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Berliner Kurier 04.08.2019

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SEITE15<br />

BERLINER KURIER, Sonntag, 4. August 2019<br />

Dorf<br />

Altliebel in der Oberlausitz wurde 1994<br />

weggebaggert. Wieist es den Menschen<br />

dortergangen? Eine Geschichte über den<br />

Umgang mit den Zumutungen des Lebens<br />

Wenn Udo Zange mit dem<br />

Auto durch die Straßen fährt,<br />

hebt jeder, der ihn sieht, die<br />

Hand zum Gruß. Zange hat nie<br />

in Altliebel gewohnt, doch sein<br />

Leben ist mit dem Schicksal der<br />

Dörfer und dem Tagebau verbunden,<br />

wie fast bei allen hier<br />

in der Oberlausitz.<br />

Im Gespräch stellt sich heraus,<br />

dass er lange Produktionsleiter<br />

und stellvertretender Direktor<br />

des Kraftwerks Boxberg<br />

war. Boxberg war das größte<br />

Braunkohlekraftwerk der DDR,<br />

es verschlang bei Volllast pro<br />

Tag 65000 Tonnen Braunkohle.<br />

Der Boden, auf dem Altliebel<br />

einst stand, wurde in den Blöcken<br />

von Boxberg verfeuert.<br />

Auf Zanges Computer zu<br />

Hause in Rietschen ist eine<br />

Broschüre gespeichert.<br />

„Verschwundene Heimat“<br />

heißt sie. Die Broschüre handelt<br />

von den Orten, die der<br />

Braunkohle weichen mussten.<br />

Im Regal hat er eine historische<br />

Abhandlung darüber, wie die<br />

Heide- und Teichlandschaft<br />

vor dem Tagebau ausgesehen<br />

hat und wovon die Leute lebten,<br />

als es noch keine Industrie,<br />

noch keinen Tagebau in der Region<br />

gab.<br />

Udo Zange ist in Rietschen<br />

aufgewachsen, er hat Elektrotechnik<br />

studiert, Schwerpunkt<br />

Leittechnik. 1972 kam er zum<br />

Kraftwerk Boxberg, er machte<br />

Karriere. Es war die Zeit, in der<br />

alle die Braunkohle wollten.<br />

Die DDR war der größte Braunkohleproduzent<br />

der Welt. Ohne<br />

die Braunkohle kein Strom und<br />

ohne Strom keine DDR.<br />

Seit Jahren ist Zange im<br />

Ruhestand, aber gedanklich<br />

noch dabei. Er verfolgt die<br />

Diskussionen um den Kohleausstieg<br />

und die Energiewende,<br />

trifft sich mit seinen früheren<br />

Sekretärinnen und auch mit<br />

ehemaligen Kraftwerksdirektoren<br />

aus der ganzen DDR. „Die<br />

Weltverbesserer“ nennt sich<br />

das Netzwerk.<br />

Nach der Wende galten die<br />

Ost-Kraftwerke als veraltet.<br />

Zange musste bei RWE in Köln<br />

erst einmal beweisen, was er<br />

kann. Er wurde auf einen Lehrgang<br />

geschickt; er lernte, dass<br />

bei den Kraftwerken im Westen<br />

auch vieles schieflief,<br />

dass es Unfälle und<br />

Havarien gab.<br />

„Fachlich mussten<br />

wir uns nicht<br />

verstecken“,<br />

sagt er.<br />

Ihm gefiel,<br />

wie sauber<br />

alles im Kraftwerk dort war, der<br />

Boden war nicht schwarz vor<br />

Dreck wie zu Hause. Als er zurückkam,<br />

heuerte er erst einmal<br />

eine externe Putzfirma an.<br />

Als Zange in den Ruhestand<br />

ging, suchte er sich gleich das<br />

nächste Projekt: die Sanierung<br />

der Kirche von Rietschen –1,5<br />

Millionen Euro Fördermittel<br />

trieb er dafür auf.<br />

So ist er, zupackend, kein<br />

Grübler. Er wehrte sich nicht<br />

gegen die Veränderungen, sondern<br />

versuchte, das Beste daraus<br />

zu machen. Menschen wie<br />

er haben es vielleicht<br />

einfacher, wenn es<br />

darum geht, Umwälzungen<br />

zu<br />

verkraften.<br />

Nur manchmal<br />

schimmert<br />

etwas<br />

Bitterkeit<br />

durch, wenn er zum Beispiel<br />

über das Ende des Schamottewerks<br />

in Rietschen spricht.<br />

„Das wurde von der Treuhand<br />

niedergemacht.“<br />

An einem ehemaligen Trafohäuschen<br />

stellt Zange sein Auto<br />

ab. Die Sonne knallt. Am Horizont<br />

sieht man die Türme des<br />

Kraftwerks Boxberg, Zanges alter<br />

Arbeitsplatz. Die Türme<br />

sind Zeugen dessen, was die<br />

Menschen hier alles mitgemacht<br />

haben, all die großen und<br />

kleinen Erdbeben. Bald werden<br />

sie weg sein, wie schon so vieles<br />

nach dem Ende der DDR verschwunden<br />

ist.<br />

Oben auf dem Hügel endet die<br />

Landschaft plötzlich. Ich mache<br />

einen Schritt nach vorn, auf<br />

die letzten Grasbüschel, dahinter<br />

geht es hinunter, dreißig,<br />

vierzig Meter tief. „Gehen Sie<br />

da nicht<br />

Udo Zange (77) war<br />

lange Direktor des<br />

Kraftwerks Boxberg.<br />

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