LEO November / Dezember 2019
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MUSIK<br />
INTERVIEW<br />
KING PRINCESS:<br />
„Genderqueere Lesbe“<br />
Wenn dir im Alter von elf<br />
Jahren ein Plattenvertrag<br />
angeboten wird (und das auch<br />
noch von einem Major wie Virgin<br />
Records), dann kann man froh<br />
sein, wenn es eine Familie gibt, die<br />
einen davon abhält, ihn anzunehmen.<br />
Aber da ihr Vater ein Studio<br />
in Brooklyn hat, wusste er genug<br />
vom Musikgeschäft, um mit klarem<br />
Verstand zu handeln.<br />
Allerdings war die junge Mikaela Straus<br />
auch selbst zu clever, um in diese Falle zu<br />
stolpern, die so viele Wracks und kaputte<br />
Erwachsene hinterlässt. Sie wusste,<br />
dass sie noch nicht bereit war, obwohl<br />
ihr gleichzeitig klar war: „Das wollte ich<br />
schon immer. Ich würde Musik machen!<br />
Ansonsten hätte ich vielleicht geschrieben<br />
und wäre so eine heftige queere Autorin<br />
geworden.“ Aber dazu konnte es gar nicht<br />
kommen, denn sie ist praktisch in diesem<br />
Studio in Brooklyn aufgewachsen. Es war<br />
ihr persönliches Wunderland.<br />
Im gewissen Sinn hat die kleine Mikaela<br />
die Entstehung der Alben von Künstlern<br />
wie Arctic Monkeys und vielen anderen<br />
begleitet. „Manche waren scheiße, manche<br />
waren gut“, lacht sie. Und wenn die Background<br />
Vocals mal wieder nichts taugten,<br />
rief ihr Vater auch schon mal Mikaela vor<br />
das Mikrofon. „Ich bekam meine Ausbildung<br />
in der Form, dass ich genau lernte,<br />
was ich nicht tun sollte.“ Deshalb hat sie<br />
jetzt, zwei Jahre nachdem Mark Ronson sie<br />
für sein neues Label unter Vertrag nahm,<br />
einen glasklaren Blick. „Ich bin eine 19<br />
Jahre alte Bitch und eine Geschäftsfrau<br />
durch Osmose. Ich weiß, ich bin jetzt eine<br />
Firma.“ Darum hat sie auch so viele weitere<br />
Verhandlungen mit Labels abgebrochen bis<br />
Mark kam. „Das war<br />
einfach ein großartiges<br />
Angebot. Ich<br />
liebe Mark und ich<br />
vertraue ihm.“<br />
Jetzt wird ihr Debütalbum<br />
„Cheap<br />
Queen“ erscheinen.<br />
Nach über 200<br />
Millionen Streams<br />
allein für ihren Song<br />
„1950“ darf man<br />
davon ausgehen,<br />
dass das Ding ein<br />
rasender Erfolg sein wird – und das vor allem,<br />
weil sie offen mit sich selbst umgeht:<br />
„Ich bin der Junge, das Mädchen und alles<br />
dazwischen“, sagt Mikaela, die sich als genderqueere<br />
Lesbe definiert. Deshalb übernahm<br />
sie auch den Namen „King Princess“<br />
als ein Freund sie so nannte. Die fließende<br />
Ambivalenz, die diese beiden Worte zusammen<br />
ausdrückten, brachte etwas in ihr<br />
zum Schwingen. So wie ihr kraftvoller Pop<br />
bei ihren Fans. „Meine Musik ist ehrlich und<br />
queer – und es geht um Liebe.“ Gerade<br />
jetzt, gerade unter Trump. „Ich habe den<br />
Hass der Amerikaner nie unterschätzt.<br />
Soziale Medien sind die perfekte Plattform<br />
für Idioten – und nun gibt es einen<br />
Präsidenten, der sagt, es ist völlig okay zu<br />
hassen.“ Mit dem sie interessanterweise<br />
sogar eine Gemeinsamkeit hat – auch ihre<br />
Vorfahren kommen von hier. „Ich bin eine<br />
stolze, deutsche Jüdin und ich war fast<br />
jeden Sommer in Deutschland bei Oma<br />
und Opa“, und sie sagt wahrhaftig auch im<br />
Interview auf Deutsch<br />
„Oma“ und „Opa“.<br />
Väterlicherseits waren<br />
ihre Ur-Ur-Großeltern<br />
übrigens Passagiere auf<br />
der Titanic und versanken<br />
zusammen mit ihr<br />
im Meer. Isidor Straus<br />
war nicht nur amerikanisches<br />
Kongressmitglied,<br />
sondern auch<br />
noch stinkreich und<br />
Besitzer des berühmten<br />
Kaufhauses Macy’s<br />
in New York. Dieses<br />
Hoheitliche im Künstlernamen ergibt also<br />
auch auf anderer Ebene Sinn.<br />
Wie gefestigt sie in ihrem Selbstbild ist,<br />
kann man übrigens gerade im amerikanischen<br />
Playboy betrachten, in dem sie<br />
die Rollenklischees der Highschool halb<br />
nackt nach- und bloßstellt. „Für alle,<br />
die mich kennen, war das wohl der am<br />
meisten erwartete Move von mir“, lacht<br />
sie wieder. Sie liebt die Bilder. „So siehst<br />
du eben aus als ‚horny kid‘. Und der Fakt,<br />
dass da jetzt meine queeren Titties sind,<br />
in einem Heft, gemacht für straighte<br />
Typen … Ich liebe es.“ *fis