Berliner Zeitung 19.11.2019
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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 269 · D ienstag, 19. November 2019 – S eite 9 *<br />
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Berlin<br />
Welchen Einfluss die<br />
Schwiegereltern<br />
auf die Darmflora<br />
haben können<br />
Seite 16<br />
Auf dem Brett: <strong>Berliner</strong> Wellenreiter will einen Surfpark errichten Seite 11<br />
Auf dem Sattel: In Potsdam geht ein kostenloser Verleih für Transporträder an den Start Seite 15<br />
Stadtbild<br />
Zweifel und<br />
Verzweiflung<br />
Susanne Dübber<br />
will klären, ob Weihnachten<br />
Fleisch serviertwird.<br />
Als Vorbereitung auf Weihnachten<br />
diskutierten Freunde und ich<br />
über die Speisekarte.Erstmals dachten<br />
wir von der Fleischfresser-Fraktion<br />
über ein veganes Festmahl<br />
nach. Mit überraschend großem<br />
Protest reagierte die Tierschutz-<br />
Fraktion unter uns.Jetzt bin ich enttäuscht,<br />
zweifele, dass unsere Entscheidung<br />
wirklich richtig ist.<br />
Wir wollten endlich gute Menschen<br />
werden und nun nehmen uns<br />
die anderen die Chance dazu. Jahrelang<br />
war es hin und her gegangen,<br />
Fleisch in Form von Gänse- und Entenkeulen<br />
stand immer auf dem<br />
Tisch. Die Tierschutz-Fraktion hatte<br />
dies wie ein Ritual erst kritisiert und<br />
danach tüchtig zugelangt. Uns<br />
Fleischfressern aber hatten die jahrelangen<br />
Vorwürfe, für unseren persönlichen<br />
Vorteil unschuldige Lebewesen<br />
zu töten, zugesetzt und ins<br />
Herz geschnitten. Endlich wollten<br />
wir klar Tisch machen. Aber weiter<br />
sitzt der Zweifel mit am Tisch und<br />
wenn er da bleibt, wird erzuVerzweiflung.<br />
So geht es mir auch bei anderen<br />
Lebensfragen. Die leidige Umwelt-<br />
Diskussion: Küchenpapier gegen<br />
waschbare Küchenlappen, Spülmaschine<br />
oder per Hand, nie wieder<br />
Ausland, weil nie wieder fliegen? Wie<br />
mache ich es richtig, ist die Frage.<br />
Stellt man diese anderen, endet das<br />
Gespräch auch nicht hundertprozentig<br />
schlauer. Nicht alleine mit<br />
Problemen zu sein, beruhigt mich<br />
nicht. Hatman die eine Antwortund<br />
will sie festhalten, flutscht sie einem<br />
wegwie ein glatter Aal aus den Händen<br />
und die andereAntwortruft: Ich<br />
bin die richtige.<br />
Zweifeln und Zaudern auszuhalten<br />
ist schwer, man sehnt sich nach<br />
Erlösung, nach der richtigen Entscheidung.<br />
Verdrängung bringt auch<br />
nicht weiter. Eine unaufgearbeitete<br />
Geschichte, ein nicht bis zu Ende<br />
durchdachter Entschluss quälen womöglich<br />
ein Leben lang. Also muss<br />
man einen Schlussstrich ziehen. Das<br />
taten wir von der Fleischfresser-<br />
Fraktion nach dem ersten Erstaunen<br />
dann. Weihnachten werden wir wie<br />
gehabt Fleisch verzehren. Aber den<br />
Wurstkonsum wollen wir weiterhin<br />
starkeinschränken, auch an den anderen<br />
364 Tagen im Jahr. Bewusster<br />
genießen ist unser Ziel.<br />
Denn gesund wollen wir leben.<br />
Für die Zigarette, die wir uns ab und<br />
zu noch gönnen, gehen wir auf den<br />
Balkon, ins Kalte. Bibbernd inhalieren<br />
wir das Nikotin –nicht wirklich<br />
ein Genuss. Durch Bestrafung wird<br />
Unerlaubtes möglich. Aber das ist<br />
ein anderes Kapitel.<br />
Ferdervieh mit ungewisser Zukunft.<br />
IMAGO<br />
Immer wieder kommt es an der deutsch-polnischen Grenze zu einem Großeinsatz gegen international agierende Autoschieber-Banden.<br />
Dicke Pistolen und fette Gewinne<br />
VonKatrin Bischoff<br />
Die Angeklagten, die sich<br />
derzeit vor der 11. Großen<br />
Strafkammer des<br />
<strong>Berliner</strong> Landgerichts<br />
wegen gewerbsmäßiger Bandenhehlerei,<br />
Urkundenfälschung und Bandendiebstahls<br />
verantworten müssen,<br />
kommen aus ganz unterschiedlichen<br />
Ländern. Aus Polen, den baltischen<br />
Staaten, dem Libanon und Jordanien.<br />
Es handelt sich um eine mutmaßlich<br />
international agierende Autoschieber-Bande,die<br />
gestohlene Fahrzeuge<br />
bis nach Afrika gebracht haben soll.<br />
Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen<br />
insgesamt 120 Straftaten vor. Auch<br />
ein Deutscher ist unter den Angeklagten:<br />
Rolf L., ein Beamter der <strong>Berliner</strong><br />
Polizei. Er ist wegen Bestechlichkeit<br />
angeklagt.<br />
Die Männer gehören zu den 767<br />
Tatverdächtigen, die die Ermittler des<br />
Projektes Limes identifiziert haben.<br />
Im Fokus der Arbeit dieses seit Anfang<br />
2017 durch die Europäische Union<br />
geförderten Projektes standen international<br />
agierende Autoschieberbanden<br />
und Mitglieder der sogenannten<br />
Russenmafia. Ermittler der Landeskriminalämter<br />
Berlins, Brandenburgs,<br />
Sachsen-Anhalts, Sachsens<br />
und sechs osteuropäischer Länder<br />
sowie Europol waren daran beteiligt.<br />
Berlin ist noch immer Hotspot<br />
Polizei-Projekt Limes macht europaweit Jagd auf organisierte Banden<br />
88<br />
Banden der Organisierten<br />
Kriminalität sind identifiziert<br />
500 000 Euro steuerte die EU für das<br />
Polizeiprojekt Limes bei –das Geld<br />
wurde vor allem für Reisekosten der<br />
ermittelnden Beamten und die technische<br />
Ausstattung für die Ermittlungen<br />
–etwa für den Kauf vonGPS-<br />
Sendern –verwendet. Geld, das offenbar<br />
gut angelegt war.<br />
DieArbeit vonLimes –dem europaweiten<br />
Polizeinetzwerk–habe auf<br />
beeindruckende Weise gezeigt, welche<br />
Erfolge es bei grenzüberschreitender<br />
Zusammenarbeit beim<br />
Kampf gegen die Organisierte Kriminalität<br />
geben könne, sagte Polizeipräsidentin<br />
BarbaraSlowik am Montag<br />
zu dem nun ausgelaufenen Projekt.<br />
Gegründet wurden unter anderemgemeinsame<br />
Ermittlungsteams,<br />
der kurze Dienstweg machte Schule.<br />
Deutsche Polizeibeamte und Staatsanwälte<br />
waren bei Durchsuchungen<br />
in osteuropäischen Länderndabei.<br />
Seit Anfang 2017 bis zum Ende<br />
des Projekts Ende September dieses<br />
Jahres wurden 2255 Ermittlungsverfahren<br />
eingeleitet, gegen 243 der insgesamt<br />
354 festgenommenen Personen<br />
Haftbefehle erlassen. Zudem<br />
wurden 425 Wohnungen, Lagerhallen<br />
und andere Räumlichkeiten<br />
durchsucht. DieSchadenshöhe wird<br />
auf fast 60 Millionen Euro beziffert.<br />
Berlin ist noch immer ein Hotspot<br />
für Autodiebe.3813 Pkw verschwanden<br />
im vergangenen Jahr auf Nimmerwiedersehen.<br />
Zwar sind das laut<br />
Statistik des Bundeskriminalamtes<br />
17,5 Prozent weniger als im Jahr zuvor.<br />
Für den Rückgang machen die<br />
Ermittler vor allem das Projekt Limes,<br />
die grenzübergreifende<br />
schnelle Zusammenarbeit, verantwortlich.<br />
Doch noch immer schlagen<br />
Diebesbanden nirgendwo sonst<br />
in Deutschland so häufig zu wie in<br />
ERFOLGE SEIT 2017<br />
2255<br />
Ermittlungsverfahren gabes<br />
durch die Arbeit vonLimes<br />
Bei der Fahndung sichergestellt: Waffen und Handgranaten.<br />
94<br />
Hintermänner<br />
kamen in Haft<br />
DPA/PAUL ZINKEN<br />
DPA/ARNO BURGI<br />
der Hauptstadt. Vorallem Mercedes-<br />
Fahrzeuge stehen hoch im Kurs. Im<br />
Kommen seien derzeit auch japanische<br />
Autos.<br />
„In Berlin haben wir eine große<br />
Auswahl von Autos jedweder Art auf<br />
der Straße stehen –wie in einer Auslage“,<br />
sagte Thomas Susebach, Kommissariatsleiter<br />
für organisierte internationale<br />
Autoverschiebung und Leiter<br />
des Limes-Projektes.Zubeachten<br />
seizudem die Nähe zu Polen, die offenen<br />
Grenzen. Noch bevor der „typische<br />
<strong>Berliner</strong> Geschädigte“ überhaupt<br />
wisse, dass sein Auto entwendet<br />
worden sei, werde esimAusland<br />
bereits in seine Einzelteile zerlegt.<br />
Die meist aus osteuropäischen<br />
Ländernstammenden Täter sind laut<br />
Susebach hochprofessionell in Banden<br />
organisiert, und gerade das habe<br />
eine grenzübergreifende Zusammenarbeit<br />
mit den Kollegen dortnotwendig<br />
gemacht. Demnachreisendie Täter<br />
immer nur für kurze Zeit nach Berlin.<br />
Sie bevorzugen Fahrzeuge der<br />
MarkeMercedesmit Keyless-Go-System<br />
und benutzen zum Öffnen und<br />
Startender Wagen sogenannte Funkstreckenverlängerer.<br />
In einer Nacht<br />
klauen sie so bis zu zehn hochwertige<br />
Limousinen. DieAutos werden meist<br />
irgendwo in Berlin abgestellt und von<br />
Kurierfahrern abgeholt. Dann fahren<br />
dieKuriere mitden gestohlenen Pkw<br />
Pilotfahrzeugen hinterher, deren<br />
Fahrer vorPolizeikontrollen warnt.<br />
Durch die gemeinsame Ermittlungsarbeit<br />
bei Limes stießen die<br />
Fahnder auf insgesamt 88 Gruppierungen<br />
der Organisierten Kriminalität.<br />
Dabei wurden 182 Hintermänner<br />
ermittelt, 94 davon verhaftet.<br />
Bisher gabes47Verurteilungen, weitere<br />
sollen folgen. Bei den Festnahmen<br />
wurden vielfach auch Drogen<br />
sichergestellt –häufig im zweistelligen<br />
Kilo-Bereich. Zudemstellten die<br />
Fahnder 33 Waffen, darunter Maschinenpistolen<br />
undHandgranaten,<br />
beiden Autodieben oder derenHintermännernsicher.<br />
Es geht um Milliardengewinne<br />
Auch aus europäischer Sicht sei der<br />
Erfolg der Limes-Ermittlungen beeindruckend,<br />
sagte MichaelWillvon<br />
Europol. Vonder Organisierten Kriminalität<br />
seijedeseuropäische Land<br />
betroffen. Nach seinen Worten gehe<br />
es bei dieser Art der Verbrechen um<br />
Milliardengewinne. Jedoch werde<br />
nurein Prozentdieser Gewinne konfisziert.<br />
Das Instrument der Vermögensabschöpfung<br />
sei nicht scharf<br />
genug oder werde zu selten angewandt,<br />
sagte Will.<br />
Die Arbeit, die mit Limes begonnen<br />
hat, soll weitergehen. Sie werde<br />
jedoch erschwert, falls das Projekt<br />
nicht auf andere Weise finanziert<br />
werde, sagte Thomas Susebach.Man<br />
habe sich damals nach einer Förderung<br />
durch die EU bewusst und gewollt<br />
umgeschaut, weil man bei den<br />
Ermittlungen zur Organisierten Kriminalität<br />
Defizite erkannt hatte.<br />
Katrin Bischoff<br />
hofft, dass das Limes-Projekt<br />
weiterfinanziertwird<br />
NACHRICHTEN<br />
Deutsche Wohnen geht<br />
gegen Millionen-Bußgeld vor<br />
DasImmobilienunternehmen Deutsche<br />
Wohnen hat Widerspruch gegen<br />
den Bußgeldbescheid in Millionenhöhe<br />
eingelegt, den die <strong>Berliner</strong><br />
Datenschutzbeauftragte erlassen<br />
hatte.Nach Angaben der Datenschützer<br />
vonAnfang November warenimArchiv<br />
des Unternehmens<br />
zum Teil Jahrealte persönliche Daten<br />
vonMieterinnen und Mietern<br />
einsehbar,darunter Sozial- und<br />
Krankenversicherungsdaten, Arbeitsverträge<br />
sowie Informationen<br />
über ihrefinanziellen Verhältnissen.<br />
DasBußgeld beläuft sich auf<br />
14,5 Millionen Euro.Dagegen habe<br />
die Deutsche Wohnen inzwischen<br />
Widerspruch erhoben, sagte ein Firmen-Sprecher<br />
am Montag. Dievorgeschriebene<br />
Zwei-Wochen-Frist sei<br />
damit eingehalten worden. (dpa)<br />
Polizei ertappt in einer<br />
Woche 8316 Parksünder<br />
Beider gemeinsamen Aktion vonPolizei,<br />
BVGund Ordnungsämter gegen<br />
Parksünder in der vergangenen<br />
Woche wurden 8316Verstöße festgestellt.<br />
Dashat die Polizei am Montag<br />
bekannt gegeben. In 449 Fällen wurden<br />
demnach Fahrzeuge abgeschleppt.<br />
Davonstanden 166 Fahrzeuge<br />
verbotenerweise auf Busspurenund<br />
behinderten somit den Verkehr.Die<br />
Streifen waren vonMontag<br />
bis Freitag auf 380 verkehrsbelasteten<br />
Straßen unterwegs. (ls.)<br />
Prozess um möglichen<br />
Ärztepfusch verschoben<br />
EinProzess gegen eine Ärztin, die<br />
durch einen Behandlungsfehler den<br />
Todeiner 80 Jahrealten Patientin<br />
verschuldet haben soll, ist auf den<br />
29. Januar 2020 verschoben worden.<br />
Dasteilte die Gerichtspressestelle<br />
am Montag mit. Ursprünglich sollte<br />
es an diesem Tagzur Verhandlung<br />
vordem Amtsgericht Tiergarten<br />
kommen. Der42-Jährigen wirdfahrlässige<br />
Tötung bei einer Operation<br />
im November 2015 durch ein nicht<br />
fachgerechtes Legen eines Katheters<br />
zur Last gelegt. DieAngeklagte habe<br />
laut Ermittlungen mit dem Führungsdraht<br />
des Katheters das Rippenfell<br />
durchstoßen und so Blutungenausgelöst,andenen<br />
die Geschädigte<br />
gestorben sein soll. (dpa)<br />
Bosch-Beschäftigte bangen<br />
um ihre Arbeitsplätze<br />
Mehr als 100 Beschäftigte des Autozulieferers<br />
Bosch in Reinickendorf<br />
fürchten um ihreArbeitsplätze. Nach<br />
Angaben der Gewerkschaft IG Metall<br />
vomMontag drohen Kündigungen.<br />
„Wenn jeder vierte oder fünfte Beschäftigte<br />
rausgeworfen werden soll,<br />
dann ist das ein Kahlschlag ohnegleichen“,<br />
kritisierte Betriebsratschefin<br />
Nicole Bock. Die530 Beschäftigten<br />
in Reinickendorfstellen Getriebepumpen<br />
sowie Hydraulikpumpen<br />
für Servolenkungen her.<br />
Nach Unternehmensangaben setzenAutohersteller<br />
aber immer stärker<br />
darauf, Lenkungen durch Elektromotoren<br />
zu unterstützen. Deshalb<br />
erwägt Bosch auch einen Verkauf<br />
des <strong>Berliner</strong> Werks. Unabhängig<br />
davon müssten 90 Stellen wegfallen,<br />
sagte eine Sprecherin. Ob es Kündigungen<br />
gibt, sei noch offen. „Wir<br />
werden das möglichst sozialverträglich<br />
machen.“ (dpa)