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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 289 · D onnerstag, 12. Dezember 2019 – S eite 1<br />
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Kulturkalender<br />
DER WOCHENÜBERBLICK VOM 12. BIS 18. DEZEMBER 2019<br />
Filmtipps<br />
Kinoprogramm<br />
Literatur<br />
Ausstellungen<br />
Konzerte<br />
Bühne<br />
Seiten 2&3<br />
Seiten 2–6<br />
Seite 6<br />
Seite 7<br />
Seite 7<br />
Seite 8<br />
Ein paar Tage nur noch,<br />
dann beginnen die Zwanzigerjahre.<br />
Silvester um 24<br />
Uhrist es soweit, wir verabschieden<br />
uns von einem Jahrzehnt.<br />
Ein paar Tage weniger noch, dann<br />
lädt der Admiralspalast zu einer Revue<br />
ein, die mit Superlativen angekündigt<br />
wird. Von einer „Weltpremiere“<br />
spricht die veranstaltende<br />
Agentur BB Promotion. Mal sehen,<br />
ob sie es eines Tages auch um die<br />
Welt schafft. Anderedeutsche Städte<br />
sind schon im Plan. So viele Schauspieler,<br />
Tänzer, Sänger, Musiker hat<br />
das alte Theaterhaus an der Friedrichstraße<br />
jedenfalls lange nicht für<br />
eine Neuproduktion beherbergt. Ein<br />
Bogen soll geschlagen werden über<br />
eine Zeit, die von politischen Verwerfungen,<br />
Wirtschaftskrise und einem<br />
unvergleichlichen Bedürfnis<br />
nach Unterhaltung geprägt war:<br />
„Berlin, Berlin“ möchte „Die große<br />
Show der Goldenen 20er-Jahre“ sein.<br />
Das Lebensgefühl der Zeit nach<br />
der Ersten Weltkrieg, wegen der<br />
brenzligen Umstände gern als „Tanz<br />
auf dem Vulkan“ bezeichnet, haben<br />
in der Rückschau viele Schriftsteller,<br />
Filmemacher und Musiker beschäftigt.<br />
Die vielverklärte Epoche reichte<br />
bis in den Anfang der Dreißigerjahre,<br />
als der Nationalsozialismus die kulturelle<br />
Blüte in Deutschland jäh<br />
stoppte,als Künstler vertrieben, verfolgt,<br />
umgebracht wurden – und<br />
längst nicht nur Künstler.<br />
Dasjüngste Beispiel für die Faszination<br />
jener Zeit ist die erfolgreiche<br />
Fernsehserie „Berlin Babylon“, die<br />
gerade erst den Europäischen Filmpreis<br />
erhalten hat. Davor noch lag<br />
der Sog, der von den KriminalromanenVolker<br />
Kutschers ausging, die die<br />
Keimzelle der Seriesind. Einanderer<br />
Beleg ist das Musical „Cabaret“ auf<br />
Grundlage der Bücher von Christopher<br />
Isherwood. Dasist seit 1966 tatsächlich<br />
um die Welt gegangen. Die<br />
<strong>Berliner</strong> Inszenierung von 2004 wird<br />
auch im kommenden Sommer wieder<br />
das Tipi am Kanzleramt füllen.<br />
Während „Berlin Babylon“ und<br />
„Cabaret“ Geschichten mit einer<br />
Handlung und festem Personenkreis<br />
erzählen, setzt die Show im Admiralspalast<br />
auf die Vielfalt jener Jahre.<br />
Martin Fohr, der als Executive Producer<br />
das Konzept entwickelt hat,<br />
Nina Jankeals Marlene und die Darsteller der Comedian Harmonists bei der Pressekonferenz zur Show „Berlin, Berlin" im Admiralspalast.<br />
führt, wenn er von der Zeit spricht,<br />
nicht zuerst Musik und Glamour an,<br />
sondern Wissenschaft und Technik,<br />
spricht von Albert Einsteins Nobelpreis,von<br />
MarieCuries Forschungen<br />
zur Strahlung, vonder Erfindung des<br />
Willkommen in den 20ern<br />
Im Admiralspalast wird mit „Berlin, Berlin“ eine Epoche besichtigt<br />
VonCornelia Geißler<br />
Shampoos wie der Gummibärchen.<br />
„Berlin war damals die drittgrößte<br />
Stadt der Welt“, sagt er. Deshalb<br />
denkt er die Revue auch großstädtisch<br />
im Sinne von: international. In<br />
dieser Stadt begannen Weltkarrieren,<br />
in diese Stadt kamen Berühmtheiten<br />
von anderswo. Dutzende Tageszeitungen<br />
konkurrierten in Frühund<br />
Spätausgaben miteinander.<br />
Mehr als 40 Theater und 170 Varietés<br />
unterhielten die <strong>Berliner</strong>, über die<br />
DPA<br />
Zahl der Bars und Nachtlokale gibt es<br />
keine gesicherten Angaben.<br />
Doch dass zeitweilig<br />
130 000 Prostituierte in der Stadt ihr<br />
Geld verdienten, gilt laut Christoph<br />
Biermeier als belegt. Der hat sich<br />
besonders intensiv mit den Goldenen<br />
Zwanzigern beschäftigt, nicht<br />
erst für dieses Stück. Er zeichnet für<br />
Buch und Regie verantwortlich, von<br />
seinen Ideen hängt ab, dass die<br />
Show auch zündet. Auf der Pressekonferenz<br />
vor ein paar Tagen lenkte<br />
er den Blick auf eine besondereParallele<br />
zur Gegenwart. Damals war<br />
die Demokratie in Deutschland<br />
noch jung, sie war umkämpft, weil<br />
einige Parteien das Land stärker<br />
machen wollten, als es nach dem<br />
verlorenen Krieg war. „Damals gab<br />
es eine Spaltung in der Gesellschaft“,<br />
sagt Biermeier, „und heute<br />
wirkt das politische Klima auch sehr<br />
gereizt, gibt es viel Unzufriedenheit.“<br />
Nun, in „Cabaret“ kam man<br />
sehen, wohin die Spaltung geführt<br />
hat. Wird „Berlin, Berlin“ auch die<br />
Gefährdungen zeigen? Ab Dienstag<br />
wissen wir mehr.<br />
Eine Revue braucht keine Handlung,<br />
aber das macht es den Produzenten<br />
nicht leichter. Eine gute Revue<br />
zeichnet sich durch ihren Stil,<br />
eine bestimmte Handschrift aus,<br />
damit sie nicht wie ein Nummernprogramm<br />
daherkommt. Christoph<br />
Biermeier bezeichnet die 20er-Jahre<br />
als seine Lieblingsepoche. Er<br />
musste also das Kunststück fertigbringen,<br />
die Vielfalt zu einer Einheit<br />
zu komprimieren. Bekannt ist<br />
schon, dass er sich eines aus jenen<br />
Jahren bewährten Tricks bedient:<br />
Ein Conferencier wird die Elemente<br />
verbinden, dabei selbst singen und<br />
tanzen. Außerdem treten einige Figuren<br />
auf, die sinnbildlich für die<br />
Zeit und ihren kulturellen Reichtum<br />
stehen sollen: Eine Marlene Dietrich<br />
markiert den Aufbruch des<br />
Films, eine Josephine Baker die Internationalität<br />
wie Experimentierfreude<br />
und sechs Herren sollen als<br />
Comedian Harmonists mit ihren<br />
Schlagern die rasante Entwicklung<br />
der Musikindustrie symbolisieren.<br />
Ein Schauspieler bereitet sich auf<br />
die Rolle von Bertolt Brecht vor,<br />
denn Unterhaltung hat viele Gesichter.<br />
Viele Gestalten auch:<br />
150 Kostüme liegen für die 27 Akteureauf<br />
der Bühne bereit.<br />
Berlin,Berlin Voraufführungen 17. und 18. 12.,<br />
Premiere19. 12., dann bis 5. Januar. Admiralspalast,<br />
Friedrichstr. 101, Kartentel.:22507000<br />
Die Unterscheidung zwischen<br />
Tanz und Musik aufzuheben, so<br />
dass man den Tanz hören und die<br />
Thank you God<br />
Musik sehen kann: Dasist die Vision<br />
und der Antrieb der belgischen Choreografin<br />
Anne Teresa de Keersmaeker<br />
seit ihren Anfängen in den frühen<br />
80er Jahren. Mit den Kompositionen<br />
vor allem von Johann Sebastian<br />
Bach und vonSteveReich ist ihr<br />
VonMichaela Schlagenwerth<br />
genau das immer wieder auf grandioseWeise<br />
gelungen. Dieakribische<br />
Analyse der Kompositionsstruktur, Stück zu der wohl legendärsten Jazzso<br />
hat sie selbst mehrfach betont, Platte überhaupt, zu Miles Davis’„A<br />
war dafür die Voraussetzung.<br />
Love Supreme“ herausgebracht.<br />
DerKlang hat so in nicht wenigen Mit„ALoveSupreme“ beginnt für<br />
ihrer Stücke genau das bekommen Davis die Hinwendung zum Free<br />
können, einen Körper –und der Tänzer-Körper<br />
Jazz und für de Keersmaeker die zu-<br />
wurde dabei zu Musik. mindest temporäre Loslösung von<br />
Gerade Bach und Reich waren mit ihren genau durchstrukturierten<br />
ihrer durchstrukturierten Musik für und gebauten Stücken. Auf die Musik<br />
de Keeresmaeker ein hervorragender<br />
von Davis antworten die Tänzer<br />
Stoff. Aber Jazz? De Keersmaeker auf der Bühne mit Improvisation.Vor<br />
hat schon immer gerne experimentiert.<br />
zwei Jahren haben de Keersmaeker<br />
Mit Rilke-Gedichten genauso und Sanchis das Stück mit einer<br />
wie mit allen möglichen Musikrichtungen.<br />
neuen Tänzer-Generation neu bear-<br />
Vorvierzehn Jahren hat sie beitet. Nunmacht „A Love Supreme“<br />
gemeinsam mit Salva Sanchis ein im HAU1Station.<br />
Das Rosas-Ensemble tanzt Salva Sanchis &Anne Teresa de KeersmaekersStück. HAU 1<br />
Salva Sanchis und Anne Teresa de Keersmaeker wagen sich an die legendärste Jazzplatte<br />
aller Zeiten: „A Love Supreme“ ab Mittwoch im HAU 1<br />
Damit ist de Keersmaeker nach<br />
einer längeren Pause endlich wieder<br />
in Berlin zu sehen. Ursprünglich war<br />
eine intensive Zusammenarbeit der<br />
belgischen Choreografin mit der<br />
Volksbühne von Chris Dercon geplant.<br />
Dieist bekanntlich schon eine<br />
Weile Geschichte. Inihrem <strong>Berliner</strong><br />
„Stammhaus“, dem Hebbel-Theater,<br />
ist de Keeresmaeker schon seit dessen<br />
Neugründung Ende der 80er-<br />
Jahre regelmäßiger Gast. Die Bühne<br />
dort ist allerdings für manche ihrer<br />
Stücke zu klein. Im April des kommenden<br />
Jahres wird„Rain“, eines ihrer<br />
Schlüsselwerke zur Musik von<br />
Steve Reich, im Haus der <strong>Berliner</strong><br />
Festspiele zu sehen sein.<br />
Aber jetzt erstmal gibt es mit „A<br />
Love Supreme“ einen Blick in die<br />
Werkstatt. Mit dem der Compagnie<br />
Rosas eng verbundenen Tänzer und<br />
Choroegrafen Salva Sanchis hat de<br />
Keersmaeker mehrfach kooperiert.<br />
Ihre Arbeit zum Album von Miles<br />
Davis ist ihr erfolgreichstes gemeinsames<br />
Stück, in dem sie nicht nur mit<br />
der Struktur der Musik experimentieren,<br />
sondernebenso mit der spirituellen<br />
Dimension des Werks. Denn<br />
für Miles Davis ist das als Suite<br />
durchkomponierte „A Love Supreme“<br />
eben genau das gewesen: Ein<br />
Gebet, ein Loblied auf Gott, dass mit<br />
dem Psalm endet in dem kaum noch<br />
eine Struktur erkennbar ist und Miles<br />
Davis sein ganz persönliches Gelöbnis<br />
abgibt: „Thank you God.<br />
Peace.Thereisnone other.“<br />
SalvaSanchis &AnneTeresa De Keersmaeker /<br />
Rosas: ALove Supreme. 18. bis21.12. um<br />
19 Uhr,HAU 1, Stresemannstr.29. Karten<br />
11–33 Euro, Kartentel.:25900427