TONI_Stand180912
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„Und dann gibt es noch mich, der in die innere Emigration<br />
flüchtete und sein ganzes Leben von der Schulzeit über<br />
das Studium bis in den Beruf brav meisterte, jedoch alles<br />
im Uneigentlichen über sich ergehen lassen musste.<br />
Denn eigentlich war ich Schriftsteller. Lächerlich, nicht?<br />
„Friedinger“, S.9, von Stefan Kutzenberger<br />
genommen wird , ist normalerweise 1 zu 3000. Ab dem<br />
Moment hat das Märchen gar nicht aufgehört.“<br />
In Linz aufgewachsen<br />
Was wird im Roman erzählt? „Das Buch ist eine Aufarbeitung<br />
meiner oberösterreichischen Wurzeln.“ Kutzenberger<br />
ist Linzer, sein Vater Ewald war Leiter der<br />
Abteilung Statistik beim Land Oberösterreich, später<br />
wurde er in Wien Chef der Statistik Austria. „ Nach der<br />
Matura bin ich zum Studium nach Wien und dort geblieben.<br />
Meine Eltern haben erst vor zwei Jahren ihr<br />
Haus in Linz-St. Magdalena verkauft und sind nach<br />
Wien gezogen. „Das hat mich völlig am falschen Fuß<br />
erwischt. Ich bin mir plötzlich heimatlos vorgekommen.<br />
Gleichzeitig habe ich mir gedacht, das ist ja völlig<br />
lächerlich, denn es gibt so viele Menschen auf der<br />
Welt, die tatsächlich vertrieben und damit heimatlos<br />
werden. Ich habe meine Gefühle dann mit der Geschichte<br />
meiner Großeltern verglichen, die alles verloren<br />
haben. Die Großeltern mütterlicherseits haben<br />
durch Hitler und den Aufstand in Indonesien 1965 alles<br />
verloren. Die Großeltern väterlicherseits haben durch<br />
die Hyperinflation in den 1920-er Jahren auch alles verloren,<br />
sie mussten in Linz neu anfangen. Damit bin ich<br />
beim Thema, was ist Heimat, kann man neu anfangen?<br />
Wie verwurzelt ist man mit dem, von wo man herkommt?“<br />
waren neben der Heimat, was ist Treue, was bedeutet<br />
Älterwerden?“<br />
Kutzenbergers Vater Ewald ist in Steinbruck, einer<br />
Ortschaft nahe von Peuerbach (Bez. Grieskirchen), aufgewachsen.<br />
Sohn Stefan hatte aber mehr Kontakt zu<br />
Stefansdorf, einer benachbarten Ortschaft, zum Haus<br />
des Sepp Pfeiffer in Stefansdorf 11. „Da war ich in meiner<br />
Kindheit viel öfter, weil sie gleichaltrige Kinder gehabt<br />
haben. Ich habe die Erinnerungen im Buch verarbeitet.<br />
Am Dorffest sein, im Freibad sein, das Gras für die Kühe<br />
mähen, das erste Mal mit dem Traktor fahren, schwarz<br />
fischen. Diese Sachen habe ich dort gelernt. Das ist für<br />
mich das österreichische Landleben schlechthin. Ich<br />
habe auch das Trinken kennen gelernt. Nachdem ich in<br />
Linz aufgewachsen und ein Stadtkind bin, waren diese<br />
Erfahrungen im Sommer extrem wichtig.“<br />
Das Buch sei für seine Frau nicht leicht, denn der Kutzenberger<br />
habe im Buch eine Affäre mit einer jungen<br />
Französin. „Fiktion und Biografie trennen sich hier, dann<br />
kommen sie wieder zusammen. Das Leben meiner<br />
Großeltern ist aber fast real. Meine Großeltern mütterlicherseits<br />
hatten ein so interessantes Leben. Die Oma<br />
ist als Berliner Jüdin nach Amsterdam geflüchtet, dann<br />
nach Indonesien. Ihre Tochter, meine Mama, hat nach<br />
der Matura studiert.“<br />
Aufstand 1965<br />
Fotos: Michael Emprechtinger<br />
Der Friedinger<br />
„Der Friedinger im Roman ist ein Linzer. Der Kutzenberger<br />
lernt ihn in Kreta kennen, sie freunden sich<br />
miteinander an. Der Friedinger erzählt dem Kutzenberger<br />
seine Geschichte, über die voest, über die Waffenlieferungen<br />
und den Noricum-Skandal. Der Kutzenberger<br />
will immer Schriftsteller werden, kommt aber<br />
darauf, dass die Geschichte, die ihm der Friedinger erzählt,<br />
viel besser ist als die, die er schreiben wollte. Er<br />
beginnt die Friedinger-Geschichte aufzuschreiben und<br />
besucht ihn auch in Linz. Das ist für ihn auch eine Art<br />
Heimkommen. Er kommt das erste Mal wieder nach<br />
Linz, nachdem seine Eltern das Haus verkauft haben.<br />
So verschränken sich die verschiedenen Erzählstränge.<br />
Aber man kann den Roman relativ leicht lesen.<br />
Leichter als ich mir gedacht habe. Die großen Fragen<br />
„Die Oma wollte aber nicht, dass sie das in Amsterdam<br />
macht, denn die Indonesier haben stets gegen die<br />
Holländer für ihre Freiheit gekämpft. Als Jüdin wollte<br />
sie auch nicht, dass sie in Deutschland studiert, also<br />
ist sie nach Österreichgekommen. Als sie da waren,<br />
kam es in Indonesien 1965 zu einem Putsch gegen die<br />
chinesische Minderheit und sie konnten nicht mehr<br />
zurück, weil der Opa ein Chinese war. Sie haben alles<br />
verloren. Sie sind in Österreich geblieben und haben<br />
sich hier ein neues Leben aufgebaut. Der Opa wurde<br />
Arzt im Linzer AKH.“<br />
Text von Josef Ertl, Chefredakteur Kurier.<br />
Ertl, Josef: „Eine Aufarbeitung meiner oö.<br />
Wurzeln“ , in: Kurier (2018), 29.04.2018.<br />
Mit freundlicher Genehmigung zur<br />
Veröffentlichung. Wir bedanken uns sehr<br />
herzlich bei Dr. Josef Ertl!<br />
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HERBST 2018<br />
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