Melange No8
Melange No8 - Das Magazin im Süden Bayerns
Melange No8 - Das Magazin im Süden Bayerns
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
N E W C O M E R<br />
Musik und Politik<br />
Auf Erfahrung kann Alexander Liebreich reichlich zurückblicken.<br />
Großgeworden in den 80er Jahren, gründetet er mit 17<br />
in seiner Heimatstadt Regensburg einen Kammerchor. „Paragraph<br />
Eins im Chor war: singe nie Kirchenlieder“, beschreibt er<br />
sein damaliges Projekt. In Regensburg war das Theater ein<br />
Hort der Freiheit, des freien Denkens und die Musik ein Umgang<br />
mit Leuten, die er so aus seinem sozialen Umfeld, von<br />
seinen Eltern nicht kannte, erzählt Liebreich. Die 80er, das<br />
war in Regensburg die Zeit von Franz-Joseph Strauß, von Gegendemos,<br />
von Wackersdorf und Pershing-2-Raketen – sozialpolitisch<br />
aufgeladen. „Da war man entweder für Strauß oder<br />
revolutionär.“ Insofern war das Theater, war die Musik, was<br />
das Politische anging, eine Positionierung dem eigenen Elternhaus<br />
gegenüber. „Sonntags ging man zum Zaun der Wiederaufarbeitungsanlage<br />
Wackersdorf, das war eine sehr heftige Zeit.“<br />
Damals versuchte er mit seinem Chor, die Grenzen des Gesellschaftlichen<br />
zu testen, Politik und Musik miteinander zu vereinen.<br />
In einem Konzert etwa wurde keine einzige Note gesungen.<br />
Die Komposition stammte von Liebreich, es war eine Symphonie<br />
nur mit Aufwärmübungen.<br />
Sein erster Kulturpreis war ein Preis der Sudetendeutschen,<br />
ihn lehnte Liebreich ab, obwohl seine Eltern aus dem Sudetenland<br />
kamen.<br />
Marillenknödel mit Butter<br />
Vielleicht hat er ja die Leidenschaft für das Gesellschaftspolitische<br />
von seinen Großeltern geerbt, die politisch aktiv waren –<br />
ihm aber auch mit sonntäglichen Marillenknödeln, zerlassener<br />
Butter und Semmelbröseln ein Gefühl für ihre alte Heimat<br />
vermittelten, die mittlerweile hinter dem Eisernen Vorhang<br />
verloren ging. Das ist wahrscheinlich auch ein Grund, warum<br />
ihn das Thema der Vertreibung und der Wandlung hin zur Versöhnung<br />
nicht loslässt – genauso wenig, wie Nationalismus<br />
und Patriotismus. Auch seine Engagements zeigen das deutlich:<br />
Seit 2012 war Alexander Liebreich Künstlerischer Direktor und<br />
Chefdirigent des Nationalen Symphonieorchesters des Polnischen<br />
Rundfunks (NOSPR) und damit erster deutscher Chefdirigent<br />
in Polen seit 1945. Auch Festivalerfahrung hat Liebreich<br />
in Polen gesammelt: Seit 2015 leitete er das Internationale<br />
Musikfestival „Katowice Kultura Natura“ und im Herbst dieses<br />
Jahres wird er Chefdirigent beim Rundfunksinfonie-Orchester<br />
in Prag. Wahrscheinlich auch diese Erfahrungen haben dazu<br />
geführt, dass das Programm des diesjährigen Strauss-Festivals<br />
mit den Wiener Symphonikern genauso aufwarten kann, wie<br />
mit dem Chor des Bayerischen Rundfunks oder dem Brno Philharmonic<br />
Orchestra. In der Orchesterakademie erarbeiten Studierende<br />
aus Brünn, Katovice, Prag, München und Nürnberg<br />
gemeinsam ein Programm mit Werken von Strauss. „Das ist<br />
ein Weg“, so Liebreich, „den meine Familie im Krieg andersrum<br />
gegangen ist. Da haben wir gesagt, wir holen mit der Orchesterakademie<br />
einfach die Musiker der drei Länder zusammen, damit<br />
sie gemeinsam musizieren.“ Es ist ein politisch motivierter Akt,<br />
der Versuch, die Gräben, die heute zwischen den Ländern wieder<br />
entstehen, mit jungen Leuten zu beheben.<br />
Dem Geist Strauss’ nachspüren<br />
So soll in Garmisch Kunst zum lebendigen Raum werden, und<br />
das zeigt sein Konzept auch noch auf eine andere Weise. „Ich<br />
glaube, dass ein Festival vielschichtig sein muss. Bei Richard<br />
Strauss finde ich das wichtig, mit der Strauss’schen Electra sind<br />
Höhepunkte geschaffen worden, die gigantisch sind. Auch die<br />
Alpensymphonie ist großartig, das ist etwas Ergreifendes.“ Und<br />
der Liebhaber vom Werdenfelser Land stellt sich die Frage:<br />
Warum ist Strauss nach Garmisch gegangen? „Er hatte die Idee,<br />
eine Komponier-Residenz zu schaffen, dort Musik zu schreiben.<br />
Aber er hatte auch unglaubliche Lust auf die Natur, ist auf den<br />
Kramer gegangen. Hier ist der große Strauss-Geist nachspürbar.“<br />
Und deshalb gibt es Konzerte auf dem Wank, im Kloster Ettal<br />
oder in der Alpspitzhalle das Abschlusskonzert mit anschließendem<br />
Grillfest. Das Einfachste sei das Richtige, so findet er.<br />
Ein Festival brauche keine Konzerthallen. Es gebe keine berühmten<br />
Festspiele in München, Tokyo oder anderswo. Die Einbindung<br />
der Gemeinden ist ihm wichtig, es ist die Einbindung<br />
der Gesellschaft. Ein Naturerlebnis mit Strauss, ein Musikerlebnis,<br />
das gedankliche Brücken bauen soll.<br />
Kunst als lebendigen Raum<br />
Das ist ihm wichtig, auch weil er – politisch gesehen – ein kritisches<br />
Verhältnis zu Richard Strauss hat. Das Strauss-Festival<br />
16