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Darm<br />
Endometriose<br />
Zysten und Entzündungen<br />
Eierstock<br />
Bauchfell<br />
Gebärmutter<br />
Scheide<br />
Grafik/Galanty<br />
Blase<br />
zum Arbeiten. In einer Tech-<br />
Firma hatte sie ein Team aus 35<br />
Leuten geleitet, viele Überstunden<br />
gemacht –das ging nicht<br />
mehr.<br />
Die Zeit zu Hause hatte sie genutzt,<br />
um zu recherchieren.<br />
Auf Facebook fand sie eine<br />
Gruppe, in der Zehntausende<br />
Betroffene aus der ganzen Welt<br />
Erkenntnisse aus neuen Studien<br />
teilen, sich über Ärzte und<br />
Therapien austauschen.<br />
Auf Instagram stehen allein<br />
unter dem Hashtag #endometriosis<br />
mehr als eine Million<br />
Posts: Selfies, unter denen<br />
Frauen ihre Geschichten aufschreiben,<br />
Durchhaltesprüche,<br />
Ernährungstipps. Es gibt zig<br />
weitere Hashtags: #endowarrior,<br />
#endosister, #endoempowerment.<br />
Auch Irene schreibt über ihre<br />
Erkrankung, seit sie einen Namen<br />
dafür kennt.ImMärz postet<br />
sie ein Bild. Ihr Bauch ist zu sehen,<br />
die Narben von ihren OPs<br />
hat sie mit Jahreszahlen markiert<br />
und mit Strichen verbunden.<br />
Es sieht aus wie ein windschiefes<br />
Haus.<br />
Die New Yorker Fotografin<br />
Georgie Wileman hatte Betroffene<br />
dazu aufgerufen, um darauf<br />
aufmerksam zu machen, wie viele<br />
Operationen Patientinnen<br />
über sich ergehen lassen, die<br />
nicht helfen, sondern zu noch<br />
mehrSchmerzen führen.<br />
Auf einem Bild, das Irene ein<br />
paar Wochen vor ihrer Operation<br />
beiSylviaMechsner postet, ist<br />
ihr Torso zu sehen, der Bauch<br />
aufgebläht wie ein Ballon. „Ich<br />
bin nicht schwanger“, schreibt<br />
sie, „so sehen innere Blutungen<br />
und Entzündungen aus.“ Darunter:<br />
#butyoudontlooksick –<br />
du siehst garnichtkrank aus.<br />
Irene erzählt ihre Geschichte,<br />
damit andere die richtigen Fragen<br />
eher stellenals sie.<br />
Die sozialen Netzwerke sind<br />
Eileiter<br />
Diehäufigsten möglichen Symptome<br />
Physische und psychische<br />
Beschweren vorder<br />
Regelblutung (PMS)<br />
Unregelmäßiger Zyklus<br />
Schmerzen während<br />
des Eisprungs<br />
Starke, langanhaltende<br />
Blutungen<br />
Bauchschmerzen<br />
Übelkeit/Erbrechen<br />
Durchfall/Verstopfung<br />
Schmerzen beim Stuhlgang/beim<br />
Urinieren<br />
Migräne<br />
Schwindelgefühl<br />
Verwirrungsgefühl<br />
Schlafstörungen<br />
Erschöpfung<br />
Atemnot<br />
Häufige Infekte<br />
Unerwünschte Kinderlosigkeit<br />
Schmerzen beim Sex<br />
Schmerzen im unteren<br />
Rücken<br />
Schmerzen, die in die<br />
Beine/Knie ausstrahlen<br />
Quelle: Endometriose-Vereinigung<br />
Deutschland<br />
Einer Studie<br />
zufolge verursacht<br />
Endometriose in<br />
Deutschland<br />
jährlich Gesamtkosten<br />
von 1,96 Milliarden Euro.<br />
in den vergangenen Jahren zu<br />
einem nie abreißenden Strom<br />
von Geschichten geworden.<br />
Spätestens seit #MeToo<br />
fühlen sich insbesondere<br />
Frauen ermutigt, dort ihre<br />
Erfahrungen zu teilen. Es<br />
bricht sich etwas Bahn, das<br />
lange Zeit nur im Verborgenen<br />
stattfand. Weibliches<br />
Leiden bekommt im Netz<br />
eine Stimme, Millionen<br />
Stimmen, tausendfach geteilt,<br />
und es ist immer jemand<br />
da, der gerade zuhört.<br />
Manche Stimmen sind lauter.<br />
Auch die Schauspielerinnen<br />
Susan Sarandon, Whoopi Goldberg<br />
und Gillian Anderson<br />
haben Endometriose und sprechendarüber.InDeutschland<br />
ist<br />
es gerade Anna Wilken. Vor ein<br />
paarJahrenwarsie bei „Germany’s<br />
Next Topmodel“ zu sehen,<br />
heute hat sieauf Instagram über<br />
200000 Follower, denen sievon<br />
ihrem täglichen Kampf mit Endometriose<br />
erzählt.Esgibt wohl<br />
keinen einfacheren Weg, um junge<br />
Frauenzuerreichen und darüber<br />
aufzuklären, was mit ihren<br />
Körpern los seinkann. Im Herbst<br />
erscheint WilkensBuch.<br />
Sylvia Mechsner hat ihr beratend<br />
zurSeite gestanden. Siebehandelt<br />
nicht nur, sondern beschäftigtsich<br />
auch mit den Ursachen<br />
der Krankheit. „Aber esist<br />
schwierig, Forschungsgelder zu<br />
bekommen“, sagt sie. Im Grunde<br />
habesich in den vergangenen 15<br />
Jahren wenig getan. Es gibtauch<br />
keineneuenMedikamente,dafür<br />
jede Mengeoffene Fragen.<br />
Wie zum Beispiel passt die<br />
Theorie, dass Endometriosezellen<br />
durch die Menstruation aus<br />
der Gebärmutter in den Unterleib<br />
geraten, dazu, dass Endometriose<br />
auch schon bei weiblichen<br />
Föten gefunden wurde –<br />
und beiMännern?<br />
Welche Rolle spielt es, dass<br />
FrauenheuteihreRegelvielöfter<br />
haben, weilsie länger leben und<br />
wenigerKinder gebären als noch<br />
vor einpaar Hundert Jahren?<br />
Welche Einflüsse haben UV-<br />
Strahlen oder Chemikalien in Lebensmittelnund<br />
Kosmetika?<br />
WarumleideneinigeFrauenan<br />
Schmerzen, obwohl sie nur wenige<br />
Herde haben, während andere<br />
ihre Endometriose erst bemerken,<br />
wenn sie schwanger<br />
werden wollen, es aber nicht<br />
klappt?<br />
Irene wolltenie Kinder haben;<br />
sie wollte auch dasMedikament<br />
nicht nehmen, das viele Ärzte<br />
nacheiner Operation empfehlen:<br />
ein GnRH-Analogon, daskünstliche<br />
Wechseljahre auslöst.<br />
Wechseljahre. Mit Mitte 30.<br />
Mit Nebenwirkungen wie Hitzewallungen,<br />
Depressionen, Scheidentrockenheit,<br />
verminderter<br />
Libido und, langfristig, Knochenschwund.<br />
Was sie jetzt brauche,<br />
sagt Irene, ist eine adäquate Behandlung<br />
ihrer Schmerzen. Die<br />
sind auch nach der zweiten OP<br />
Forschung konzentrierte<br />
sich zu lange auf die<br />
Gesundheit von<br />
Männern. Wir wissen viel<br />
übers Herz, aber zu wenig<br />
über die Gebärmutter.<br />
geblieben. Etwa alle zwei Tage<br />
„wird es böse“.<br />
Irene sagt: „Ich werde besser<br />
darin, mit dem Schmerz zu leben.“<br />
Siehat ihre Ernährung umgestellt,<br />
verzichtet auf Gluten,<br />
Fleisch und Milchprodukte, geht<br />
zum Osteopathen und macht eine<br />
Verhaltenstherapie. Cannabidiol-Ölhilftein<br />
bisschen, sagt sie;<br />
Yoga hilft bei vielem, aber nicht<br />
bei Endometriose. Wenn sie ein<br />
Konzertbesuchenwill, verbringt<br />
sie den Tag damit, sich darauf<br />
REPORT 21<br />
vorzubereiten. Gibt es dort einen<br />
Platz zum Sitzen?WelcheMedikamente<br />
muss sie mitbringen?<br />
Es fällt ihr schwer zu akzeptieren,<br />
dass ihre Krankheit chronisch<br />
ist,dass das jetzt ihr Leben<br />
sein soll. Immerhin hat sie wieder<br />
angefangen, als Übersetzerin<br />
zu arbeiten, einpaarStunden die<br />
Woche, freiberuflich und von zu<br />
Hause aus.<br />
Laut einer Krankheitskostenstudie<br />
verursacht Endometriose<br />
in Deutschlandjährlich Gesamtkostenvon<br />
1,96 Milliarden Euro,<br />
durch Arztbesuche, Medikamente,durch<br />
den Ausfallvon Arbeitszeit.Das<br />
mache Endometriose<br />
zu einer „bedeutsamen gesellschaftlichen<br />
Belastung“.<br />
Das wirdbishergesundheitspolitisch<br />
in Kauf genommen.<br />
„Wir bräuchten ein individuelles<br />
Fallmanagement,<br />
wie es bei anderen chronischen<br />
Krankheiten längst<br />
üblich ist“, sagt Martina<br />
Schröder vom Feministischen<br />
Frauengesundheitszentrum.<br />
Im Moment würden<br />
Betroffenenicht einmalausreichend<br />
darüber informiert,<br />
dass ihnen nach einer OP eine<br />
Reha zustünde. AlternativeHeilmethoden,<br />
die vielen Linderung<br />
verschaffen, würden nicht finanziert,<br />
Ärzte und medizinisches<br />
Personal nicht ausreichend weitergebildet.<br />
Und die Aufklärung<br />
in Schulensei auch im Jahr 2019<br />
nicht so weit, dass es für Mädchennormalist,<br />
über ihreMenstruationzusprechen.<br />
„Es sollte aber normal sein“,<br />
sagt Schröder. Und auch, auf Fragen<br />
die richtigen Antworten zu<br />
bekommen.<br />
Das Internet ist dafür nicht immer<br />
geeignet. „Wem es besser<br />
geht, von dem liestman aberoft<br />
nichts mehr“, sagt Irene.Manchmal<br />
braucht sie selbst eine Pause,<br />
erträgt es nicht, die immer gleichen<br />
Geschichten zu lesen. Die<br />
Stimmen sind da,jetzt kommtes<br />
daraufan, dass auch die zuhören,<br />
die etwas verändern können.<br />
Das beginnt inder Forschung,<br />
die sich zu lange auf die Gesundheit<br />
von Männern konzentriert<br />
hat, weswegen wir viel über das<br />
Herz und zuwenig über die Gebärmutter<br />
wissen. Und das in einer<br />
Gesellschaft, die ein eigenes<br />
Wort kennt für weibliche Beschwerden:<br />
„Frauenleiden“. Was<br />
verrät, wie ernst man diese<br />
Beschwerden nimmt. Selbst<br />
wenn eine Fraunur drei, vier<br />
Tage im Monat starke<br />
Schmerzen hat, summiert<br />
sich das bei der Zeit, die<br />
durchschnittlich bis zurDiagnose<br />
verstreicht, auf ein<br />
knappes Jahr. „Es gibt keine<br />
Männerkrankheit, bei der<br />
das so ist“, sagt Sylvia Mechsner,„und<br />
wennessie gäbe,dann<br />
hätten wir längsteine Lösung gefunden.“<br />
Noch aber müssen betroffene<br />
Frauen dafür kämpfen, dass ihnen<br />
ihr Schmerz überhaupt geglaubt<br />
wird. Irenegeht nur noch<br />
zusammen mit ihrem Freund<br />
zum Arzt. Ihr war aufgefallen,<br />
dasseseinen Unterschiedmacht,<br />
wenn er neben ihr sitzt, ein<br />
Mann, der bezeugen kann, dass<br />
ihr Schmerz echt ist.<br />
Anne Lena Mösken