20.11.2019 Aufrufe

Berliner Zeitung 19.11.2019

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 269 · D ienstag, 19. November 2019 11 *<br />

·························································································································································································································································································<br />

Berlin<br />

Der offene Vollzug für Sicherungsverwahrte soll in der Seidelstraße 34 eingerichtet werden –außerhalb der Gefängnismauer der JVATegel. Der Umbau soll Ende 2020 abgeschlossen werden und bis zu zwei Millionen Euro kosten.<br />

MARKUS WÄCHTER/BLZ<br />

Die Sorge bleibt<br />

Die Justizverwaltung informiert Anwohner über den geplanten offenen Vollzug für Sicherungsverwahrte. Die Ängste aber kann sie den meisten nicht nehmen<br />

VonAnnika Leister<br />

Etwa 200 Einladungen wurden<br />

verteilt, rund 100 Anwohner<br />

meldeten sich an:<br />

Das Interesse der Nachbarn<br />

ander Info-Veranstaltung zum<br />

geplanten offenen Vollzug für Sicherungsverwahrte<br />

in Tegel war groß.<br />

Am Montagabend nahmen Rentner,<br />

junge Paare und besorgte Eltern im<br />

Kulturraum der Justizvollzugsanstalt<br />

Tegel Platz. Für viele war es die erste<br />

Info-Veranstaltung zu dem Thema<br />

überhaupt, sie hatten bisher nur aus<br />

den Medien und von Nachbarn von<br />

dem Vorhaben erfahren. Zumersten<br />

Info-Abend im April waren lediglich<br />

die Bewohner der Dienstgebäude in<br />

der Seidelstraße eingeladen. Dieses<br />

Malwurden die Einladungen auch in<br />

den anliegenden Seitenstraßen verteilt.<br />

Das Vorhaben polarisiert und ist<br />

besonders den direkten Anwohnern<br />

nur schwer zu vermitteln: Ab 2020<br />

will die Senatsverwaltung ein ehemaliges<br />

Dienstgebäude in der Nähe<br />

der JVATegel zu einem offenen Vollzug<br />

für Sicherungsverwahrte umbauen.<br />

Nach dem Umbau, der ein<br />

bis zwei Millionen Euro kosten und<br />

Ende 2020 oder Anfang 2021 abgeschlossen<br />

sein soll, werden die Bewohner<br />

der Seidelstraße dann Tür an<br />

Tür mit jenen leben, die ein Gericht<br />

eigentlich als so gefährlich eingestuft<br />

hat, dass sie auch nach Verbüßen ihrer<br />

Haftstrafe hinter Gittern bleiben<br />

müssen.<br />

Doch auch die Sicherungsverwahrung<br />

ist nicht darauf ausgelegt,<br />

einen Menschen für immer hinter<br />

Gittern zuhalten. Auch jetzt schon<br />

werden Sicherungsverwahrte nach<br />

günstigen Gutachten und vorbildlichem<br />

Verhalten erst Lockerungen<br />

und dann Ausgänge gewährt. Bewähren<br />

sie sich weiterhin, werden<br />

sie auch heute schon entlassen –15<br />

Menschen kamen seit 2015 so aus<br />

der Sicherungsverwahrung frei. Allerdings<br />

ohne Vorbereitung auf das<br />

Leben in Freiheit im offenen Vollzug.<br />

Das kritisierte das Bundesverfassungsgericht.<br />

Berlin hat sich aufWeisung<br />

des höchsten deutschen Gerichts<br />

2013 –noch unter einem von<br />

SPD und CDU geführten Senat –<br />

dazu verpflichtet, den offenen Vollzug<br />

für Schwerstverbrecher einzuführen.<br />

Vermitteln mussten diesesVorhaben<br />

den direkt Betroffenen am Montagabend<br />

Justiz-Staatssekretärin Daniela<br />

Brückner, Martin Riemer, Leiter<br />

der JVATegel, und Kerstin Becker,<br />

„Der Fokus lag von Anfang an nur auf dem<br />

Wohl der Insassen. Ein Schutz der<br />

Bevölkerung findet nicht statt.“<br />

Vater zweier Töchter, Anwohner in Tegel<br />

Leiterin der Sicherungsverwahrung<br />

in Tegel. Einige Sätze wiederholten<br />

sie dabei im Wechsel wie ein Mantra:<br />

Berlin sei zu der Umsetzung des offenen<br />

Vollzugs verpflichtet. Chance<br />

darauf, in den offenen Vollzug zu<br />

kommen, hätten lediglich jene, die<br />

sich bereits als zuverlässig erwiesen<br />

hätten. Jeder Fall werdevon der Aufsicht<br />

der JVA, einem externen Gutachter<br />

sowie der Senatsverwaltung<br />

gründlich geprüft. Das Haus liege<br />

vor den Gefängnismauern, Justizvollzugsbeamten<br />

sollten aber den<br />

Ein- und Ausgang der Sicherungsverwahrten<br />

24 Stunden lang kontrollieren.<br />

Die Fenster im Erdgeschoss<br />

des offenen Vollzugs würden vergittert.<br />

„Überwiegend sind das einzelgängerische<br />

Menschen, die eher zurückgezogen<br />

leben“, sagte JVA-Leiter<br />

Riemer.„Siehaben keine wilden Gartenpartys<br />

zu erwarten.“<br />

Wilde Gartenpartys allerdings<br />

sind nicht die Befürchtung der An-<br />

wohner. Die meisten fürchten ihre<br />

neuen Nachbarn. Ob es Statistiken<br />

darüber gebe, wie treffsicher die<br />

Gutachten sind? Wie hoch die Rückfallquote<br />

ist? Becker weiß vonnur einer<br />

Person seit 2013, die ohneVorbereitung<br />

in Freiheit kam, rückfällig<br />

wurde und inzwischen wieder in<br />

Haft sitzt. „Aber natürlich können<br />

wir den Menschen nicht in den Kopf<br />

gucken.“<br />

Eine Mutter mit zwei Töchtern,<br />

acht und 13 Jahrealt, fragt, ob sie ihre<br />

Kinder noch alleine an dem Haus<br />

vorbei zur Schule schicken könne?<br />

Und will auch wissen, weshalb die<br />

Sicherungsverwahrten überhaupt<br />

verurteilt worden sind? „DieseWahrheit<br />

kann ich ihnen nicht ersparen“,<br />

sagt Becker.„Zwei Drittel sind Sexualstraftäter.“<br />

Siewiederholt, dass das<br />

Prozederehin zu Lockerungen für Sicherungsverwahrte<br />

lang und komplex<br />

sei. Erklärt, dass zurzeit nur drei<br />

Sicherungsverwahrte in Tegel unbegleitete<br />

Ausgänge machen dürfen<br />

und damit überhaupt in Frage kommen<br />

für den offenen Vollzug. „Die<br />

drei sind alte Männer, über 60, körperlich<br />

krank, sie wollen in Freiheit<br />

leben“, sagt Becker. Und: „Diese<br />

Männer werden entlassen, so oder<br />

so. Wir wollen sie nur besser darauf<br />

vorbereiten.“<br />

Die Meinungen unter den Anwohnern<br />

gehen nach der Veranstaltung<br />

auseinander. Inder Unterzahl<br />

sind eindeutig Menschen wie Jörg<br />

Klauck, der die Transparenz der Verwaltung<br />

lobt und den offenen Vollzug<br />

lieber hier in der Nähe der Therapiezentren<br />

und der gewohnten<br />

Umgebung hätte. „Hier ist die Kontrolle<br />

hoch, das ist doch gut.“<br />

Den meisten Anwohnern aber<br />

geht es wie dem Ehepaar mit den<br />

zwei Töchtern, die bald wohl nicht<br />

mehr alleine zur Schule laufen werden.<br />

Auf die Frage, obdie Veranstaltung<br />

sie weitergebracht habe, lachen<br />

sie nur.„DerFokus lag vonAnfang an<br />

nur auf den Insassen“, sagen sie,„ein<br />

Schutz der Bevölkerung findet nicht<br />

statt.“ Die Antworten an diesem<br />

Abend seien sehr politisch gewesen,<br />

„hohle Phraseologie“. Wasfür sie zu<br />

kurz komme: Nicht nur der Sicherungsverwahrte<br />

habe Anrecht auf<br />

Freiheit. „Unsere Kinder haben ein<br />

Anrecht auf ein unversehrtes Leben.“<br />

Wellenreiten auf fünf Fußballfeldern<br />

Eirik Randow möchte gemeinsam mit Freunden in den kommenden Jahren einen Surfpark errichten. Ein Investor ist schon gefunden<br />

VonFlorian Thalmann<br />

Wer schon einmal auf einem<br />

Surfbrett gestanden hat,<br />

schwärmt von den riesigen Wellen,<br />

vom Wind in den Haaren, vom Gefühl<br />

der Freiheit, vomAdrenalin, das<br />

den Körper durchflutet. Als Eirik<br />

Randow zum ersten Mal auf dem<br />

Brett stand und eineWelle erwischte,<br />

wurde auch er gepackt. „Es war in<br />

Santa Cruz in Kalifornien“, sagt er.<br />

„Und danach war mein Schicksal besiegelt.<br />

Ichwusste: Wellenreiten wird<br />

in der Zukunft die Weichen in meinem<br />

Leben stellen.“ Schon als Kind<br />

sei er zum Windsurfen gegangen,<br />

sein Vater habe ihn im Alter von vier<br />

Jahren erstmals auf ein Brett gestellt.<br />

Aber dann, während eines Schüleraustauschs<br />

im Alter von 15Jahren,<br />

kam er in Amerika zu einer Familie,<br />

in deren Leben das Surfen große Bedeutung<br />

hatte.„Also ging ich mit –es<br />

hat mich nicht mehr losgelassen.“<br />

Das Feuer war entfacht. Heute<br />

will der 30-Jährige dieses unbeschreibliche<br />

Gefühl auch anderen<br />

Menschen zugänglich machen. Auf<br />

einem ungewöhnlichen Weg: Mit einem<br />

Team aus Freunden will er in<br />

den kommenden Jahren einen Park<br />

zum Wellenreiten eröffnen. Bis zu<br />

sechs Hektar groß soll das Gelände<br />

sein, das Randows Start-up „Surf<br />

Era“ entwickeln will. Kernelement:<br />

Ein150 mal 150 Meter großes Becken<br />

zum Surfen, mehr als fünf Fußballfelder<br />

groß, mit einer Technologie,<br />

die Wellen unterschiedlicher Höhe,<br />

Frequenz und Intensität erzeugt. Mit<br />

einem sonnendurchlässigen, einund<br />

ausfahrbaren Dach, das das Surfen<br />

auch im Winter möglich macht.<br />

Ringsumher Platz für Restaurants,<br />

Läden und Wellnessangebote, „ein<br />

Sport- und Erholungszentrum“,<br />

schwärmt Randow. Nach ersten<br />

Hochrechnungen könnte das rund<br />

36 Millionen Euro kosten.<br />

Am besten im Südosten<br />

Es hört sich verrückt an, aber wer<br />

Randowund sein Team in ihrem PlanungsbüroinAdlershof<br />

besucht, der<br />

bemerkt sofort, dass das Projekt<br />

Surfpark nicht nur ein Hirngespinst<br />

ist. Überall hängen Visualisierungen<br />

und Architekturmodelle.„Wir konnten<br />

sogar einen Projektentwickler für<br />

den Plan begeistern, der den Park finanzieren<br />

würde“, sagt Randow.<br />

„Aktuell suchen wir nach einem<br />

Grundstück. Wir haben schon eine<br />

Idee und sind in Gesprächen und<br />

Verhandlungen.“ Wo sich der Park<br />

genau befinden soll, verrät er nicht.<br />

Nur, dass er im Idealfall im Südosten<br />

Eirik Randow mit einem Modell –sokönnte der Park aussehen.<br />

Berlins liegen könnte und somit in<br />

einer halben Stunde vom Zentrum<br />

aus erreichbar wäre.<br />

Wie aber kommt man auf so eine<br />

Idee? Randow studierte Sport und<br />

BWL, wollte beides kombinieren –<br />

und verfolgte mit Begeisterung das<br />

Vorhaben von 2013, das einen Surfpark<br />

für das Tempelhofer Feld vorsah.<br />

Im Zuge der Bebauungs-De-<br />

SABINE GUDATH<br />

batte wurde der Plan gekippt. „Also<br />

dachte ich: Dann mache ich es<br />

selbst.“ Nach und nach versammelte<br />

er Studienkollegen und Freunde um<br />

sich, stellte ein Team zusammen, gemeinsam<br />

starteten sie in die Planung.<br />

Besonderen Wert wollen Randow<br />

und sein Team auf Nachhaltigkeit<br />

legen. Allein die Technik für die<br />

Wellen verbraucht pro Jahr so viel<br />

Strom wie 400 Einfamilienhäuser.<br />

DerParksoll aber so konstruiertsein,<br />

dass er mit regenerativen Energiesystemen<br />

seinen eigenen Strom erzeugt.<br />

7000 Quadratmeter Solaranlagen<br />

sollen dafür sorgen, auf dem<br />

Dach und an den Wänden. Im Netz<br />

informiert das Team auf der Internetseite<br />

surf-era.com über den Planungsstand,<br />

für die laufende Feinplanung<br />

läuft zudem eine Crowdfunding-Kampagne<br />

auf Startnext,<br />

bei der Surf-Fans aus der ganzen<br />

Welt spenden können – mehr als<br />

31000 Euro kamen hier bisher zusammen.<br />

Jetzt olympische Disziplin<br />

Mit der Idee sind Randow und sein<br />

Team nicht allein – im Gegenteil.<br />

„Wir sind Teil eines weltweiten<br />

Trends, denn der Surfsport wird populärer“,<br />

sagt er. Grund könne sein,<br />

dass das Wellenreiten zur olympischen<br />

Disziplin ernannt wurde, bei<br />

den Sommerspielen in Tokio wird<br />

erstmals ein Wettkampf im Surfen<br />

ausgetragen. Richtige Surfparks mit<br />

Wellen-Pools gibt es aber selten.<br />

„Momentan sind sie bereits in Wales,<br />

Kalifornien und Texas zu finden, es<br />

sind aber eine Vielzahl internationaler<br />

Anlagen in Planung.“ Für die<br />

rund 500 000 Wellenreiter,die es laut<br />

Statistik in Deutschland gibt, ist aber<br />

kaum Infrastruktur vorhanden. In<br />

Berlin wirdesdemnächst zumindest<br />

eine kleine Anlage geben: Noch in<br />

diesem Jahr soll in Lichtenberg das<br />

„Wellenwerk“ entstehen, einWellenbecken<br />

für Surfer. Inder Landsberger<br />

Allee wurde dafür lange gebaut,<br />

am Freitag wird hier Teileröffnung<br />

des Wellen-Bereichs gefeiert. In den<br />

kommenden Monaten sollen Surfbrett-Werkstatt,<br />

Bar, Restaurant und<br />

Biergarten folgen.<br />

Trotz des Konkurrenzprojekts<br />

glaubt Randow daran, dass es auch<br />

für seinen Surfpark noch genug Potenzial<br />

gibt.„Mit mehr als 3,1 Millionen<br />

Einwohnern imAlter zwischen<br />

15 und 65 Jahren bietet die Metropolregion<br />

ein enormes Besucherpotenzial“,<br />

heißt es in seinem Konzept.<br />

„Hinzu kommen die rund 13<br />

Millionen Touristen, die Berlin pro<br />

Jahr besuchen.“<br />

Einsolcher Park passe zudem zur<br />

Vielschichtigkeit Berlins, könne sogar<br />

in der sozialen Arbeit eingesetzt<br />

werden, beispielsweise bei der Arbeit<br />

mit Jugendlichen und Integrationsprojekten.<br />

Und der Park könnte<br />

nach Randows Ansicht eine Landmarke<br />

werden: „Das 50 Meter hohe<br />

Dach wäre ein neues Wahrzeichen<br />

für Berlin.“

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!