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BERLINER KURIER, Donnerstag, 25. April 2019<br />
Von<br />
MARTIN KLESMANN<br />
Viele <strong>Berliner</strong> lieben<br />
ihren Späti. Doch vor<br />
allen in der Innenstadt<br />
gibt es viele Läden,<br />
die fast nur vom Alkoholverkauf<br />
leben. Hunderte Menschen<br />
feiern dann draußen bis<br />
spät in die Nacht, urinieren<br />
überall hin oder pöbeln Passanten<br />
an.<br />
Mittes Bezirksbürgermeister<br />
Stephan von Dassel (Grüne)<br />
will Spätverkaufsstellen deshalb<br />
künftig stärker überwachen<br />
und den Alkoholkonsum<br />
draußen vor dem Späti einschränken.<br />
Zudem sollen die<br />
Späti-Kioske am Sonntag gar<br />
nicht mehr öffnen dürfen. „Es<br />
muss jeder wissen, dass Spätis<br />
in Berlin am Sonntag zu haben“,<br />
sagt von Dassel dem <strong>Berliner</strong><br />
KURIER. Sie sollten also am<br />
Sonnabend um 24 Uhr schließen.<br />
„Das macht in Berlin zurzeit<br />
komplett niemand.“ Auch<br />
wenn man dann am Sonntagmorgen<br />
keine Milch mehr werde<br />
kaufen können, sagt er.<br />
Damit stellt sich der Bezirkspolitiker<br />
gegen einen Parteitagsbeschluss<br />
der Grünen. Die<br />
Partei hatten entschieden,<br />
sonntägliche Öffnungszeiten<br />
für Spätis gesetzlich zu verankern.<br />
Der Begriff von Berlin als<br />
Stadt der Freiheit werde hier<br />
überstrapaziert, meint von Dassel.<br />
Bewusste Regelverletzung<br />
dürfe das Ordnungsamt nicht<br />
mehr länger hinnehmen.<br />
„Wir haben hier eine ungesunde<br />
Explosion von Spätis“,<br />
sagt Andreas Becker, Betreiber<br />
des Circus-Hotels am Rosenthaler<br />
Platz und Sprecher einer<br />
Anwohnerinitiative. „Leute<br />
verrichten hier nachts stark alkoholisiert<br />
ihre Notdurft im<br />
Freien.“ Allein rund um den Rosenthaler<br />
Platz gebe es inzwischen<br />
13 Spätis. „Einzelne beugen<br />
massiv das Gewerbe- und<br />
Gesundheitsrecht“, sagt Be-<br />
Verkaufshit Nr.1<br />
in den Spätis ist Bier,<br />
in allen Variationen<br />
aus der Flasche.<br />
Nicht alle Spätis bieten<br />
wirklich auch viele<br />
Lebensmittel für die<br />
wohnortnahe Versorgung an.<br />
In der Innenstadt leben<br />
viele Späti-Betreiber vor<br />
allem vomAlkoholverkauf<br />
an junge Leute<br />
Fotos: Imago Images/Seeliger,Wächter<br />
cker. Er meint auch das Draußensitzen<br />
nach 22 Uhr oder dubiose<br />
Beschäftigungsverhältnisse.<br />
Anwohner, die sich beschwerten,<br />
seien sogar vom<br />
Personal bedroht worden.<br />
„Und das Ordnungsamt schreitet<br />
nicht ein“, sagt Becker. Am<br />
7. Mai findet dazu ein Runder<br />
Tisch statt.<br />
„Es gibt Kleingewerbetreibende,<br />
die haben drinnen fünf<br />
Plätze und brauchen deshalb<br />
noch nicht einmal eine Toilette“,<br />
bestätigt Stephan von Dassel.<br />
Das Bezirksamt genehmige<br />
nach grober Berechnung 30 Außenplätze,<br />
die Betreiber würden<br />
mitunter einfach noch<br />
mehr Tische für weitere 50 Personen<br />
draußen hinstellen. „Und<br />
plötzlich haben sie 100 Leute<br />
da, die Alkohol trinken und keine<br />
Toilette da haben.“ Nicht<br />
nur am Rosenthaler Platz, auch<br />
am Alexander- oder Leopoldplatz<br />
gebe es Probleme. Und in<br />
anderen Bezirken auch.<br />
Eine Fehlentwicklung ähnlich<br />
wie seinerzeit bei den<br />
Spielhallen müsse bei den Spätis<br />
verhindert werden. Innerhalb<br />
kurzer Zeit dominierten<br />
Spielhallen ganze Straßenzüge.<br />
Erst ein eigenes Gesetz drängte<br />
sie schließlich zurück. Von<br />
Dassel will handeln, bevor es zu<br />
spät ist. Selbst über Verbotszonen<br />
für Alkoholkonsum wie in<br />
baden-württembergischen<br />
Kommunen will sich von Dassel<br />
informieren.<br />
Wieso aber werden die Spätis<br />
bisher kaum kontrolliert? Dafür<br />
wiederum hat von Dassel eine<br />
Erklärung: „Wir haben oft<br />
leider nur sechs Leute draußen,<br />
dabei soll überall kontrolliert<br />
werden.“ Bisher müssen die<br />
Mitarbeiter des Ordnungsamtes<br />
tatsächlich bis 22 Uhr ihre<br />
Büros verlassen, sie kommen<br />
also gegen 21 Uhr von ihrer letzten<br />
Streife, um ihre Bescheide<br />
zu schreiben. Da fängt die Party<br />
aber erst richtig an.<br />
„Wir haben eine ganz lange<br />
Auseinandersetzung mit dem<br />
Senat über die Ausweitung der<br />
Arbeitszeit gehabt“, sagt von<br />
Dassel. Als Kompromiss dürften<br />
Ordnungsamtsmitarbeiter<br />
nun bis 24 Uhr arbeiten. Mitte<br />
wollte das Ordnungsamt rund<br />
um die Uhr arbeiten lassen.<br />
Grünen-Politiker Georg Kössler,<br />
der für Neukölln im Abgeordnetenhaus<br />
sitzt, warnt davor,<br />
alle Spätis zu verteufeln. In<br />
Neukölln gebe es derzeit einen<br />
pensionierten Polizisten, der<br />
Spätis, die gegen die Regeln<br />
verstoßen, anzeige. „Das ist formal<br />
korrekt, aber nicht die <strong>Berliner</strong><br />
Linie.“ Kössler verfolgt<br />
lieber seine Idee, die Sonntagsöffnung<br />
zu legalisieren. „Wenn<br />
sich Spätis Aufladestationen<br />
für E-Fahrräder zulegen, gelten<br />
sie rechtlich als Tankstelle.“ So<br />
versuche man gerade einen<br />
Späti in Prenzlauer Berg zu retten.<br />
Tankstellen dürfen immer<br />
öffnen.