Berliner Zeitung 19.11.2019
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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 269 · D ienstag, 19. November 2019 15 *<br />
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Brandenburg<br />
Erich Benesch ist vor einem Vierteljahrhundertvom Auto aufs Lastenrad umgestiegen.<br />
THOMAS UHLEMANN<br />
Flotte Lasttretwagen<br />
In Potsdam geht ein kostenloser Verleih für Transport-Fahrräder an den Start –binnen kürzester Zeit finden sich zehn Stationen<br />
VonTorsten Müller,Potsdam<br />
Wilma hat einen Platten.<br />
Über die Stirn von<br />
Erich Benesch ziehen<br />
sich ein paar Sorgenfalten.<br />
Der 57-jährige Potsdamer inspiziertauf<br />
dem Hofdes gemeinnützigen<br />
Wohn- und Werkstättenkomplexes„Projekthaus“<br />
in Potsdam-Babelsberg<br />
einen nicht ganz<br />
gewöhnlichen Drahtesel. Wilma ist<br />
ein Lasten-Fahrrad der neu gegründeten<br />
„Flotte Potsdam“ –eines offenen<br />
und kostenlosen Verleihsystems<br />
für Transportvelos. „Da hat es wohl<br />
jemand etwas übertrieben mit seiner<br />
Ladung“, sagt der Mitbegründer des<br />
Netzwerkes. „Das sind die Tücken<br />
des Alltags,auf die wir uns einstellen<br />
müssen.“<br />
Workshops im Angebot<br />
Wilma muss so schnell wie möglich<br />
in die Werkstatt, denn die „Lasttretwagen“,<br />
wie Erich Benesch die klimafreundlichen<br />
Transporter nennt,<br />
sind mittlerweile sehr begehrtinder<br />
Landeshauptstadt.<br />
Knapp zehn Verleihstationen haben<br />
sich binnen kürzester Zeit der<br />
Initiative angeschlossen. Stadtteilund<br />
Begegnungszentren, Bürgerhäuser,<br />
die Fachhochschule, ein<br />
Fahrradparkhaus und ein Lebensmittelmarkt<br />
machen mit. Die einen<br />
haben die Räder selber gekauft wie<br />
der Bio-Supermarkt am Bassinplatz.<br />
Dort wartet Fritz auf seine Kundschaft<br />
–jedes Flotte-Rad hat seinen<br />
eigenen Namen.„Das ist mindestens<br />
zwei-, dreimal die Woche unterwegs“,<br />
sagt der zuständige Mitarbeiter<br />
Felix Rostock. „Die Leute packen<br />
ihren Einkauf rein. Sieholen sich das<br />
Rad aber auch gern für Fahrten zum<br />
Baumarkt oder Ausflüge mit den<br />
Kids am Wochenende.“<br />
Andere Verleiher –vor allem die<br />
gemeinnützigen Einrichtungen –<br />
haben Potsdamer Eigenkreationen<br />
im Angebot, die in zahlreichen Lastenrad-Workshops<br />
des „Projekthauses“<br />
entstanden sind. Die wurden<br />
dortvor gut fünf Jahren vomRadenthusiasten<br />
Erich Benesch zusammen<br />
mit dem Hamburger Ingenieur<br />
Till Wolfer ins Leben gerufen. Der<br />
Designer hat unter dem Logo xyzcargo<br />
Selbstbausätze für verschiedenste<br />
Radtypen entwickelt. „Die<br />
sind stabil, geprüft und im öffentlichen<br />
Verkehr zugelassen“, sagt Erich<br />
Benesch. „Und sie sind gut für die<br />
Projektarbeit mit den verschiedensten<br />
Gruppen geeignet.“<br />
Dergelernte Journalist entwickelt<br />
und betreut seit vielen Jahren als<br />
freier Medienpädagoge soziale und<br />
ökologische Kursangebote für alle<br />
Altersklassen und Bevölkerungsschichten.<br />
„Der Lastenradbau fing<br />
Potsdam: Die Flotte wird<br />
vomVerein Inwole koordiniert.<br />
Er ist Träger des<br />
Projekthauses Potsdam (Rudolf-Breitscheid-Str.164<br />
in<br />
Babelsberg). Mittwochs gibt<br />
auch eine Offene Fahrradwerkstatt<br />
von15bis 19 Uhr.<br />
Bei Workshops werden gemeinsam<br />
Räder gebaut. In<br />
den nächsten Wochen werden<br />
weitere Räder an Verleihstationen<br />
übergeben.<br />
Infos: www.projekthauspotsdam.de<br />
mit einem Schul-Workshop an“, erinnert<br />
ersich. „Die, die damals mit<br />
geschraubt haben, sind heute übrigens<br />
noch mit demselbenVehikel bei<br />
Fridays for Futuremit unterwegs.“<br />
Mittlerweile hat er auch mit Senioren,<br />
mit Flüchtlingen, mit Studenten<br />
oder anderen, bunt zusammengewürfelten<br />
Gruppen zahlreiche<br />
weitere Modelle ins Rollen gebracht.<br />
„Beim Tüfteln kommt man<br />
ins Gespräch“, sagt er. Denn Erich<br />
DIE IDEE<br />
Berlin: In der Bundeshauptstadt<br />
betreut der ADFC, der<br />
Allgemeine Deutsche Fahrrad<br />
Club,das Netzwerk namens<br />
„fLotte“. Dortstehen<br />
aktuell mehr als 70 Räder<br />
zur Verfügung.Seit dem Start<br />
des kostenloses Verleihs im<br />
Januar 2018 wurden in der<br />
Hauptstadt 135000 Kilometer<br />
mit den geliehenen Transport-Bikes<br />
zurückgelegt. Das<br />
entspricht allein drei Erdumrundungen.<br />
Infos:<br />
www.flotte-berlin.de<br />
Brandenburg/Havel: Die<br />
Stadt entwickelt eine „Arbeitsgruppe<br />
Lastenrad“ derzeit<br />
ein eigenes Verleihsystem.<br />
Freie Lastenräder können<br />
mittlerweile in mehr als<br />
50 deutschen Städten ausgeliehen<br />
werden. Die Initiativenhaben<br />
sich zu einer<br />
Plattformzusammengeschlossen.<br />
Dortgibt es auch<br />
Tipps und Erfahrungsberichte<br />
zum Aufbau vonMietstationen.<br />
Infos:<br />
www.dein-lastenrad.de<br />
Benesch hat eine Botschaft. Er will<br />
mit seinem Lastenrad-Engagement<br />
ganz bewusst für eine Verkehrswende<br />
in der Stadt werben.<br />
Selber ist er schon seit mehr als<br />
30 Jahren mit einem schnittigen<br />
Cargo-Treter namens Filibus auf<br />
Achse. „Man kann das Auto locker<br />
auch für größere Einkäufe und<br />
Spritztouren mit den Kindern ersetzen“,<br />
sagt er aus eigener Erfahrung.<br />
Im Angebot der Potsdamer Flotte<br />
gibt es das Dreirad mit und ohne<br />
Sitzmöglichkeiten, das sicher auf<br />
dem Geläuf liegt, aber etwas behäbiger<br />
zu handhaben ist. Die, die<br />
gern aufs Tempo drücken, können<br />
auch auf schlanke, wendige Zweiräder<br />
steigen. Alle Exemplare, die<br />
in der Regel für rund 150 Kilogramm<br />
Last zusätzlich zum Fahrer<br />
ausgelegt sind, sollen noch in diesem<br />
Monat online unter<br />
www.flotte-potsdam.de gebucht<br />
werden können. „Wir können die<br />
Software der bereits bestehenden<br />
Flotte Berlin nutzen“, sagt Erich<br />
Benesch. „Dafür sind wir dankbar.<br />
Die ist übersichtlich und sehr<br />
leicht bedienbar, also warum das<br />
Rad zweimal erfinden.“<br />
Die über das gesamte Stadtgebiet<br />
verteilten Akteure betreiben<br />
das kostenlose „Verleihgeschäft“<br />
sozusagen im Ehrenamt. Die Anschaffung,<br />
Pflege und Reparatur<br />
der Räder erfolgt entweder in Eigeninitiative<br />
wie im Bio-Supermarkt-Markt<br />
am Bassinplatz oder<br />
über die geförderte Workshop-Arbeit.<br />
Deswegen sind die Stationen<br />
auch auf Spenden angewiesen.<br />
Das soll im Grunde auch so bleiben,<br />
geht es den Initiatoren doch<br />
darum, dass sich möglichst viele<br />
Einzelpersonen und auch Institutionen<br />
bewusst für mehr Klimafreundlichkeit<br />
im Alltag einsetzen.<br />
„Wer ein Rad hat und mitmachen<br />
will, ist herzlich willkommen“, sagt<br />
Erich Benesch. Trotzdem soll die<br />
„Flotte Potsdam“ langfristig auf gesicherter,<br />
solider Grundlage rollen<br />
und weiter wachsen. Deswegen bewirbt<br />
sie sich im Rahmen des aktuellen<br />
Bürgerhaushaltes der Stadt um<br />
eine geregelte finanzielle Ausstattung,<br />
mit der sowohl Personal zur<br />
Koordinierung der Arbeit als auch<br />
Material für den Bau weiterer Räder<br />
und ihr Unterhalt bezahlt werden<br />
kann.<br />
Mitviel Eigeninitiative<br />
„Wir wollen und brauchen nicht viel,<br />
denn wir machen das ja aus Überzeugung<br />
und mit viel Eigeninitiative“,<br />
sagt Lastenrad-Pionier Erich<br />
Benesch, „aber im Prinzip entscheiden<br />
die Potsdamer selber<br />
darüber, wie konsequent und professionell<br />
wir das ausbauen können.“<br />
Dann schwingt er sich auf seinen<br />
eigenen zweirädrigen Lastenesel,<br />
der heute mit Mischpult, Boxen<br />
und allerlei weiteren Mediengerätschaften<br />
vollgeladen ist. „Ja,<br />
man kann auch eine ganze mobile<br />
Sendeanstalt bequem auf sein Rad<br />
laden“, sagt er mit einem Lachen<br />
und macht sich auf zum nächsten<br />
Workshop, bei dem es ums Radiomachen<br />
gehen wird.<br />
Kenia-Koalition kann kommen<br />
Nach SPD und CDU stimmt auch die Grünen-Basis für die neue Landesregierung<br />
Zweiter Schweinepest-Fall<br />
Veterinäre stellen Erreger bei totem Wildschwein in der Wojwodschaft Lebus fest<br />
Der Weg für eine Koalition aus<br />
SPD,CDU und Grünen in Brandenburg<br />
ist frei. Die Grünen sprachen<br />
sich in einer Urabstimmung<br />
mit deutlicher Mehrheit für den Koalitionsvertrag<br />
aus,wie die Partei am<br />
Montag mitteilte. Zuvor hatten bereits<br />
Sozial- und Christdemokraten<br />
für ein solches Kenia-Bündnis votiert.<br />
Bei der Befragung der Grünen<br />
machten 58,91 Prozent der<br />
1942 Mitglieder mit, davon stimmten<br />
1007 mit Ja, 74mit Nein. Es gab<br />
28 Enthaltungen und 35 ungültige<br />
Stimmen. Das entspricht einer Zustimmung<br />
von90,8 Prozent. EinParteitag<br />
der Grünen hatte vor rund einer<br />
Woche als eine Art Stimmungstest<br />
mit 81,4 Prozent dafür votiert.<br />
Damit steht nun auch das Personal<br />
der rot-schwarz-grünen Regierung,<br />
die ein rot-rotes Bündnis nach<br />
zehn Jahren ablöst. Die Grünen<br />
stimmten nicht nur über den Koalitionsvertrag<br />
ab, sondern auch über<br />
den Personalvorschlag der Landesspitze:<br />
Ursula Nonnemacher wird<br />
Gesundheits- und Sozialministerin,<br />
Axel Vogel Landwirtschafts- und<br />
Umweltminister. Sie erhielten bei<br />
der Urabstimmung 92,43 Prozent<br />
Zustimmung. DieGrünen stellen damit<br />
zwei der zehn Minister,die CDU<br />
stellt drei, die SPD steuert mit fünf<br />
die meisten Minister bei, dazu<br />
kommt SPD-Ministerpräsident Dietmar<br />
Woidke. Das neue Kabinett ist<br />
weiblicher und jünger als das bisherige.<br />
Die beiden größeren Koalitionspartner<br />
hatten bereits Ja zu dem politischen<br />
Bündnis unter Führung der<br />
SPD gesagt: Beider SPD stimmte ein<br />
Sonderparteitag am Freitag mit über<br />
99 Prozent für den Koalitionsvertrag.<br />
Beider CDU gab ein Landesparteitag<br />
am Sonnabend mit rund 97 Prozent<br />
grünes Licht dafür. Die drei Parteien<br />
wollen den Koalitionsvertrag an diesem<br />
Dienstag besiegeln.<br />
DieKoalition will mehr Polizisten,<br />
Richter und Staatsanwälte einstellen,<br />
Betreuung und Beitragsfreiheit<br />
in Kitas ausbauen und den Klimaschutz<br />
fördern. In der Lausitz soll es<br />
keine neuen Braunkohletagebaue<br />
geben. Geplant ist ein „Zukunftsfonds“<br />
von einer Milliarde Euro für<br />
die nächsten zehn Jahre. (dpa)<br />
Kurznach einem ersten Nachweis<br />
der Afrikanischen Schweinepest<br />
(ASP) nahe der polnischen Grenzezu<br />
Brandenburg haben die Behörden<br />
einen zweiten Fund gemeldet. Der<br />
Erreger sei bei einem weiteren toten<br />
Wildschwein in der Wojwodschaft<br />
Lebus nachgewiesen worden, teilte<br />
der polnische Veterinärdienst am<br />
Montag mit.<br />
Am Freitag hatte die Behörde<br />
über einen ersten Fall informiert. Die<br />
Afrikanische Schweinepest wurde<br />
demnach bei einem Wildschwein<br />
festgestellt, das am 4. November in<br />
der Nähe der Landstraße zwischen<br />
den Ortschaften NowaSol und Slawa<br />
im Kreis Wschowski gefunden<br />
wurde. Das Tier sei bei einem Wildunfall<br />
ums Leben gekommen. Der<br />
Fundort liegt etwa 80 Kilometer von<br />
der GrenzezuBrandenburgentfernt.<br />
Nach dem ersten Nachweis habe<br />
man Sperrzonen im Umkreis um<br />
den Fundort eingerichtet, sagte Stanislaw<br />
Mysliwiec, Vorsitzender der<br />
Landwirtschaftskammer. Freiwillige<br />
durchkämmten das Gelände nach<br />
toten Wildschweinen. „Am Samstag<br />
haben wir neun verendete Tiere gefunden,<br />
am Sonntag elf.“ Das jetzt<br />
positiv getestete Wildschwein sei ein<br />
Fund vom Sonnabend. Die Testergebnisse<br />
für die weiteren Tieresollen<br />
binnen 48 Stunden vorliegen.<br />
Das Friedrich-Loeffler-Institut in<br />
Greifswald bleibt bei seiner Risikobewertung<br />
für Deutschland. DieGefahr<br />
einer Einschleppung der Seuche<br />
nach Deutschland durch den Menschen<br />
oder infizierte Tiere werde<br />
weiter als hoch eingeschätzt, sagte<br />
die Instituts-Sprecherin.<br />
Möglicherweise habe in dem Fall<br />
der Mensch eine Rolle gespielt. Der<br />
Mensch gilt als einer der größten Risikofaktoren<br />
für die Ausbreitung der<br />
Afrikanischen Schweinepest. Bereits<br />
ein weggeworfenes Wurstbrot mit<br />
Erregern, das von einem Wildschwein<br />
gefressen wird, kann Experten<br />
zufolge die Krankheit auslösen.<br />
Die Verbraucherschutzverwaltung<br />
von Berlin warnte davor,<br />
Fleisch und Wurst aus den betroffenen<br />
Ländernmitzubringen. Dassind<br />
neben Polen unter anderem das Baltikum,<br />
Belgien, Bulgarien, Rumänien,<br />
die Ukraine und die Tschechische<br />
Republik. (dpa)