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syndicom magazin Nr. 16

Das syndicom-Magazin bietet Informationen aus Gewerkschaft und Politik: Die Zeitschrift beleuchtet Hintergründe, ordnet ein und hat auch Platz für Kultur und Unterhaltendes. Das Magazin pflegt den Dialog über Social Media und informiert über die wichtigsten Dienstleistungen, Veranstaltungen und Bildungsangebote der Gewerkschaft und nahestehender Organisationen.

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24 Politik<br />

Der Staat muss investieren<br />

wie ein Unternehmer<br />

Zum 20-jährigen Bestehen<br />

der Tessiner Associazione per<br />

la difesa del servizio pubblico<br />

hielt Prof. Sergio Rossi von<br />

der Uni Freiburg einen Talk<br />

über die Perspektiven des<br />

Service public in der Schweiz.<br />

Er hofft auf eine Rückkehr zu<br />

den keynesianischen Theorien<br />

und zu einem Staat, der<br />

investiert, um aus der Krise<br />

herauszufinden.<br />

Text: Sergio Rossi<br />

Bild: Omar Cartulano<br />

John Maynard Keynes, einer der<br />

gros sen Ökonomen des 20. Jahrhunderts,<br />

forderte das antizyklische<br />

Eingreifen des Staates in die Konjunktur:<br />

Geht es der Wirtschaft<br />

schlecht, soll der Staat sie unterstützen<br />

und sich nötigenfalls verschulden.<br />

Dies geschah nach der Krise<br />

von 1929. Allerdings vergassen die<br />

Politiker in den folgenden Jahrzehnten,<br />

die öffentlichen Schulden zurückzuzahlen.<br />

Zugunsten ihrer<br />

Wieder wahl verzichteten sie auf<br />

Steuererhöhungen oder Ausgabenkürzungen.<br />

Das gemäss Keynes umgekehrt<br />

proportionale Verhältnis<br />

von Arbeitslosigkeit und Inflation<br />

löste sich deshalb Ende der 70er-<br />

Jahre auf. An die Stelle des Keynesianismus<br />

trat die Theorie Milton<br />

Friedmans.<br />

Die Wirtschaftsfakultäten werden<br />

heute vom neoliberalen Gedankengut<br />

beherrscht: Die «Väter»<br />

des Neoliberalismus bemächtigten<br />

sich zunächst der Hochschulen und<br />

dann der Zentralbanken und Verwaltungsräte.<br />

Die Globalisierung<br />

spielte bei der Schwächung des Service<br />

public nur eine untergeordnete<br />

Rolle, entscheidender war die wirtschaftliche<br />

und finanzielle Deregulierung.<br />

Die Banken wurden zu<br />

Universal banken und traten mit<br />

Versicherungen und Pensionskassen<br />

in Wettbewerb. Dazu kommen<br />

die Interessenkonflikte, die Drehtüren<br />

für Bank kader. Ein Beispiel<br />

von vielen: Vor seiner Zeit als Präsident<br />

der Europäischen Zentralbank<br />

war Mario Draghi bei der US-Investmentbank<br />

Goldman Sachs. Der<br />

Slogan «Gewinne privatisieren, Verluste<br />

verstaatlichen» fasst die Situation<br />

treffend zusammen. Gewinne,<br />

die der Staat mit profitablen Tätigkeiten<br />

erzielte, wurden privatisiert.<br />

Geblieben sind ihm die Verluste.<br />

Und da der Service public nicht<br />

mehr rentierte, wurde er abgebaut.<br />

Staatshandeln aus Manageroptik<br />

In der Schweiz hat sich der gesellschaftliche<br />

Zusammenhalt (zwischen<br />

Einkommensklassen) und die<br />

nationale Kohäsion (zwischen Zentren<br />

und Randregionen) verringert.<br />

Mit der Schwächung des sozialen<br />

Gefüges verroht die Gesellschaft.<br />

Der für die Willensnation Schweiz<br />

typische kooperative Föderalismus<br />

(reiche Kantone helfen den ärmeren)<br />

ist kompetitiv geworden. Dies<br />

zeigt ein Blick auf das Steuersystem.<br />

Ausserdem hat der Staat einen Teil<br />

seiner rentablen Tätigkeiten an bereitwillige<br />

Private ausgelagert und<br />

Leistungen abgebaut (Gesundheit,<br />

Verkehr, Infrastruktur, Bildung).<br />

Der Staat gleicht immer mehr<br />

einem Konzern, effektiv und effizient.<br />

Er soll den Service public möglichst<br />

kostengünstig bereitstellen,<br />

zu Lasten der Qualität. Das ist das<br />

Resultat, wenn Entscheide von öffentlichem<br />

Interesse aus Manageroptik<br />

getroffen werden. Zwischen<br />

Managern und Unternehmern gilt<br />

es zu unterscheiden. Unternehmer<br />

wie Steve Jobs haben zukunftsorientierte,<br />

innovative Ideen. Manager<br />

denken kurzfristig: Sie haben kein<br />

Interesse, in Unternehmen zu investieren,<br />

um deren langfristigen Fortbestand<br />

zu sichern. Die Zahl der<br />

Unter nehmer ist gesunken, die Zahl<br />

der Manager gewachsen. Dies hat zu<br />

einer Schwächung des Schweizer<br />

Wirtschaftsgefüges geführt.<br />

Streiken für Keynes<br />

Greta Thunberg hat uns zum Nachdenken<br />

über den Klimawandel und<br />

die Jungen zum Streiken gebracht.<br />

Nun müssten wir weniger Jungen einen<br />

Streik für den Keynesianismus<br />

organisieren. Wir sollten zurückkehren<br />

zu Keynes’ Idee eines unternehmerischen<br />

Staats, der als wichtiger<br />

Akteur in der Marktwirtschaft<br />

auftritt. Vor kurzem hat meine Kollegin<br />

Mariana Mazzucato, Professorin<br />

in London, das Buch Das Kapital<br />

des Staates publiziert, das sich mit<br />

genau diesem Thema befasst. Die<br />

USA haben öffentliche Gelder in die<br />

Eroberung des Weltraums investiert.<br />

Auch das Internet ist durch öffentliche<br />

Ausgaben – für die Landesverteidigung<br />

– entstanden. Diese<br />

staatlichen Investitionen haben es<br />

den Unternehmen möglich gemacht,<br />

sich mit neuen Produkten<br />

neue Absatzmöglichkeiten und Gewinne<br />

zu erschliessen.<br />

Meine Prognosen sind pessimistisch:<br />

Soziale Spannungen und<br />

die Entfremdung von der Politik<br />

nehmen zu. Auf der anderen Seite<br />

ist eine solidarische Wirtschaft am<br />

Entstehen, in der man sich gegenseitig<br />

hilft. Es fehlt die Rolle des<br />

Staates. Die durch das Coronavirus<br />

ausgelöste Wirtschaftskrise zeigt<br />

erneut, dass die öffentlichen Ausgaben<br />

für die globale Wirtschaftsentwicklung<br />

entscheidend sind.

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