05.08.2019 Aufrufe

Berliner Kurier 04.08.2019

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

17<br />

Zange sorgt sich. Er war zu<br />

DDR-Zeiten in der SED, trat<br />

nach 1990 aus. Diesmal will er<br />

die CDU wählen. Er hofft, dass<br />

Michael Kretschmer Sachsen<br />

retten kann. Inzwischen lenkt<br />

er seinen Hyundai zurück nach<br />

Rietschen. Er fährt durch die<br />

Straßen, in die die Umsiedler<br />

aus Altliebel gezogen sind.<br />

Ist das nicht hart, sein Dorf,<br />

seine Heimat zu verlieren? Für<br />

den Ingenieur klingt das zu negativ.<br />

Die Bewohner hätten<br />

doch Entschädigungen und<br />

„wunderschöne Eigenheime“<br />

bekommen. Einzelne denkmalgeschützte<br />

Häuser, die<br />

Schrotholzhäuser, wurden gerettet<br />

und in Rietschen wieder<br />

aufgestellt. Sogar die Toten<br />

vom Friedhof Altliebel wurden<br />

umgebettet.<br />

Er will noch mehr von der Gegend<br />

zeigen. Es ist keine Absicht,<br />

aber es wird ein bisschen<br />

eine Werbetour für Vattenfall,<br />

den schwedischen Staatskonzern,<br />

dem der Tagebau bis 2016<br />

gehörte. Badeseen, Teiche,<br />

Radwege, der neu angelegte<br />

Mühlteich am Weißen Schöps,<br />

Spielplätze, ein Insektenhotel,<br />

das renovierte Dorfkino von<br />

Rietschen: Überall steckt Geld<br />

von Vattenfall drin.<br />

Wir fahren an der Kirche vorbei;<br />

Zange hält an, er will noch<br />

etwas zeigen. Innen ist alles original<br />

erhalten. Er hat die historischen<br />

Reliefs und Wandmalereien<br />

aufwendig sanieren lassen<br />

und ist sichtlich stolz darauf.<br />

Ich frage mich im<br />

Nachhinein, ob er damit auch<br />

etwas gutmachen will. Für Altliebel<br />

und all die anderen verschwundenen<br />

Orte.<br />

Die Schweden haben sich Mühe<br />

gegeben, das findet auch<br />

Jürgen Kürschner. Doch er<br />

sieht manches nüchterner als<br />

Zange. „Vattenfall wollte sich<br />

die Ruhe der Bevölkerung erkaufen“,<br />

sagt er. So nach dem<br />

Motto: Wir nehmen eure Kohle,<br />

ihr bekommt dafür einen neuen<br />

Spielplatz, einen<br />

neuen Teich. Kürschner<br />

sitzt in seinem Garten in Rietschen.<br />

Er ist 67, hat graues volles<br />

Haar und ein weiches Gesicht.<br />

Vor ihm steht ein Tisch<br />

mit einer roten Wachstuchdecke,<br />

auf der sich ein wenig<br />

Staub ablagert. An manchen Tagen<br />

müsse man den Tisch zweimal<br />

abwischen, sagt er, weil so<br />

viel Dreck vom Tagebau rüberweht.<br />

Kürschner und seine Frau<br />

staunen darüber, dass sich jemand<br />

für ein Dorf interessiert,<br />

das es nicht mehr gibt. Seine Familie<br />

stammt aus Altliebel, sie<br />

hatte dort über Generationen<br />

ein Gehöft. Nach dem Studium<br />

bezog er mit<br />

Teiche, Radwege: Vattenfall hat<br />

für die Renaturisierung der<br />

Gegend viel Geld investiert.<br />

seiner Frau eine Wohnung im<br />

Herrenhaus von Altliebel.<br />

Das war aber nur kurz, sagt<br />

Frau Kürschner.<br />

15 oder 17 Jahre, sagt er.<br />

Sag ich doch: kurz, erwidert<br />

sie.<br />

War das schlimm, von Altliebel<br />

wegzuziehen? „In dem Moment<br />

nicht“, sagt Jürgen<br />

Kürschner. „Aber später kamen<br />

die Erinnerungen, und jetzt<br />

merkt man, dass die alten Wurzeln<br />

einfach abgerissen sind.“<br />

Damals war Kürschner Investitionsbauleiter<br />

beim Tagebau<br />

und mit den Abläufen vertraut.<br />

„Wenn Sie so<br />

wollen, habe<br />

ich mein eigenes Dorf abbaggern<br />

lassen.“ Er redet über das<br />

Ende seines Dorfes wie ein notwendiges<br />

Opfer, betont unemotional,<br />

als eine weitere Turbulenz<br />

in einer sowieso stürmischen<br />

Zeit. „Wir haben uns direkt<br />

nach der Wende alles<br />

schöngeredet“, sagt er, „haben<br />

gedacht, Braunkohle wird immer<br />

gebraucht.“<br />

Mitte der Neunzigerjahre, also<br />

genau in der Zeit, in die auch<br />

der Abriss Altliebels und die<br />

Umsiedlung fielen, verlor<br />

Kürschner seine Arbeit. Er und<br />

seine Frau hatten gerade einen<br />

hohen Kredit aufgenommen,<br />

um das neue Haus in Rietschen<br />

zu bauen.<br />

Wenn Kürschner mit fast 25<br />

Jahren Abstand darüber redet,<br />

klagt er nicht, jammert er nicht.<br />

Er sagt schlicht: „Bis zur Rente<br />

hatten wir dann den Kredit abbezahlt.“<br />

Er fand wieder neue<br />

Arbeit, er konzipierte Rad- und<br />

Reitwege, die nach der Renaturierung<br />

der ehemaligen Tagebaue<br />

angelegt werden.<br />

Wenn Braunkohle die Vergangenheit<br />

und Tourismus die<br />

Zukunft ist, kann man sagen,<br />

dass Kürschner rechtzeitig die<br />

Kurve gekriegt hat. Als vor einiger<br />

Zeit ein Turm des Kraftwerks<br />

Boxberg gesprengt wurde,<br />

kamen viele Schaulustige.<br />

Kürschner hat sich das nicht<br />

angesehen. „Das waren mal unsere<br />

Arbeitsplätze, da muss ich<br />

mir nicht angucken, wie sie vernichtet<br />

werden.“<br />

Vernichtet. Niedergemacht.<br />

Schon wieder ist etwas zu Ende.<br />

Sabine Rennefanz<br />

Foto: Benjamin Pritzkuleit<br />

Einige denkmalgeschützte<br />

Holzhäuser wurden aus<br />

Altliebel gerettet und im<br />

Erlichthof in Rietschen<br />

aufgestellt.Dortgibt es<br />

heute Kunsthandwerk.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!