LEO November / Dezember 2019
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KUNST<br />
Also keine Freiheiten?<br />
Nein, ich will nicht alles verteufeln, ich hatte zum Beispiel einen<br />
tollen Kunstlehrer: ein Exzentriker mit einem Plastikseepferdchen<br />
am Gürtel. Der Typ hat sich mehr getraut als die anderen Lehrer.<br />
Ich fand Malerei toll, ich malte selbst, mein bester Freund hat<br />
viel gemalt und gezeichnet. Aber selbst Künstler zu werden, das<br />
konnte ich mir damals nicht vorstellen.<br />
Das kam dann mit der Wende.<br />
Ja, das Entscheidende war allerdings nicht das Leben in der DDR<br />
für mich, sondern zu erleben, wie plötzlich ein ganzes System<br />
endet. Wenn eine ganze Welt zusammenkracht. Wenn von<br />
einem Tag auf den anderen alles anders ist. Ich<br />
denke, das prägt alle Leute, die diese Erfahrung<br />
gemacht haben. Diese Veränderungserfahrung<br />
hat bei mir dafür gesorgt zu denken:<br />
Okay, Jackpot, ich verändere mich jetzt<br />
auch, ich werde Künstler.<br />
Daher die Bilder mit den Zentrifugalkräften,<br />
wo alles im<br />
Wirbel ist und zerfetzt wird.<br />
Recht bedrohlich mitunter ...<br />
Oft ja, aber durchaus nicht auf<br />
allen meinen Bildern. Ich glaube, es<br />
ist der Kippmoment, diese Explosion<br />
an Möglichkeiten. Freiheit kann<br />
auch bedrohlich sein. Es kann sich<br />
alles ändern, zum Guten oder auch zum<br />
Schlechten. Wenn ich heute einen Menschen<br />
kennenlerne, dann kann das ganz toll<br />
werden oder auch komplett schiefgehen. Ich denke<br />
da an ein Kierkegaard-Zitat von Julian Schnabel: „Anxiety is<br />
the dizziness of freedom“ (Angst ist der Schwindel der Freiheit)<br />
... Das klingt cheesy, ist aber gut formuliert. Ich versuche,<br />
in den Bildern die Mehrschichtigkeit von Momenten und den<br />
Taumel sichtbar zu machen.<br />
Wie viel Persönliches fließt in deine Bilder mit ein?<br />
Sehr viel Persönliches! Es kommt nicht alles Private rein, aber<br />
ich will zeigen, was mich beschäftigt. Ich lebe ein paar Jahre,<br />
dann bin ich tot, wovor sollte ich denn Angst haben? Was<br />
habe ich denn zu verbergen? Meine Ängste, Träume, Erlebnisse,<br />
die soll man sehen. Wenn ich zurückschaue auf Bilder, die<br />
ich vor ein paar Jahren gemalt habe, dann kann ich mich gut<br />
an den jeweiligen Moment erinnern und daran, was ich dabei<br />
fühlte.<br />
Bei Malerei will ich Handschrift und Haltung erkennen können.<br />
Ich glaube nicht, dass man sich immer alles offenhalten kann,<br />
ich habe keine Angst davor, festgelegt zu werden. Wieder<br />
durcheinanderbringen kann ich das dann immer noch.<br />
FOTO: M. RÄDEL<br />
und jetzt merken wir: Im Gegenteil, das kocht und brodelt, mit<br />
schmutziger brauner Soße und unglaublich viel Hass.<br />
Haben dich die Wahlergebnisse von deiner Heimat<br />
Leipzig entfremdet?<br />
Ich wuchs dort zehn Jahre auf, meine Heimat ist eher Berlin.<br />
Ich liebe Friedrichshain, einen Kiez mit Klubs wie dem Berghain<br />
und vielen offenen Menschen und Projekten, die so gar nicht in<br />
ein totalitäres Schema passen. Hier bin ich genau richtig. Wobei<br />
ich Heimat eher mit Ideen und Freunden und nicht mit Ländern<br />
verbinde. Nach Tel Aviv kommen viele Leute, weil sie dort etwas<br />
bewegen wollen, dort sammeln sich Ideen.<br />
Ich male zurzeit viel in Andalusien unter freiem Himmel,<br />
das ist wieder anders, 800 Jahre lang lebten<br />
dort Araber, haben die Kultur geprägt, direkt<br />
gegenüber liegt Afrika. Da bekommst du<br />
einen anderen Blick auf Deutschland.<br />
Leipzig ist eine bunte, wunderschöne<br />
Stadt. Eine langjährige Freundin lebt<br />
da, sie hat gerade die Geschlechtsanpassung<br />
zum Mann begonnen, auch<br />
das ist dort möglich.<br />
Du fühlst dich also als Europäer?<br />
Europa ist ein schönes Wort. Vielleicht.<br />
*Interview: Michael Rädel<br />
www.norbertbisky.com<br />
www.facebook.com/norbertbiskyofficial<br />
www.koeniggalerie.com<br />
anonym,<br />
persönlich,<br />
per Mail<br />
oder Chat<br />
Deine Ausstellungen jetzt beschäftigen sich mit dem<br />
Mauerfall ...<br />
Flashbacks aus der Zeit im Osten lassen mich leider nicht los.<br />
Also setze ich mich jetzt noch einmal mit meinen Erinnerungen<br />
auseinander und male Bilder dazu, solange ich noch klar<br />
im Kopf bin. (lacht) Schon im Frühling geht es thematisch<br />
vollkommen anders weiter. Aber jetzt kommt noch mal meine<br />
Wut auf die Leinwand. Hier zum Beispiel ist eine zerrissene<br />
alte Schulkarte aus der DDR gemalt, so etwas baue ich zum<br />
ersten Mal in meine Bilder ein. Ich hoffe, dass ich dann mit<br />
dem Thema abschließen kann.<br />
Eines der Themen der Ausstellung sind auch die<br />
Grabenkämpfe zwischen Ost und West.<br />
Eine Zeit lang schien es, als sei alles relativ okay und friedlich,<br />
aidshilfe-beratung.de