LEO November / Dezember 2019
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nicht so gruselig, dass ich mich fürchten<br />
müsste. Was, zugegebenermaßen, schon<br />
passiert, wenn in einem Film jemand in ein<br />
dunkles Zimmer kommt und der Lichtschalter<br />
nicht funktioniert. Besonders erfreulich<br />
fand ich auch, dass im Zentrum der<br />
Geschichte zwar zwei einigermaßen in die<br />
Jahre gekommene Menschen stehen, das<br />
aber gar nicht das Thema ist. Es geht nicht<br />
um unser Alter oder Alzheimer, Schlaganfälle<br />
und Pflegebedürftigkeit.<br />
Um mal Bezug zu nehmen auf den<br />
Titel des Films: Sind alle Schauspieler<br />
automatisch gute Lügner?<br />
Puh ... ich weiß nicht. Die Frage ist schon<br />
deswegen schwierig, weil ich es gar nicht<br />
so eindeutig finde, was eigentlich eine Lüge<br />
ausmacht. Die wichtigere Erkenntnis ist ja:<br />
Alle Menschen sind Schauspieler. Das ist<br />
einer der Hauptunterschiede zu den Tieren,<br />
würde ich sagen. Hunde kämen nie auf die<br />
Idee, sich als Katzen auszugeben – und<br />
könnten es auch gar nicht. Aber wir schaffen<br />
es, wenn schon nicht als ein Tier, dann doch<br />
zumindest als jemand anderes durchzugehen,<br />
als wir eigentlich sind. Wir zeigen die unterschiedlichsten<br />
Versionen unserer selbst,<br />
immer angepasst an die jeweilige Situation,<br />
in der wir uns befinden. Das ist durchaus<br />
eine Form von Schauspielerei.<br />
Finden Sie wirklich?<br />
Ja, das ist mir schon in der Schule klar geworden.<br />
Damals realisierte ich, dass ich dort<br />
ganz anders sprach als zu Hause. Und zwar<br />
nicht nur vom Vokabular her, sondern auch,<br />
was die Stimmlage angeht. Auch sprach ich<br />
mit meinen Eltern anders als mit meinen<br />
Großeltern. So ist das doch immer wieder<br />
und überall, für jeden. Im Grunde überlegen<br />
wir alle uns jeden Morgen, welche Rolle wir<br />
heute spielen werden und welches Kostüm<br />
wir dazu brauchen. Deswegen kann es<br />
vorkommen, dass man abends in der Kneipe<br />
den Kollegen aus dem Büro kaum wiedererkennt:<br />
weil Kostüm und Kulisse nicht zu<br />
der Rolle passen, aus der man ihn kennt.<br />
Im Grunde mache ich also nur das<br />
beruflich und in zugespitzter<br />
Form, was jeder andere sonst<br />
auch tagtäglich macht.<br />
Sie haben es mit dieser<br />
Tätigkeit zur Legende<br />
gebracht. Wie bewusst<br />
sind Sie sich eigentlich<br />
Ihres Ikonen-Status?<br />
Das ist reizend, dass Sie das<br />
so formulieren. Allerdings denke<br />
ich nicht allzu viel über so etwas nach.<br />
Es freut mich immer, wenn, ist, wenn ich<br />
realisiere, dass ich dank meiner Arbeit eine<br />
Rolle im Leben anderer Menschen gespielt<br />
habe. Zuletzt bin ich anlässlich meines 80.<br />
Geburtstags mit einem Theaterabend durch<br />
Großbritannien getourt, da kamen abends<br />
oft Leute auf mich zu, die etwa berichteten,<br />
dass sie mich mit ihrem verstorbenen Partner<br />
in den Siebzigern schon auf der Bühne<br />
gesehen haben. So etwas berührt mich sehr.<br />
Aber Ihr Ruhm ist doch deutlich größer<br />
als das ...<br />
Mag sein, aber er hat so wenig mit mir als<br />
Person zu tun. Eher mit den Figuren, die ich<br />
gespielt habe. Gandalf etwa war schon eine<br />
Ikone für „Herr der Ringe“-Fans, bevor ich<br />
ihn gespielt habe. Da bin ich nur Trittbrettfahrer.<br />
Oder es hat damit zu tun, dass mich<br />
Menschen aus dem Fernsehen kennen, weil<br />
ich einmal im Jahr in der „Graham Norton<br />
Show“ sitze und ein paar Scherze mache.<br />
Aber auch das heißt ja nicht, dass sie mich<br />
wirklich kennen. Mich hat immer nur interessiert,<br />
auf der Bühne oder vor einer Kamera<br />
FILM<br />
zu stehen und von den Zuschauern in dieser<br />
Rolle akzeptiert zu werden. So wie Laurence<br />
Olivier, der Held meiner Jugend. Der wurde<br />
auf der Straße auch nicht erkannt.<br />
Eine letzte Frage noch mit<br />
Bezug zu „The Good<br />
Liar“, denn Sie und<br />
Helen Mirren lernen<br />
sich dort ja über<br />
ein Online-Dating-<br />
Portal kennen. Was<br />
halten Sie privat<br />
davon?<br />
Ich finde es ganz wunderbar,<br />
dass es heutzutage diese<br />
Option gibt. Und gerade viele<br />
meiner schwulen Freunde haben auf<br />
diesem Weg ihre Partner kennengelernt, mit<br />
denen sie heute verheiratet sind. Ich wäre<br />
froh gewesen, in meiner Jugend schon diese<br />
Möglichkeit gehabt zu haben.<br />
Tatsächlich?<br />
Na klar. Als ich anfing zu daten, war Homosexualität<br />
ja noch nicht legal. Und weil<br />
niemand geoutet war, musste man immer<br />
erst einmal herausfinden, wer überhaupt<br />
schwul war. Und in einem Städtchen wie<br />
Bolton, wo ich herkam, gab es natürlich auch<br />
keine Gay-Bars oder so. Man musste also<br />
darauf achten, wie jemand dir die Hand gab<br />
oder dich ansah. Hochinteressant und eine<br />
spannende Art, sich kennenzulernen. Aber<br />
auch recht mühsam, wenn man eigentlich<br />
nur ... ein bisschen kuscheln wollte. Wie<br />
großartig also, dass das Internet so etwas<br />
heutzutage erleichtert. Gerade für Menschen,<br />
die vielleicht abseits der Großstadt<br />
leben und womöglich ein bisschen einsam<br />
oder schüchtern sind.<br />
*Interview: Tim Franklin<br />
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