Melange No8
Melange No8 - Das Magazin im Süden Bayerns
Melange No8 - Das Magazin im Süden Bayerns
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
L I V E<br />
CHRISTIAN STÜCKL<br />
„INTEGRATION“<br />
„WICHTIG IST, DASS MAN SEIN HERZ FÜR FREMDE ÖFFNET<br />
UND MUT ZEIGT IM ANGESICHT EINER GESELLSCHAFT<br />
MIT VIELEN RESERVIERTHEITEN.“<br />
Es ist ein sonniger Frühsommermorgen in Oberammergau.<br />
Wir sitzen einträchtig auf der Terrasse<br />
des Theatercafés, trinken Cappuccino, sind<br />
entspannt. Christian Stückl, Spielleiter der Oberammergauer<br />
Passionsspiele und Intendant am<br />
Münchner Volkstheater, zieht an seiner Zigarette<br />
und schaut in den blauen Himmel, hinter ihm<br />
zeichnet sich der Kofel ab.<br />
„Integration? Das ist ein weiter Begriff. Über welche<br />
Art der Integration willst denn sprechen?“ Stückl,<br />
der in einem Oberammergauer Wirtshaus aufgewachsen<br />
ist, fand es schon als kloana Bua total<br />
spannend, Menschen aus der ganzen Welt kennenzulernen.<br />
Berührungsängste hatte er dabei nie. Vielleicht hat<br />
ihn deshalb seit jeher das Theaterspielen so fasziniert:<br />
Menschen, die in andere Rollen schlüpfen,<br />
die sich ausprobieren. „Schuld an der Lust am<br />
Theater waren freilig die Passionsspiele“, verrät er<br />
mir, lacht und erzählt, wie er sich als Siebenjähriger<br />
bei den Aufführungen regelmäßig auf die Bühne<br />
geschlichen und in die lebenden Bilder geschmuggelt<br />
hat; selbst dann, wenn er gar nicht dran war.<br />
Bühnenschreck war damals sein Spitzname. Wenn<br />
ihn der Regisseur auf der einen Seite von der<br />
Bühne gejagt hat, ist er – in einem anderen Gewand,<br />
das er sich aus dem Fundus geholt hat – auf<br />
der anderen Seite wieder aufgetaucht.<br />
Als Elfähriger hat er mithilfe eines alten Plastikplattenspielers<br />
den Text vom „Räuber Hotzenplotz“<br />
abgeschrieben, um ihn als Theaterstück<br />
im elterlichen Garten zu inszenieren. Es folgten<br />
„Der kleine Muck“ und „Zwerg Nase“. Auch die<br />
gesamte Kindergruppe aus dem Oberammergauer<br />
Trachtenverein hat er kurzerhand für ein<br />
Krippenspiel rekrutiert. Da ging es nach der Plattlerprobe<br />
(er war im Trachtenverein sehr engagiert<br />
und war Vorplattler) direkt zum Üben. „Ich wollte<br />
LEUTE UMEINANDER SCHIEBEN,<br />
in andere Rollen schnuppern lassen. Das hat mich<br />
total fasziniert.“<br />
„Trotz Deiner frühen Leidenschaft fürs Theater<br />
hast Du von ‘81 bis ‘84 eine Ausbildung zum<br />
Holzbildhauer gemacht“, hake ich nach. Und er<br />
schmunzelt. „Des stimmt schon. Aber ich hab<br />
schnell gemerkt, dass ich mich nicht als Holzbildhauer<br />
sehe. Beim Schnitzen hab ich heimlich Textbücher<br />
gelesen und mir vom Sitznachbarn Holzspäne<br />
rüber geschaufelt, damit es nicht ganz so<br />
auffällt. Bis dann der Lehrer gesagt hat: ‘Ich seh<br />
doch, dass Du mit Linde schnitzt, und unten liegen<br />
lauter Eichenspäne!’ Obwohl ich die Arbeit mit<br />
Holz total gern mag, weiß ich, dass mich die Einsamkeit<br />
in einer Werkstatt wahnsinnig machen<br />
würde. Ich muss raus, ich muss Fragen stellen.<br />
Mein Bildhauer-Werkzeug hab ich verschenkt.“<br />
8