seither sehr zum Positiven gewandelt.<br />
In den 90er-Jahren setze die<br />
Wende ein, seither diskutierte man<br />
anders über Schwule und Lesben.<br />
Jetzt geht es uns darum, sexuelle<br />
und geschlechtliche Vielfalt in den<br />
Lehrplänen zu verankern und<br />
Homo- und Transphobie als Diskriminierungstatbestände<br />
festzuschreiben.<br />
Unsere Verbündeten<br />
sind ja heute auch ganz andere als<br />
noch vor20Jahren.<br />
Zum Beispiel der rot-rot-grüne Senat…<br />
Ja, auch die Schulbehörde. Es<br />
wärevor 40 Jahren undenkbar gewesen,<br />
dass eine Lehrkraft mit ganzer<br />
Stelle in die Bildungsverwaltung abgeordnet<br />
wird, um die Beschlüsse<br />
zur sexuellen Vielfalt im Bildungsbereich<br />
umzusetzen.<br />
Die AfD zieht mittlerweile mit dem<br />
Kampfbegriff „Frühsexualisierung“<br />
gegen das Konzept der sexuellen Vielfalt<br />
zu Felde. Wiebewerten Siedas?<br />
Wir haben die fortschrittlichsten<br />
Sexualerziehungsrichtlinien in Berlin.<br />
Sie stammen aus dem Jahr 2001<br />
und sollen gerade überarbeitet werden.<br />
Für die Sexualerziehung soll es<br />
nach den neuen Lehrplänen auch einen<br />
neuen Handlungs- und Orientierungsrahmen<br />
geben. Schon 2017<br />
sollte der veröffentlicht sein. Doch<br />
das stockt.<br />
Um welche Vorgaben für den Unterricht<br />
geht es da?<br />
Ich habe zum Beispiel vor einem<br />
Jahr mit einer Didaktikerin von der<br />
FU etwas für den Biologieunterricht<br />
entworfen, das zeigt, dass Geschlechter<br />
auch in der Natur nichts<br />
Starres sind. In der 10. Klasse in Genetik<br />
könnte man darstellen, wie Geschlechter<br />
entstehen. In der Ökologie<br />
hängt das Geschlecht einer bestimmten<br />
Echsenartvon der Temperatur<br />
ab.<br />
Ab welchem Alter sollte man mit Kindern<br />
in der Schule über Sexualität reden?<br />
Kinder haben vonGeburtaneine<br />
kindliche Sexualität, die natürlich<br />
nicht mit der von Erwachsenen vergleichbar<br />
ist. Und sie haben Fragen<br />
dazu. Lehrer sollten Kinder stärken,<br />
ihnen ihre Fragen beantworten und<br />
sie akzeptieren, wie sie sind. DerBegriff<br />
„Frühsexualisierung“ unterstellt<br />
Lehrern, dass sie Kindern Schaden<br />
zufügen würden. Wirsollten als Lehreraber<br />
auch altersgemäß das abbilden,<br />
was Kinder in ihren Umfeld erleben.<br />
Etwa eine lesbische Tante<br />
oder eine Regenbogenfamilie.<br />
Wieso gibt es eigentlich keine lesbischen<br />
Lehrerinnen in der AG ?<br />
Die schwule Lehrergruppe ist<br />
damals gegründet worden innerhalb<br />
der Homosexuellen Aktion<br />
West-Berlin. Anfang der 70er-Jahre<br />
haben Schwule und Lesben noch<br />
gemeinsam versucht, Dinge zu bewegen.<br />
Sehr schnell aber hat sich<br />
herausgestellt, dass die lesbischen<br />
Frauen dort unter den Männern<br />
leiden, denn auch schwule Männer<br />
bleiben Männer. Deshalb hat sich<br />
die AG Lesbische Lehrerinnen in<br />
der GEW unabhängig von der<br />
schwulen Lehrergruppe entwickelt.<br />
Wir haben viel erreicht.<br />
Heute müssen wir aufpassen, dass<br />
es kein Rollback gibt.<br />
DasGespräch führte<br />
Martin Klesmann.<br />
Horrende Forderungen, gewerbsmäßige Erpressung<br />
Dem Prozess am Amtsgericht Tiergarten um die sogenannte Malta-Masche blieben die Angeklagten fern. Sie sollen zur Reichsbürger-Szene gehören<br />
VonKatrin Bischoff<br />
Eigentlich war es absehbar, dass<br />
die beiden Plätze auf der Anklagebank<br />
an diesem Montag leer bleiben.<br />
Dennoch warten der Richter<br />
und die beiden Schöffen trotz fortgeschrittener<br />
Zeit geduldig, ob Klaus L.<br />
und Irina M. nicht doch noch erscheinen.<br />
Doch nichts geschieht.<br />
Warumauch sollten die Angeklagten<br />
den Termin bei Gericht wahrnehmen?<br />
Sie stehen angeblich der<br />
Reichsbürger-Szene nahe, die den<br />
Staat ablehnt und damit auch seine<br />
Institutionen.<br />
So kommt es an diesem Tagim<br />
Amtsgericht Tiergarten noch nicht<br />
einmal zur Anklageverlesung. Bekannt<br />
ist aber, dass sich Klaus L. und<br />
Irina M., 54 und 58 Jahre alt, wegen<br />
der sogenannten Malta-Masche verantworten<br />
sollten. DieStaatsanwältin<br />
wirft ihnen gewerbsmäßig Erpressung<br />
und versuchte Nötigung vor.<br />
Wegen sieben Fällen angeklagt<br />
Sieben Fälle sind in der Anklage aufgelistet,<br />
in denen die Beschuldigten<br />
Briefe mit horrenden Geldforderungen<br />
an Behörden geschickt und damit<br />
gedroht haben sollen, einen<br />
Mahnbescheid über diese Summen<br />
in Malta zu erwirken. Um dann mit<br />
einem Schuldtitel das Geld in<br />
Deutschland eintreiben zu lassen. So<br />
erzählt es die Staatsanwältin, als es<br />
darum geht, was nun geschehen soll<br />
–ohne die Angeklagten. Unter den<br />
mit Geldforderungen Konfrontierten<br />
sollen unter anderem Berlins<br />
Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne)<br />
und sein Vorgänger Thomas Heilmann<br />
(CDU) gewesen sein. Die<br />
Summe,umdie es wohl ging: jeweils<br />
zehn Millionen Dollar. Auch der damalige<br />
<strong>Berliner</strong> Polizeipräsident<br />
Klaus Kandt und ein Hauptzollamt<br />
in Deutschland erhielten offenbar<br />
Post von den Angeklagten. Zur Zahlung<br />
soll es in keinem der Fälle gekommen<br />
sein.<br />
Die sogenannte Malta-Inkasso-<br />
Masche hat in deutschen Behörden<br />
vor wenigen Jahren für Aufregung<br />
gesorgt. Dahinter steckten meist sogenannte<br />
Reichsbürger, die den<br />
Staat und seine Institutionen ablehnen<br />
und sich mit den horrenden<br />
Geldforderungen für Steuerbescheide<br />
oder verhängte Geldstrafen<br />
revanchierten. Allein in Brandenburg<br />
bekamen 15 Richter Post von<br />
einem in Malta ansässigen Inkasso-<br />
Unternehmen –der „Pegasus International<br />
Incasso Limited“.<br />
Es war ganz einfach, die dubiosen<br />
Schulden eintragen zu lassen –auch<br />
wenn diese Forderungen völlig erfunden<br />
waren. So konnte man beim USamerikanischen<br />
Online-Handels-Register<br />
im Staat Washington Schulden<br />
eintragen lassen, ohne einen Nachweis<br />
dafür vorlegen zu müssen. Anschließend<br />
trat derjenige,der sich die<br />
Schulden ausgedacht hatte, die For-<br />
derungen an das von Reichsbürgern<br />
gegründete Inkassounternehmen in<br />
Malta ab.Ende 2016 gab die Bundesregierung<br />
Entwarnung und erklärte,<br />
es gebe keinerlei rechtliche Handhabe,umdie<br />
erfundenen Schulden in<br />
Deutschland eintreiben zu lassen.<br />
Haftbefehl beantragt<br />
Auch wenn die Angeklagten nicht erschienen<br />
sind, verhängt das Gericht<br />
am Montag eine Strafe. Irina M.<br />
wurde wegen zweier Fälle zu einer<br />
Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten<br />
verurteilt, die zur Bewährung<br />
ausgesetzt wird. Gegen Klaus L. beantragt<br />
die Staatsanwältin einen<br />
Haftbefehl wegen Fluchtgefahr, damit<br />
er irgendwann vor Gericht erscheint.<br />
Wo sich der 54-Jährige derzeit<br />
aufhält, ist unklar. Der Richter<br />
erklärt, eine Wohnung in Zehlendorf<br />
habe sich bei der Durchsuchung Anfang<br />
Oktober vergangenen Jahres offenbar<br />
als Scheinadresse des Angeklagten<br />
erwiesen. Es sei an der<br />
Wohnanschrift lediglich Post gefunden<br />
worden, jedoch nichts, was darauf<br />
hindeute, dass jemand in der<br />
Wohnung lebe,heißt es.<br />
Klaus L. soll nach den Worten des<br />
Richters im Raum Bochum zu finden<br />
sein. Dortwurden Klaus L. und Irina<br />
M. schon einmal wegen derselben<br />
Delikte angeklagt. Dort lief es offenbar<br />
auch so wie nun vor dem Amtsgericht<br />
Tiergarten –die Angeklagten<br />
blieben der Verhandlung fern.