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Zange sorgt sich. Er war zu<br />
DDR-Zeiten in der SED, trat<br />
nach 1990 aus. Diesmal will er<br />
die CDU wählen. Er hofft, dass<br />
Michael Kretschmer Sachsen<br />
retten kann. Inzwischen lenkt<br />
er seinen Hyundai zurück nach<br />
Rietschen. Er fährt durch die<br />
Straßen, in die die Umsiedler<br />
aus Altliebel gezogen sind.<br />
Ist das nicht hart, sein Dorf,<br />
seine Heimat zu verlieren? Für<br />
den Ingenieur klingt das zu negativ.<br />
Die Bewohner hätten<br />
doch Entschädigungen und<br />
„wunderschöne Eigenheime“<br />
bekommen. Einzelne denkmalgeschützte<br />
Häuser, die<br />
Schrotholzhäuser, wurden gerettet<br />
und in Rietschen wieder<br />
aufgestellt. Sogar die Toten<br />
vom Friedhof Altliebel wurden<br />
umgebettet.<br />
Er will noch mehr von der Gegend<br />
zeigen. Es ist keine Absicht,<br />
aber es wird ein bisschen<br />
eine Werbetour für Vattenfall,<br />
den schwedischen Staatskonzern,<br />
dem der Tagebau bis 2016<br />
gehörte. Badeseen, Teiche,<br />
Radwege, der neu angelegte<br />
Mühlteich am Weißen Schöps,<br />
Spielplätze, ein Insektenhotel,<br />
das renovierte Dorfkino von<br />
Rietschen: Überall steckt Geld<br />
von Vattenfall drin.<br />
Wir fahren an der Kirche vorbei;<br />
Zange hält an, er will noch<br />
etwas zeigen. Innen ist alles original<br />
erhalten. Er hat die historischen<br />
Reliefs und Wandmalereien<br />
aufwendig sanieren lassen<br />
und ist sichtlich stolz darauf.<br />
Ich frage mich im<br />
Nachhinein, ob er damit auch<br />
etwas gutmachen will. Für Altliebel<br />
und all die anderen verschwundenen<br />
Orte.<br />
Die Schweden haben sich Mühe<br />
gegeben, das findet auch<br />
Jürgen Kürschner. Doch er<br />
sieht manches nüchterner als<br />
Zange. „Vattenfall wollte sich<br />
die Ruhe der Bevölkerung erkaufen“,<br />
sagt er. So nach dem<br />
Motto: Wir nehmen eure Kohle,<br />
ihr bekommt dafür einen neuen<br />
Spielplatz, einen<br />
neuen Teich. Kürschner<br />
sitzt in seinem Garten in Rietschen.<br />
Er ist 67, hat graues volles<br />
Haar und ein weiches Gesicht.<br />
Vor ihm steht ein Tisch<br />
mit einer roten Wachstuchdecke,<br />
auf der sich ein wenig<br />
Staub ablagert. An manchen Tagen<br />
müsse man den Tisch zweimal<br />
abwischen, sagt er, weil so<br />
viel Dreck vom Tagebau rüberweht.<br />
Kürschner und seine Frau<br />
staunen darüber, dass sich jemand<br />
für ein Dorf interessiert,<br />
das es nicht mehr gibt. Seine Familie<br />
stammt aus Altliebel, sie<br />
hatte dort über Generationen<br />
ein Gehöft. Nach dem Studium<br />
bezog er mit<br />
Teiche, Radwege: Vattenfall hat<br />
für die Renaturisierung der<br />
Gegend viel Geld investiert.<br />
seiner Frau eine Wohnung im<br />
Herrenhaus von Altliebel.<br />
Das war aber nur kurz, sagt<br />
Frau Kürschner.<br />
15 oder 17 Jahre, sagt er.<br />
Sag ich doch: kurz, erwidert<br />
sie.<br />
War das schlimm, von Altliebel<br />
wegzuziehen? „In dem Moment<br />
nicht“, sagt Jürgen<br />
Kürschner. „Aber später kamen<br />
die Erinnerungen, und jetzt<br />
merkt man, dass die alten Wurzeln<br />
einfach abgerissen sind.“<br />
Damals war Kürschner Investitionsbauleiter<br />
beim Tagebau<br />
und mit den Abläufen vertraut.<br />
„Wenn Sie so<br />
wollen, habe<br />
ich mein eigenes Dorf abbaggern<br />
lassen.“ Er redet über das<br />
Ende seines Dorfes wie ein notwendiges<br />
Opfer, betont unemotional,<br />
als eine weitere Turbulenz<br />
in einer sowieso stürmischen<br />
Zeit. „Wir haben uns direkt<br />
nach der Wende alles<br />
schöngeredet“, sagt er, „haben<br />
gedacht, Braunkohle wird immer<br />
gebraucht.“<br />
Mitte der Neunzigerjahre, also<br />
genau in der Zeit, in die auch<br />
der Abriss Altliebels und die<br />
Umsiedlung fielen, verlor<br />
Kürschner seine Arbeit. Er und<br />
seine Frau hatten gerade einen<br />
hohen Kredit aufgenommen,<br />
um das neue Haus in Rietschen<br />
zu bauen.<br />
Wenn Kürschner mit fast 25<br />
Jahren Abstand darüber redet,<br />
klagt er nicht, jammert er nicht.<br />
Er sagt schlicht: „Bis zur Rente<br />
hatten wir dann den Kredit abbezahlt.“<br />
Er fand wieder neue<br />
Arbeit, er konzipierte Rad- und<br />
Reitwege, die nach der Renaturierung<br />
der ehemaligen Tagebaue<br />
angelegt werden.<br />
Wenn Braunkohle die Vergangenheit<br />
und Tourismus die<br />
Zukunft ist, kann man sagen,<br />
dass Kürschner rechtzeitig die<br />
Kurve gekriegt hat. Als vor einiger<br />
Zeit ein Turm des Kraftwerks<br />
Boxberg gesprengt wurde,<br />
kamen viele Schaulustige.<br />
Kürschner hat sich das nicht<br />
angesehen. „Das waren mal unsere<br />
Arbeitsplätze, da muss ich<br />
mir nicht angucken, wie sie vernichtet<br />
werden.“<br />
Vernichtet. Niedergemacht.<br />
Schon wieder ist etwas zu Ende.<br />
Sabine Rennefanz<br />
Foto: Benjamin Pritzkuleit<br />
Einige denkmalgeschützte<br />
Holzhäuser wurden aus<br />
Altliebel gerettet und im<br />
Erlichthof in Rietschen<br />
aufgestellt.Dortgibt es<br />
heute Kunsthandwerk.