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Stenografischer Bericht 4. Sitzung - Deutscher Bundestag

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Michael Müller (Düsseldorf)<br />

<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 15. Wahlperiode – <strong>4.</strong> <strong>Sitzung</strong>. Berlin, Dienstag, den 29. Oktober 2002 165<br />

– Sie haben doch vorhin behauptet, dass es sich bei dem<br />

Ganzen nur um ein Auslaufen handle. Demnach sei das alles<br />

nicht problematisch.<br />

(Birgit Homburger [FDP]: Das habe ich überhaupt<br />

nicht gesagt!)<br />

Warum haben Sie dann aber unsere Atompolitik bekämpft?<br />

Ich sage Ihnen, warum Sie sie bekämpft haben:<br />

Sie haben in der Umweltpolitik und insbesondere bei der<br />

ökologischen Modernisierung nichts zu bieten, weil Sie<br />

immer dann, wenn es darauf ankommt, umfallen und weil<br />

Sie zusammen mit den anderen Umweltpolitikern in Ihrer<br />

Fraktion in Wahrheit isoliert sind. Das ist die Wirklichkeit.<br />

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/<br />

DIE GRÜNEN – Birgit Homburger [FDP]: Das<br />

ist eine Fehleinschätzung!)<br />

– Das ist keine Fehleinschätzung, sondern leider die Wirklichkeit.<br />

Interessanterweise hat das Ergebnis der <strong>Bundestag</strong>swahl<br />

gezeigt – das war einer der wesentlichen Punkte –,<br />

dass die Bevölkerung genau das begriffen hat.<br />

Wir müssen trotzdem über das, was im Sommer geschehen<br />

ist, weiter diskutieren; denn die letzte Flutkatastrophe<br />

hat wie kaum ein anderes Ereignis gezeigt, dass<br />

Umweltpolitik kein Schönwetterereignis sein darf. Wir<br />

wissen, dass sich der Energiehaushalt in den letzten Jahren<br />

weiter dramatisch verschlechtert hat. Wir wissen<br />

auch, dass im Wasserkreislauf dramatische Verschiebungen<br />

stattfinden. Deshalb können wir bei dem Hochwasser<br />

nicht von einem singulären Ereignis ausgehen. Im Gegenteil,<br />

alle zentralen Faktoren im Wasserkreislauf – sei<br />

es die Gletscherbildung, sei es die Verdunstung, seien es<br />

die Veränderung der ozeanischen Prozesse und auch das<br />

Abflussregime von Flüssen – verändern sich in einer<br />

Weise, die es erforderlich macht, dass wir noch sehr viel<br />

mehr handeln müssen, als wir das bisher schon tun. Wir<br />

kommen an diesem Punkt nicht vorbei und deshalb muss<br />

und wird die ökologische Modernisierung Markenzeichen<br />

dieser Regierung bleiben.<br />

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des<br />

BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)<br />

Aber ich will hinzufügen: Wir werden die ökologische<br />

Modernisierung erweitern. Im Kern – auch da besteht ein<br />

Unterschied zur Opposition – geht es für mich nicht mehr<br />

um traditionelle Umweltpolitik im klassischen Sinne.<br />

Vielmehr ist das, was wir machen müssen, Mitweltpolitik.<br />

Wenn ich den Bundeskanzler richtig verstanden habe, vor<br />

allem in seinen Ausführungen zur Zivilisierung der Weltgesellschaft,<br />

war das für mich im klassischen Sinne Mitweltpolitik.<br />

(Birgit Homburger [FDP]: Das war aber nicht<br />

heute Morgen!)<br />

– Doch, das hat er heute gesagt. Ich habe eben übrigens<br />

sowieso den Eindruck gehabt, dass die PISA-Schwäche<br />

bei Ihnen ziemlich durchschlägt;<br />

(Beifall des Abg. Wilhelm Schmidt [Salzgitter]<br />

[SPD])<br />

denn die Koalitionsvereinbarung haben Sie nicht richtig<br />

gelesen. Sonst hätten Sie beispielsweise zum Thema Ab-<br />

fall genauso wie zu anderen Punkten andere Schlussfolgerungen<br />

ziehen müssen.<br />

Meine Damen und Herren, ich glaube, der eigentliche<br />

Punkt ist: Wir müssen die ökologische Modernisierung<br />

konzeptionell erweitern. Ich will hier einen zentralen<br />

Punkt herausstellen, der für uns ganz wichtig sein wird,<br />

nämlich die Frage der Verbindung von Arbeit und Umwelt.<br />

Wenn es so ist, dass sich die Bundesrepublik als Exportland<br />

vor allem durch eine ungeheuer hohe Arbeitsproduktivität<br />

auszeichnet, dann kommen wir an der<br />

Tatsache nicht vorbei, dass Arbeit immer häufiger durch<br />

Technik ersetzt wird und es deshalb immer schwieriger<br />

wird, das Beschäftigungsproblem auf diesem Weg zu lösen.<br />

Wir kommen aus dieser Produktivitätsfalle nur heraus,<br />

wenn wir die Produktivität sehr viel stärker auf den ebenso<br />

wichtigen – kostenmäßig sogar sehr viel größeren – Faktor<br />

der Energie- und Ressourcenproduktivität lenken. Es<br />

wird dazu keine Alternative geben.<br />

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)<br />

Ich würde das in einem historischen Bild so sehen: Das<br />

19. Jahrhundert war vor allem das Jahrhundert der Ausbeutung<br />

des Faktors Arbeit. Im 20. Jahrhundert haben wir<br />

das Beschäftigungsproblem zum Teil durch die Ausbeutung<br />

der Natur entschärft. Im 21. Jahrhundert erleben wir,<br />

dass sowohl die Umweltzerstörung fortgesetzt als auch<br />

der Faktor Arbeit durch die technologische Entwicklung<br />

verdrängt wird.<br />

Wir kommen nicht daran vorbei, die Energie- und Ressourcenproduktivität<br />

als die Strategie zur Verbindung von<br />

Arbeit und Umwelt im 21. Jahrhundert zu begreifen. Das<br />

ist das Markenzeichen, das wir wollen. Es ist auch eine<br />

Vision, um beispielsweise durch hohe Energie- und Ressourcenproduktivität<br />

dazu beizutragen, dass die Ressourcen<br />

der Erde nicht mehr so ausgeplündert werden, dass die<br />

Kosten für die Umweltbelastungen geringer werden, dass<br />

wir die natürlichen Lebensgrundlagen schonen und dass<br />

wir vor allem mehr Arbeitsintensität schaffen; denn ökologische<br />

Lösungen sind in der Regel arbeitsintensive Lösungen.<br />

Sie verlangen nämlich sehr viel mehr menschliche<br />

Kreativität und Dienstleistung. Und das ist der<br />

richtige Ansatz.<br />

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/<br />

DIE GRÜNEN)<br />

Wir wollen ein Zukunftsmodell entwickeln. Es geht dabei<br />

nicht mehr nur um einen verengten Umweltschutzansatz.<br />

Der neue Ansatz ist aus meiner Sicht ganz wichtig für<br />

die von mir angesprochene Zivilisierung der Weltgesellschaft.<br />

Wie Sie wissen, hat Francis Fukuyama, der Wissenschaftsjournalist<br />

und Professor der John-Hopkins-Universität,<br />

mit seiner These vom Ende der Geschichte einen<br />

Streit ausgelöst. Seine zentrale These ist, dass die Menschheit<br />

nach dem Zusammenbruch der bipolaren Welt sozusagen<br />

in der Mischung aus liberaler Gesellschaft und liberalem<br />

Kapitalismus das Ende der Geschichte gefunden hat.<br />

Meines Erachtens hat er in einer völligen Fehlinterpretation<br />

von Hegel die Alternativlosigkeit mit der Konfliktlosigkeit<br />

verwechselt und liegt deshalb schief.<br />

Aber bei allem, was wir im letzten Jahr erlebt haben,<br />

beispielsweise mit der Entfaltung neuer Gewalt am<br />

(C)<br />

(D)

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