LEO November / Dezember 2019
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GESUNDHEIT<br />
FOTO: ISTOCKPHOTO.COM/VLADORLOV<br />
PSYCHE<br />
Zu fett für App und Strand?<br />
Laut einer Studie der Universität von<br />
Waterloo ist krankhafte Selbsteinschätzung<br />
des eigenen Körpers ein<br />
häufiges Problem für queere Männer,<br />
die Dating-Apps verwenden.<br />
Vor allem die App Grindr wirke sich<br />
demnach negativ auf das Körperbild<br />
der Nutzer aus, insbesondere was das<br />
Gewicht betrifft. Drei von vier Männern,<br />
die Sex mit Männern haben, nutzten<br />
diese App statistisch schon.<br />
„Dating-Apps sind in den letzten zehn<br />
Jahren immer beliebter geworden<br />
und haben die Art und Weise, wie<br />
Menschen miteinander in Kontakt<br />
treten, radikal verändert“, so Eric Filice,<br />
Hauptautor der Studie. „Wir waren<br />
überrascht, wie das Gewichtsstigma<br />
von einzelnen Benutzern aufrechterhalten<br />
und in die Informationsarchitektur<br />
der App eingebettet wird.“ Als Beispiel<br />
für diese systemimmanente Förderung<br />
eines gestörten Selbstbildes nannten<br />
die Studienmacher die Anonymität in<br />
der App und auch die Angabemöglichkeiten<br />
zur Körperbeschreibung,<br />
die es erleichtern sollen, zum Beispiel<br />
tatsächliches Übergewicht, das als<br />
stigmatisierend empfunden wird,<br />
zu kaschieren. Die Forscher fassten<br />
zusammen: „Menschen vergleichen ihr<br />
reales, persönliches Auftreten oft mit<br />
den sorgfältig kuratierten oder digital<br />
veränderten Darstellungen anderer, denen<br />
sie online begegnen.“ Dies könne<br />
zu weitreichenden negativen Folgen<br />
für das eigene Selbstbild führen. Als Lösung<br />
des Problems wurden von einigen<br />
Studienteilnehmern ehrlichere Fotos<br />
und korrektere Angaben zum Körper<br />
gewünscht. *ck<br />
NACHGEFRAGT<br />
Schlau zu HIV mit der AIDS-Hilfe Freiburg<br />
Erstmals in unserer Reihe mit Fachfragen zum Thema HIV und AIDS haben wir uns<br />
diesmal nicht an eine Schwerpunktpraxis gewandt, sondern an eine Beratungsstelle.<br />
Diese liegt auch nicht in einer der Metropolen Deutschlands, sondern im kleinstädtischen<br />
Bereich. Und das hat einen besonderen Hintergrund: Wir wollten wissen, wie es mit Vorurteilen<br />
und Stigmata in eher ländlichen Gebieten bestellt ist. Ralph Mackmull von der AIDS-Hilfe<br />
Freiburg gibt leider nicht wirklich Mut machende Antworten. *ck<br />
FOTO: STEFAN LAMB<br />
Berichten Besucher im Beratungsalltag<br />
von Stigmatisierungserfahrungen?<br />
Wenn ja, von welchen?<br />
Leider berichten Menschen mit HIV<br />
im Kontext unserer Beratungsangebote<br />
immer wieder und immer noch von<br />
Stigmatisierungserfahrungen. Der große<br />
Schwerpunkt ist dabei der medizinische<br />
und pflegerische Bereich. Neuralgisch für<br />
viele Menschen mit HIV ist der Besuch<br />
beim Zahnarzt. Hier kommt es – trotz<br />
mehrerer gemeinsamer Kampagnen<br />
von der Deutschen Aidshilfe und der<br />
Bundeszahnärztekammer – immer noch<br />
sehr häufig vor, dass Menschen mit HIV<br />
entweder gar keinen Termin, oder einen<br />
am Ende des Tages erhalten – mit der Begründung<br />
von besonderen hygienischen<br />
Notwendigkeiten, was völlig absurd ist<br />
und schlichtweg nicht stimmt. Gekennzeichnete<br />
Patientenakten, Einzelzimmerisolierung<br />
im Krankenhaus, Kontakt mit<br />
Pflegenden nur mit Vollkörperschutz sind<br />
weitere Erfahrungen, die uns berichtet<br />
werden. Meist liegt die Ursache von<br />
solchen Maßnahmen in mangelnder Aufklärung<br />
bzw. mangelndem Wissen über<br />
den aktuellen Behandlungsstand einer<br />
HIV-Infektion: Funktioniert die Therapie,<br />
ist die Person nicht mehr infektiös – selbst<br />
nicht mehr beim Sex. Das wissen immer<br />
noch zu wenige Menschen. Auch in der<br />
schwulen Szene ist dieses Wissen noch<br />
nicht vollständig angekommen. Immerhin<br />
scheint im Bereich der Arbeitswelt seit der<br />
Einführung der Datenschutzgrundverordnung<br />
eine Sensibilisierung bezüglich der<br />
Verwendung von Gesundheitsdaten von<br />
Mitarbeitenden stattgefunden zu haben:<br />
Wir erleben, dass die Berichte von Stigmatisierungen<br />
oder unfreiwilligen Outings<br />
am Arbeitsplatz etwas abnehmen.<br />
Welche Folgen haben diese Stigmatisierungen<br />
für die Betroffenen?<br />
Erlebte Stigmatisierung ist eine enorme<br />
psychische und seelische Belastung. Zudem<br />
bewirkt Stigmatisierung meist einen<br />
sozialen Rückzug – und das ganz gleich,<br />
in welchem Bereich die Stigmatisierung<br />
stattgefunden hat. Sie wirkt sich häufig<br />
negativ auf das gesamte Lebensumfeld<br />
aus. Gerade bei HIV ist eine latente<br />
Selbststigmatisierung oftmals stark<br />
verinnerlicht und schwächt das eigene<br />
Selbstwertgefühl und damit die eigenen<br />
Möglichkeiten, sich gegen die Stigmatisierung<br />
von außen zu wehren. Wir erleben<br />
zudem, dass Menschen mit HIV mit kaum<br />
jemandem – auch nicht im Freundeskreis<br />
– über ihre Infektion, die Stigmatisierungen<br />
und ihre belastenden Auswirkungen<br />
reden. Der eigene Partner ist oftmals der<br />
einzige Mensch, der Bescheid weiß. Die<br />
Angst, ausgegrenzt zu werden, steckt tief.<br />
Für die AIDS-Hilfen ist klar: Es ist eine der<br />
wesentlichen Aufgaben, die Öffentlichkeit<br />
weiter aufzuklären – nicht nur über<br />
die allgegenwärtige Stigmatisierung von<br />
Menschen mit HIV und deren Auswirkungen,<br />
sondern auch über den Stand der<br />
modernen Therapien. Mit einer kleinen Tablette<br />
täglich lässt sich HIV wirkungsvoll<br />
behandeln, so dass das Virus nicht mehr<br />
im Blut nachweisbar ist und eine weitere<br />
Übertragung des Virus schlicht unmöglich<br />
wird. Wer sich dies vor Augen führt,<br />
begreift, dass die alten Bilder von HIV<br />
und AIDS aus den 90er Jahren heute nicht<br />
mehr gelten und überdenkt vielleicht auch<br />
das eigene ausgrenzende Verhalten.<br />
Das ganze Interview unter<br />
www.blu.fm/topics/schlau-zu-hiv