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5. Naturparkmagazin "Stark"

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© Foto: Gabriela Neeb<br />

Die 42. Oberammergauer<br />

Passionsspiele vereinen 2020<br />

Tradition, Glaube, Leidenschaft<br />

und Spektakel<br />

Wer je bei einer Vorstellung dabei<br />

gewesen ist, ganz gleich, ob<br />

in eine warme Decke gehüllt<br />

oder umgeben von einem lauen<br />

Sommerabend, wird sich lange<br />

an sie erinnern: diese besondere<br />

Atmosphäre zu Füßen des<br />

Kofel, im Passionstheater von<br />

Oberammergau.<br />

Was aber ist es, dass auch<br />

2020 wieder Hunderttausende<br />

von Menschen aus der ganzen<br />

Welt, von Amerika bis Australien,<br />

in das berühmte Dorf am<br />

Rande der Ammergauer Alpen<br />

führen wird? Was steckt hinter<br />

der Faszination für die Passion?<br />

Da ist zum einen die dramatische<br />

Geschichte. Beinahe 400<br />

Jahre und 41 Passionsspiele ist<br />

es her, dass sich der Tagelöhner<br />

Kaspar Schisler im Oktober 1633,<br />

während die Gemeinde Kirchweih<br />

feierte, ins Dorf zu seiner<br />

Familie schlich – im Gepäck den<br />

„Schwarzen Tod“, die Pest; mit<br />

ihm starben 84 Menschen.<br />

Das Gelübde, von nun an in<br />

jedem zehnten Jahr das „Spiel<br />

vom Leiden, Sterben und Auferstehen<br />

unseres Herrn Jesus<br />

Christus“ aufzuführen, sollte<br />

die Oberammergauer vor weiteren<br />

Opfern der Seuche bewahren.<br />

Wie heute weltbekannt ist:<br />

„ Faszination Passion ”<br />

Die Gemeinde hielt sich an ihren<br />

Schwur. Seit zum Pfingstfest<br />

1634 das erste Spiel auf<br />

dem hiesigen Friedhof stattgefunden<br />

hatte, auf einer Bühne<br />

über den frischen Gräbern der<br />

Pesttoten, ließ sie sich selbst<br />

durch Politik und Kriege kaum<br />

aufhalten. Nur zweimal, 1770<br />

und 1940, mussten die Spiele<br />

ausfallen, das Dorf wurde dennoch<br />

erhört. Und – natürlich –<br />

Oberammergau wäre nicht so<br />

einzigartig, wie es ist, wenn es<br />

sein Gelübde nicht bis zum heutigen<br />

Tag im Rahmen eines feierlichen<br />

Gottesdienstes erneuern<br />

würde, zuletzt am 20. Oktober<br />

2018, kurz bevor die Darsteller<br />

der Passionsspiele 2020<br />

bekannt gegeben wurden.<br />

Auch das ist Teil der Faszination:<br />

Das Dorf hält fest an Tradition.<br />

Und seit Dezember 2014<br />

gehören seine Passionsspiele<br />

zum immateriellen Kulturerbe<br />

der UNESCO. Zwar hat sich unter<br />

Christian Stückl, der sie bereits<br />

zum vierten Mal inszenieren<br />

wird, Grundlegendes geändert.<br />

So bearbeitete Stückl<br />

seit 1990 den Text des Pfarrers<br />

Josef Alois Daisenberger und<br />

verbannte antijudaistische Passagen.<br />

Während seiner Spielleitung<br />

wurde auch das Mitwirkungsrecht<br />

der Frauen sowie der<br />

© Foto: Brigitte Maria Mayer<br />

muslimischen Einwohner Oberammergaus<br />

angepasst. Und so<br />

vollbringt er das Kunststück,<br />

die Tradition fortschrittlich zu<br />

denken. Die wichtigste Regel<br />

aber gilt nach wie vor: Wer am<br />

Passionsspiel mitwirken will,<br />

muss in Oberammergau geboren<br />

sein oder seit mindestens<br />

20 Jahren dort leben.<br />

Spielleiter Stückl, der auch<br />

Intendant des Münchner Volkstheaters<br />

ist, hinterfragt nicht<br />

nur unermüdlich Text und Darstellung.<br />

Er feilt auch bis zuletzt<br />

an der Neubesetzung der Rollen,<br />

erkennt und fördert junge<br />

Talente, baut an anderer Stelle<br />

wiederum auf Erfahrung.<br />

Nur so gelingt ihm selbst die<br />

Rolle des Massendirigenten<br />

über rund 2.400 Mitwirkende<br />

bei diesem Großereignis von<br />

Weltruf.<br />

Ein großes Freiluftmuseum?<br />

Das könnte der Besucher meinen,<br />

während er, vorbei an<br />

Schnitzhandwerk und Goldschmiedekunst,<br />

an Lüftlmalereien<br />

und Hinterglasbildern,<br />

durch die idyllischen Sträßchen<br />

des Ortes streift. Doch Oberammergau<br />

ist weit mehr als<br />

bloß historische Kulisse, es ist<br />

gelebtes Glaubensbekenntnis,<br />

auch über den eigenen Glauben<br />

hinaus. Dies ist ein weiteres<br />

offenes Geheimnis seiner Anziehungskraft:<br />

die Authentizität.<br />

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