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People - architektur der Zukunft - architekt - architect - architekten im gespräch - architektinnen - projekte - nachhaltigkeit - architektur der zukunft - planer - bauen - baubranche - wissensgesellschaft - autocad - edv

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25<br />

Franz Kühmayer<br />

Wenn man beim ersten Teil – Zukunft der<br />

Architektur – bleibt, ist die erste Erkenntnis:<br />

Architektur ist immer Zukunft. Weil sie<br />

nach vorne gerichtet ist und ihr Ergebnis<br />

meist jahrzehntelangen Bestand hat. Da tut<br />

sich Büroarchitektur in den letzten Jahren<br />

schwerer als früher, weil sich die Veränderungszyklen<br />

in ihrer Dynamik unterscheiden.<br />

Arbeit verändert sich schneller als Architektur<br />

Schritt halten kann. Das gilt aber<br />

auch für andere Systeme, wie zum Beispiel<br />

die Kultur.<br />

Wenn ich Sie jetzt nach der Zukunft der Architektur<br />

frage, ist das nicht ein bisschen,<br />

wie aus der Glaskugel oder aus dem Kaffeesud<br />

lesen, gerade auch wegen der angesprochenen<br />

schnellen Veränderungen?<br />

Wenn wir darüber nachdenken, ist der Ausgangspunkt<br />

die Frage: Wie wollen wir in<br />

Zukunft arbeiten? Wir sind ja nicht Opfer<br />

einer Veränderung, wir sind Täter, wir verändern<br />

selbst. Ein wesentlicher Fehler, den<br />

Unternehmen machen, ist zu sagen, wie<br />

bauen andere das Büro oder die Architektur<br />

der Zukunft – und dem muss ich mich jetzt<br />

anschließen. Dabei vergisst man „zukunftsversessen“<br />

den Sinn der Architektur. Und<br />

der ist nicht der, Funktionalität zu erzeugen,<br />

sondern Kultur zu fördern, vielleicht sogar zu<br />

erzeugen. Architektur hat viel mit Identität<br />

zu tun, wer sind wir? Das muss ich in die Zukunft<br />

projizieren können und nur dann kann<br />

ich über eine Architektur der Zukunft reden.<br />

Eine der Grundfunktionen der Architektur<br />

war immer „shelter“ also die Schutzfunktion.<br />

Die ist aber in der heutigen Architektur<br />

nicht mehr vorhanden. Heute bauen wir nur<br />

auf Funktionalität und auf Image.<br />

Der Einwand mit „shelter“ ist vollkommen<br />

richtig, es gibt aber noch einen zweiten<br />

Begriff, die „community“, die da mitspielt.<br />

„Community“ kann eine Kraftquelle sein<br />

(kolaboratives Arbeiten, Kommunikation),<br />

kann aber auch störend wirken. Bei der Büroarchitektur<br />

der 60er und 70er ist dieser<br />

Schutz vor der Gemeinschaft im Mittelpunkt<br />

gestanden, damals war es der Rückzug<br />

auf die Individualität.<br />

Der Leitgedanke der letzten Jahre war: Das<br />

Büro ist NICHT mehr der einzige Ort für<br />

Einzelproduktivität. Es ist ein Ort der Teamproduktivität.<br />

Dem entspricht auch das<br />

Phänomen der „Büroflucht“ in größeren Unternehmen,<br />

wenn Mitarbeiter in Ruhe und<br />

konzentriert arbeiten wollen oder müssen.<br />

Sehen Sie die Zukunft der Architektur eher<br />

in sozialen, partizipativen oder in Cocooning-Bereichen?<br />

Die klassische Antwort lautet: beides! Wenn<br />

ich mir die Mischbüros und die Open-Space-Büros<br />

ansehe, dann glaube ich, dass der<br />

Gedanke der Community, des Sozialen hier<br />

als eine Pendelbewegung zu stark ausgeschlagen<br />

hat.<br />

Ist die Gesellschaft wieder einmal<br />

in das Extreme gewandert?<br />

Vielleicht hat es dieses Extrem auch gebraucht,<br />

um Verkrustungen aufzubrechen,<br />

um sich aus der Isolierung des Einzelbüros<br />

hinauszubewegen. Sowohl ergonomisch<br />

wie auch psychologisch ist das Büro als<br />

Kaffeehaus oder Bar nicht das Letzte. Das<br />

funktioniert nur in einem Start-up, solange<br />

ich 25 bin und das zwei Jahre lang mache.<br />

Der Gedanke der Ergonomie muss wieder<br />

kommen, denn man will sicher nicht ein Leben<br />

lang auf Holzpaletten sitzen und Latte<br />

macchiato schlürfen.<br />

Sehen sie – auf die Architektur bezogen<br />

– das Problem des Klimawandels, als ein<br />

Gesamtes oder als die Summe vieler Probleme?<br />

Kann der Einzelne gewisse Schritte<br />

setzen, oder ist er machtlos?<br />

Wir sind nie machtlos, ich habe ein sehr optimistisches<br />

Zukunftsbild. Wir sind als Arbeitnehmer<br />

nicht machtlos, weil Ansprüche<br />

formuliert werden. Als Konsumenten stellen<br />

wir die Frage, ob wir überhaupt kaufen<br />

sollen oder nicht. Wenn ich solche Fragen<br />

stelle, übe ich Macht auf das System aus.<br />

Damit diese sich manifestiert, braucht es<br />

Multiplikation.<br />

Ein gutes Beispiel ist „Friday for Future“!<br />

Genau! Aber es muss nicht immer diese<br />

explizite Gemeinschaft geben, es gibt auch<br />

das implizite – das ist der Wertewandel. Die<br />

Automobilindustrie kämpft damit, dass die<br />

Jugend sagt: Besitz (eines Autos) interessiert<br />

mich nicht mehr! Der Besitz von Fahrzeugen<br />

hat als Statussymbol nachgelassen.<br />

Das „Haben und Sein“ (Erich Fromm) hängen<br />

insofern zusammen, weil wir etwas haben<br />

wollen, um jemand zu sein. Das merkt man<br />

bei der Architektur sehr stark, das Image, die<br />

Herrschaftsarchitektur, im Büro brauche ich<br />

ein Einzelbüro, nicht weil ich konzentriert arbeiten<br />

will, sondern weil ich etwas darstellen<br />

will. Und genau dieses Denken zerbricht gerade,<br />

weil die Erfolgsgleichung der Vergangenheit<br />

immer stärker (hauptsächlich von<br />

der Jugend) hinterfragt wird. Das Geld, der<br />

Bonus als Schweizermesser für die Motivation<br />

funktioniert nicht mehr.<br />

Á propos positives Denken: Für mich ist die<br />

Tatsache, dass aus der Jugend, also Bottom<br />

up ein Druck auf die Gesellschaft in Richtung<br />

(Werte)Wandel aufgebaut wird, die<br />

größte Hoffnung auf eine Wende zum Guten,<br />

auch in der Architektur.<br />

Die Kraft der Jugend zieht sich durch die<br />

Geschichte. Revolutionen haben immer mit<br />

Jugend zu tun und kommen von unten. Da<br />

steckt die Unvernunft (im positiven Sinn)<br />

dahinter.<br />

Das Querdenken?<br />

Ja, denn Vernunft will sich anpassen, ist<br />

systemkonform. Veränderung kann nur<br />

durch Unvernunft ausgelöst werden.<br />

Da müsste man eigentlich im Hinblick auf<br />

die Architektur sagen: „Stop building – hört<br />

auf zu bauen!“<br />

Der erste Ansatz, um radikal über neue Architektur<br />

nachzudenken, ist die Frage: Warum<br />

bauen wir? Und da kann die Antwort ja<br />

nicht lauten, weil alle anderen es auch tun.<br />

Da kommt man mit Unvernunft viel näher<br />

an den Sinn der Frage.<br />

Sehen sie eine Krise, die uns zum<br />

Umdenken zwingt, auch in der Architektur?<br />

Ich sehe sie, aber noch zu wenig. Ich sehe<br />

sie dort, wo die Besitzverhältnisse (Büroarchitektur)<br />

nicht mehr so im Vordergrund<br />

stehen. Das Eckbüro hat nicht nur an Status<br />

eingebüßt, sondern löst, vor allem bei jungen<br />

Menschen, sogar das Gegenteil aus.<br />

Wir müssen heute anerkennen, dass wir die<br />

Veränderungen in der Welt ausgelöst haben,<br />

und dass wir uns verändern müssen, damit<br />

wir nicht vom Aussterben bedroht sind.<br />

Manchmal braucht es wahrscheinlich krisenhafte<br />

Situationen, um uns unserer Veränderungsbereitschaft<br />

bewusst zu werden.<br />

Eine Tatsache ist, dass wir mit Migration<br />

zu tun haben und um passende Lösungen<br />

ringen. Diese Entwicklung wird an Dynamik<br />

noch zunehmen, wenn das Klima uns um die<br />

Ohren fliegt, die Klimaflüchtlinge werden<br />

deutlich mehr werden. Vielleicht braucht<br />

es das, um uns die Konsequenzen unseres<br />

Handelns bewusst zu machen.

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