Stenografischer Bericht 4. Sitzung - Deutscher Bundestag
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<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 15. Wahlperiode – <strong>4.</strong> <strong>Sitzung</strong>. Berlin, Dienstag, den 29. Oktober 2002<br />
Christian Schmidt (Fürth)<br />
anbieten, das so verpackt ist, dass die rot-grüne Koalition<br />
und die ihr anhängenden Bürgerinnen und Bürger gar<br />
nicht merken, dass wir etwas tun müssen, was wir eigentlich<br />
nach eigenem Reden nicht tun wollen? Das ist übrigens<br />
auch der Punkt, der heute früh angesprochen worden<br />
ist.<br />
Natürlich werden Sie zum Thema Irak mehr tun müssen<br />
und Sie wissen, dass Sie mehr tun müssen als das, was<br />
während des Wahlkampfes auf den Plätzen vom Bundeskanzler<br />
dargelegt und von vielen anderen nachgesprochen<br />
worden ist. Machen Sie sich keine Sorgen: Wir werden bei<br />
der Frage der Stationierung, vom Kanzlerkandidaten angefangen<br />
bis zu jedem einzelnen Mitglied der CDU/CSU-<br />
<strong>Bundestag</strong>sfraktion, wenn es zur Entscheidung über die<br />
Frage kommt, welche alliierten Streitkräfte unseren<br />
Grund und Boden benutzen dürfen, treu zum Bündnis stehen<br />
und verlässlich sein, so wie dies immer gewesen ist.<br />
(Beifall bei der CDU/CSU – Gernot Erler<br />
[SPD]: Das hoffen wir auch!)<br />
Ob das bei Ihnen der Fall sein wird, das weiß ich nicht.<br />
Irgendwie habe ich bei Ihrem Beitrag, Herr Struck, den<br />
Eindruck gewonnen – darüber müssen wir wohl in einer<br />
eigenen Debatte, die vor Prag stattfinden sollte, noch einmal<br />
reden –, dass Sie die Ernsthaftigkeit des Problems,<br />
dass es nämlich um die Zukunft der NATO geht – das<br />
wird nicht nur in Washington so gesehen –, nicht spüren.<br />
Sie haben übrigens die DCI-Initiative von 1999 etwas mit<br />
der nun von Rumsfeld vorgeschlagenen Response Force<br />
vermischt. Dabei handelt es sich um ganz verschiedene<br />
Dinge. Sie können nicht die Headline Goals der ESVP in<br />
Form von 60 000 Soldaten, die 2003 einsatzbereit sein<br />
sollen, aber faktisch nur auf dem Papier stehen – General<br />
Schubert wartet noch immer auf die Einsatzbereitschaft<br />
dieser Truppe –, realisieren und dann diese Einheiten den<br />
Amerikanern anbieten. Nein, Rumsfeld will doch die<br />
Probe aufs Exempel machen.<br />
Hinter den 21 000 Soldaten, die Rumsfeld für die Response<br />
Force will, steckt doch – das wissen Sie genauso<br />
gut wie ich – im Kern die politische Frage, ob die NATO<br />
als Bündnis noch in der Lage ist, militärisch an vorderer<br />
Front im Antiterroreinsatz zu reagieren oder nicht. Wenn<br />
Sie darauf mit der Antwort reagieren: „Sehr geehrter Herr<br />
Rumsfeld, wir diskutieren gerade darüber, Herr Solana<br />
bastelt mit den Türken und den Griechen am Zustandekommen<br />
einer europäischen Eingreiftruppe und schaut,<br />
ob das Berlin plus-Abkommen umgesetzt werden kann“,<br />
dann wird uns die NATO mittelfristig um die Ohren fliegen.<br />
(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: So ist<br />
es!)<br />
Sie wird kaputtgehen, und zwar entgegen unserem eigenen<br />
Interesse. Die Axiome der Außen- und Sicherheitspolitik,<br />
dass das Bündnis des freien Westens ein Stabilitätsanker<br />
ist und jetzt auch Verpflichtungen über die früheren<br />
Begrenzungen hinaus bestehen, gelten nämlich nach wie<br />
vor. Das hat auch Senator Lugar 1993, wie ich glaube, bei<br />
seiner Rede im Budapester Parlament gesagt: NATO will<br />
go out of area or out of business – die NATO muss sich<br />
engagieren oder sie wird aus dem Geschäft herausfallen.<br />
Es darf nicht dazu kommen – die Gefahr sehe ich –,<br />
dass die Sicherheitspolitik nachlässig auf der Basis eines<br />
Laisser-faire-Denkens behandelt wird. Aus diesem Desinteresse<br />
könnte die Gefahr entstehen, dass wir so alleine<br />
dastehen, dass der Begriff vom deutschen Weg, mit dem<br />
Herr Schröder gezündelt hat, auf einmal zur Realität wird,<br />
weil keiner mehr da ist, der mit uns Bündnisse schließen<br />
will. Diese Frage steht auf der Tagesordnung, nichts anderes.<br />
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten<br />
der FDP)<br />
Kommen wir noch einmal auf die Situation in Afghanistan<br />
zurück. Wir alle hier im Hause wissen – aber nicht<br />
jeder draußen unterscheidet genau –, dass es zum einen<br />
die Mission Enduring Freedom zur Terrorbekämpfung<br />
gibt, an der das KSK, das Kommando Spezialkräfte, mit<br />
circa 100 Mann teilnimmt. Ich bedanke mich ausdrücklich<br />
auch im Namen des Kollegen Breuer, dass Sie hierzu<br />
Informationen gegeben haben. In diesem Punkt unterscheiden<br />
Sie sich sehr lobenswert von Ihrem Vorgänger.<br />
Von dem hätten wir nämlich überhaupt nichts erfahren. In<br />
der nächsten Zeit ist aber nicht nur eine offene Informationspolitik<br />
über Enduring Freedom, sondern auch über die<br />
Probleme, die sich bei der anderen Mission in Afghanistan,<br />
bei ISAF, deren Führung Sie der Bundeswehr anvertrauen<br />
wollen, ergeben, erforderlich.<br />
Wenn man in solch eine Sache mit mehr Engagement<br />
hineingeht, muss man auch wissen, wie man wieder herauskommt.<br />
Bisher war das gerade einmal einigermaßen<br />
darzustellen. Wenn aber die Amerikaner ihr Engagement,<br />
dessen Schwerpunkt bei der Operation Enduring Freedom<br />
liegt, in andere Wetterecken dieser Welt verlagern, dann<br />
darf es nicht dazu kommen – darüber müssen wir schon<br />
sehr intensiv reden –, dass Soldaten der deutschen Bundeswehr<br />
und von Alliierten, die in und um Kabul stehen,<br />
im Falle einer Zunahme der Spannungen auf sich alleine<br />
gestellt sind.<br />
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten<br />
der FDP)<br />
Sie wissen sehr genau, warum ich das so sehr betone.<br />
Der letzten schriftlichen Unterrichtung des Parlaments<br />
entnehme ich, dass es erst vor kurzem wieder eine gefährliche<br />
Situation gegeben hat, von der auch unsere Soldaten<br />
hätten betroffen sein können. Gott sei Dank ist<br />
nichts passiert und es wird sicherlich viel getan, um solche<br />
Gefahren zu verhindern. Sie sind aber nicht auszuschließen<br />
und es ist zu befürchten, dass mit einer Exponierung<br />
der Bundeswehr die Gefahren auch für sie<br />
steigen. Das wird in Zusammenhang mit der Verlängerung<br />
von Enduring Freedom und von ISAF zu behandeln<br />
sein.<br />
Damit komme ich zu einem weiteren Punkt grundsätzlicher<br />
Art, den wir heute schon ansprechen sollten. Der<br />
Kollege Schäuble hat das bereits dargelegt. In diesem<br />
Punkt herrscht bei uns die tiefste Enttäuschung über Ihren<br />
Koalitionsvertrag. Über die vielen Prosateile des Koalitionsvertrages<br />
kann man hinweglesen, aber wir stellen<br />
auch fest, dass etwas nicht darin steht. Meiner Meinung<br />
nach hätten wir bei diesem Punkt im Rahmen eines kon-<br />
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