-flip_joker_2019-10
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
6 KULTUR JOKER Theater<br />
Lustig, melancholisch, tragisch<br />
Die Freiburger Schauspielschule zeigt „Die Casanova-Akte“ auf der Experimentalbühne im E-Werk<br />
Casanova (Lion Koch) mit seinen Gespielinnen<br />
Foto: promo<br />
„Die Casanova-Akte“, so der<br />
Titel der ebenso frechen wie<br />
originellen Collage aus Lesung,<br />
Schauspiel, Parodie und Musical,<br />
die in der ausverkauften<br />
Experimentalbühne im E-Werk<br />
rauschende Premiere feierte<br />
(Konzept und Regie: Grete Linz).<br />
Entwickelt wurde sie von Studierenden<br />
des siebten und achten<br />
Semesters der Freiburger Schauspielschule<br />
auf Grundlage der<br />
berühmten Memoiren des 1725<br />
in Venedig als Sohn eines Schauspieler-Paars<br />
geborenen Giacomo<br />
Girolamo Casanova. Seit letzten<br />
Herbst schrieben die angehenden<br />
Schauspieler eigene Texte, erarbeiteten<br />
Szenen und Choreografien,<br />
tüftelten an Licht und<br />
Effekten (Lion Koch) und komponierten<br />
Sound und Raps (Artur<br />
Grenz). Frauenheld, Lebemann,<br />
Kleriker, Okkultist, Spion, dazu<br />
Weltenbummler, Schriftsteller,<br />
Philosoph, Bibliothekar und immer<br />
wieder ausgebüxter Gefangener<br />
– welch prallbunte und<br />
abenteuerliche Biografie! Sechs<br />
Szenen beleuchten im Lauf dieses<br />
Abends Casanovas schillernden<br />
Lebenslauf und Charakter. Dazu<br />
ist die tiefe Kellerbühne in sepiafarbenes<br />
Kerzenlicht getaucht<br />
und durch einen transparenten<br />
Plastikvorhang zweigeteilt: Hinter<br />
ihm sieht man schemenhaft einen<br />
Tisch mit Perücken und allerhand<br />
Kostüme. Davor bleibt viel<br />
Raum für den Erzähler am Mikro<br />
(Jakob Stöckeler) und das aufgekratzte<br />
Partyvolk, das gleich zu<br />
fetten Beats einen mitreißenden<br />
Rap inklusive den dazugehörigen<br />
coolen Gesten singt. Man kennt<br />
Veronika Wider, Artur Grenz,<br />
Julia Sofia Schulze, Lion Koch<br />
und Zoë Knapp schon aus ganz<br />
unterschiedlichen Vorgängerproduktionen.<br />
Schön zu sehen, wie<br />
sie sich im Lauf ihrer Ausbildung<br />
entwickelt haben: Souverän, mit<br />
viel Präsenz und individuellem<br />
Ausdruck wirbeln sie best gelaunt<br />
in kleinen Schwarzen oder weißen<br />
Ripp-Unterhemden über die<br />
Bühne. Vor jedem Kapitel führt<br />
der Erzähler mit Originalzitaten<br />
und spitzen Kommentaren ein,<br />
gibt es einen passenden Rap und<br />
ein von allen gesprochenes Intro.<br />
Dann tönt gefühlvolle Barockmusik<br />
von Casanovas Zeitgenossen<br />
Andrea Luca Luchesi aus dem<br />
Off und man erlebt den Liebesgigant<br />
(Lion Koch) in Aktion mit<br />
seinen Gespielinnen oder Widersachern.<br />
Aparterweise blickt<br />
man auf diese meist erotischen,<br />
immer wieder mit Stummfilmkomik<br />
ironisch gebrochenen Szenen<br />
hinter dem Plastikvorhang wie<br />
ein Voyeur durch eine Milchglasscheibe,<br />
im Blaulicht leuchten<br />
nackte Haut und weiße Unterwäsche,<br />
die Spieler sprechen<br />
italienisch. Es gibt viele pfiffige<br />
Regieideen und einen spritzigen<br />
Mix aus Lustigem, Melancholischem<br />
und Tragik.<br />
Gerade war die Truppe im kroatischen<br />
Bale beim dritten Young<br />
Theatre Festival und zeigte dort<br />
„Die Casanova-Akte“ in jenem<br />
Haus, in dem der charismatische<br />
Glücksritter nach seiner Flucht<br />
aus den Bleikammern des Dogenpalasts<br />
und während seiner<br />
Europa-Odyssee Unterschlupf<br />
fand.<br />
Weitere Termine: 4. bis 6., 11.<br />
bis 13. sowie 18. bis 20. Oktober,<br />
jeweils 20 Uhr, Sonntag 18 Uhr.<br />
Experimentalbühne im E-Werk,<br />
Freiburg. Marion Klötzer<br />
„Wut und Wahn“ – das Motto,<br />
unter dem die Spielzeit <strong>2019</strong>/20 im<br />
Theater Freiburg steht, hat keinen<br />
guten Ruf. Wer dächte da nicht an<br />
den Bürger, der ein emotionales,<br />
nicht unbedingt auf das Allgemeinwohl<br />
gerichtetes Verständnis<br />
von Demokratie hat. Zumal<br />
es zum Wahn nicht mehr so weit<br />
ist. Die Leitungsriege des Theater<br />
Freiburg versteht Wut und Wahn<br />
im Sinne einer politischen Diskussionskultur.<br />
Dazu passt, dass<br />
das Freiburg Festival im Frühjahr<br />
2020 den Untertitel „performing<br />
democracy“ tragen wird. Und politisch<br />
startet das Schauspiel auch<br />
mit einer Inszenierung von Ödön<br />
von Horvaths Volksstück „Kasimir<br />
und Karoline“ (29.9.) durch die<br />
junge österreichische Regisseurin<br />
Christina Tscharyiski. Weniger<br />
später kommt dann eine andere<br />
Österreicherin ins Spiel, Hermann<br />
Schmidt-Rahmer wird Elfriede<br />
Jelineks Stück „Wut“ im Großen<br />
Haus (18.<strong>10</strong>.) inszenieren. Vertieft<br />
wird die Auseinandersetzung mit<br />
E.T.A. Hofmann – „Der goldene<br />
Topf“ gehört mit „Onkel Wanja“<br />
und „Factory“ zu den drei Wiederaufnahmen<br />
– durch dessen Erzählung<br />
„Der Sandmann“ (19.<strong>10</strong>.),<br />
Regie wird Stef Lernous führen.<br />
VERANSTALTUNGSPROGAMM Oktober <strong>2019</strong><br />
5./6.<strong>10</strong>.: Hochhaus-Architektur – Wochenend-Seminar mit dem Architekturhistoriker<br />
Prof. Frank R. Werner: Von den Anfängen bis zur Gegenwart – vom Wettrennen um den<br />
höchsten Bau der Welt bis hin zur aktuellen Wohnraum-Verdichtung – mit besonderer<br />
Berücksichtigung der Basler Hochhäuser von Herzog & de Meuron.<br />
Samstag: 17-21 Uhr, Sonntag: 9:30-12.30 Uhr. Teilnahme: 30 €.<br />
Falls gewünscht: Abendessen am Samstag:12 €, Mittagessen am Sonntag: <strong>10</strong> €<br />
Info und Anmeldung: www.waldhof-freiburg.de oder Tel. 0761 / 67134<br />
Im Waldhof 16<br />
79117 Freiburg-Littenweiler<br />
Info und Anmeldung:<br />
www.waldhof-freiburg.de<br />
„Wut und Wahn“<br />
Das Theater Freiburg in der Spielzeit <strong>2019</strong>/20<br />
Auch im Theater Freiburg hat man<br />
das Politische am Thema Wohnen<br />
erkannt. So wird es in der Uraufführung<br />
von Dirk Lauckes Posse<br />
„Nur das Beste“ (27.3.) um Mieten<br />
und Umziehen gehen, während in<br />
Ferdinand Schmalz‘ „Der Tempelherr“<br />
(29.11.) ungewöhnliche Bauten<br />
entstehen. Das könnte auch für<br />
Peter Richters Theaterstück gelten,<br />
dass die Wende der Jahre „89/90“<br />
Revue passieren lässt (11.<strong>10</strong>.). Klassiker<br />
gibt es dann auch, so treffen in<br />
Martin Kindervaters Inszenierung<br />
von „Maria Stuart“ (16.1.) zwei<br />
starke Frauen aufeinander und die<br />
polnische Regisseurin Ewelina<br />
Marciniak wird erneut in Freiburg<br />
arbeiten und in der kommenden<br />
Spielzeit „Der widerspenstigen<br />
Zähmung“ (13.3.) im Großen Haus<br />
zeigen.<br />
Tanz<br />
Das Motto im Tanz „Digitalisierung<br />
und Technologie“ klingt<br />
ungleich abstrakter. Tatsächlich<br />
reflektiert der Tanz die Digitalisierung<br />
auf zweifache Weise, indem er<br />
sie aufnimmt und so das Machbare<br />
erweitert und indem er sie kritisch<br />
hinterfragt. Wie in den vorherigen<br />
Spielzeiten ist das Theater Freiburg<br />
Kooperationen eingegangen, um<br />
internationale Gastspiele hier zu<br />
zeigen. Neben Frankreich, es wird<br />
Aufführungen von der Compagnie<br />
Wang Ramirez „W.A.M. We are<br />
Monchichi“ (25.4.), der Compagnie<br />
PLI (13.12.) und Adrien M &<br />
Claire B (14./15.2.) sowie Marino<br />
Vanna mit No-mad(e) (3.7.) geben<br />
– ist Belgien erneut ein Schwerpunkt.<br />
Gleich vier Produktionen<br />
kommen aus dem Nachbarland.<br />
Es sind „Glitch“ von Demestri &<br />
Lefeuvre (21.3.), „Memory Loss“<br />
von Ann Van den Broek (25.1.)<br />
sowie Jan Martens (27.6.) und der<br />
neuen Produktion von Voetvolk,<br />
die bereits des Öfteren zu Gast in<br />
Freiburg war. Den Anfang machen<br />
jedoch Marco Morau mit „Pasionaria“<br />
(27.9.), der neuen Choreografie<br />
von Bruno Beltrao (20.<strong>10</strong>.)<br />
sowie Jonas & Lander (16.11.)<br />
. A.H.<br />
Musiktheater<br />
Mit Giuseppe Verdis letzter Oper<br />
„Falstaff“, dirigiert von Generalmusikdirektor<br />
Fabrice Bollon, eröffnete<br />
am 28. September die Freiburger<br />
Spielzeit. Das Alterswerk<br />
ist die einzige Komödie des italienischen<br />
Komponisten. „Die ganze<br />
Welt ist ein Scherz“ sind die letzten<br />
Worte in dieser Oper, die von Anna-Sophia<br />
Mahler in Szene gesetzt<br />
wurde. Weniger lustig geht es in<br />
Benjamin Brittens düsterer Oper<br />
„The Turn of the Screw“ zu, die Intendant<br />
Peter Carp inszeniert (9.11.).<br />
2007 brachte Joan Anton Rechi in<br />
Freiburg einen herrlich durchgeknallten<br />
„Barbier von Sevilla“ auf<br />
die Bühne. Nun nimmt sich der<br />
Regisseur mit Mozarts „Hochzeit<br />
des Figaro“ (8.2.) der Fortsetzung<br />
der Geschichte aus Beaumarchais‘<br />
böser Komödie aus dem Jahr 1778<br />
an. Das vierköpfige Performancekollektive<br />
„Showcase Beat Le<br />
Mot“ wird Carl Maria von Webers<br />
„Freischütz“ (3.4.) inszenieren und<br />
dabei den Chor als Schauplatz von<br />
gruppendynamischen Prozessen<br />
herausstellen. Mit Menschen am<br />
Abgrund der Gesellschaft beschäftigt<br />
sich die Oper „The Last Hotel“<br />
(Regie: Enda Walsh), die das Freiburger<br />
Theater am 15. Mai auf der<br />
Hinterbühne des Großen Hauses<br />
als deutsche Erstaufführung zeigt.<br />
Mit Puccinis „Madame Butterfly“<br />
(musikalische Leitung: Fabrice<br />
Bollon/Regie: Benedikt Arnold,<br />
Premiere am 14.6.) hat Musikdramaturgin<br />
Tatjana Beyer noch ein<br />
beliebtes Repertoirestück programmiert,<br />
ehe gegen Ende der Spielzeit<br />
am 4. Juli Detlef Heusinger mit<br />
dem SWR Experimentalstudio in<br />
seiner „Jukeboxopera“ im Rahmen<br />
des Stadtjubiläums zu einer lebendigen<br />
Begegnung mit Musikgeschichte<br />
einlädt. G. R.